Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit […]; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Krieg hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. (Prediger 3,1-8)
Krieg gibt es. Seit Menschengedenken. Auch unsere Zeit ist eine Zeit des Krieges und so stellt sich die Frage, ob Krieg für Christen eine vertretbare Option darstellt. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
Krieg ist schlimm. Im Krieg töten Menschen Menschen. Deshalb sollte er nicht sein. Wer sich für die Rechtfertigung von Krieg ausspricht, ohne sich mit dem unendlichen Leid auseinandergesetzt zu haben, das Krieg auf beiden Seiten bringt, sollte sich mit den Opfern beschäftigen. Nicht umsonst betonte Altkanzler Helmut Schmidt in Interviews immer wieder: „Wer Krieg selbst erlebt hat, wird nicht so leichtfertig damit umgehen.“ Wer hingegen meint, mit der edlen Gesinnung, Krieg abzulehnen, Kriegstreibern, Terroristen und Gewalttätern gegenübertreten zu können, sollte besser aufwachen, bevor er von diesen niedergewalzt wird. Gegen Krieg zu sein, verhindert ihn nicht.
Krieg ist eine Realität. Jesus wusste das: „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei …“ (Matthäus 24,6). In dieser Realität leben wir. Auch der Friedenskämpfer Berthold Brecht wusste das, als er in seinem „Friedenslied“ sagte: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin …“ Denn der Text geht weiter: „… dann kommt der Krieg zu euch.“ Ähnlich der Ökumenische Rat der Kirchen, der 1948 das bekannte Diktum prägte: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Dieses Soll zeigt an, dass das Ist ein anderes ist: Krieg ist – und das sollte er nicht sein. Dem gilt es, ins Auge zu schauen.
Geht man von der Realität des Krieges aus, stellen sich die Fragen anders: Wie lässt sich Krieg vermeiden und wann muss man sich ihm stellen? Gibt es für Krieg eine Rechtfertigung, und wenn ja, unter welchen Umständen? Fragen dieser Art gehen von der Realität des Krieges aus, ohne Krieg einfach hinzunehmen. Vielmehr hilft eine differenzierte Sicht, die Realität des Krieges besser bewerten und womöglich eindämmen zu können – und damit ist schon viel gewonnen.
Anerkannte Gewalt
Beginnen wir an einem Punkt, der allgemein anerkannt ist, auch in der christlichen Ethik: dem Recht auf Selbstverteidigung. Angegriffene dürfen sich verteidigen. Auch mit Gewalt. Darin besteht weitgehend Einigkeit. In großer Breite wird außerdem anerkannt, dass diese Selbstverteidigung auf Nahestehende ausgeweitet werden kann. So darf ein Familienvater, dessen Tochter vergewaltigt wird, den Täter mit Gewalt davon abbringen, ohne dass dies auf grundsätzliche Kritik stoßen würde. Maßnahmen dieser Art fallen unter den Begriff der Notwehr.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist Notwehr erlaubt. In § 227 heißt es:
Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich. Notwehr ist diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Ein lupenreiner Pazifismus, der Gewalt auch im Falle der Notwehr und der Selbstverteidigung ausschließt, wird nur von wenigen vertreten. Es herrscht breiter Konsens, dass Gewalt in diesen Fällen statthaft ist. Dies gilt auch für Völker beziehungsweise Staaten: Sie dürfen sich militärisch verteidigen. Von daher muss man genereller fragen, unter welchen Umständen es legitim ist, Gewalt anzuwenden, denn möglicherweise gibt es noch weitere Fälle. Diese Frage stellt sich analog auch für den Krieg, der eine spezifische Form von Gewalt darstellt. Damit einher geht eine weitere Frage: Gibt es Werte und Ziele, die höher zu gewichten sind als das unendliche Leid des Krieges? Nur wenn es diese Werte beziehungsweise Ziele nicht gibt, kann man Krieg grundsätzlich ablehnen.
Biblische Positionen
Die Bandbreite biblischer Äußerungen zur vorliegenden Fragestellung deckt ein großes Spektrum ab. Sie reicht von der Aussage, dass Gott selbst als Krieger/Kriegsherr erscheint (2. Mose 15,3) bis zum Gebot der Feindesliebe bei Jesus (Matthäus 5,44). Diese Unterschiede lassen sich nicht so auflösen, dass man zwischen dem Gott des Alten und dem des Neuen Testaments unterscheiden könnte, wie es der Irrlehrer Marcion behauptet hat. Auch kann man nicht sagen, Gott habe sich zwischen den Testamenten in grundsätzlicher Weise gewandelt, so dass er mit sich selbst nicht mehr identisch sei. Beide Testamente sprechen vom selben Gott: dem einen und einzigen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, der sich an Israel gebunden hat (Altes Testament) und in Jesus Christus das Heil der Welt erwirkt hat (Neues Testament). Damit entfällt die Lösung, den Gott des Alten Testaments hinter sich lassen und durch den Vater Jesu Christi ablösen zu können. Dies ist nicht möglich. Christen glauben an den Gott der Bibel. Das ist ihr Ausgangspunkt.
Entscheidend für die theologische Bewertung ist zu sehen, auf welcher Ebene biblische Texte angesiedelt sind. So mancher Bibeltext, der Christen spontan in den Sinn kommt, leistet zum Thema Krieg keinen oder nur indirekt einen Beitrag. So gehört das 5. Gebot („du sollst nicht morden“) zur sogenannten zweiten Tafel der Zehn Gebote und damit in die Individualethik (zwischenmenschliche Beziehungen). Ebenso Jesu Wort, die rechte Wange hinzuhalten (Matthäus 5,39). Dieses Wort ist außerdem kein Gebot für alle Lebenslagen, sondern ein Beispiel für deeskalatives Verhalten in alltäglichen Konfliktsituationen. Beide Weisungen können im Bereich der Staatsethik – und auf dieser Ebene ist das Thema Krieg anzusiedeln – nur bedingt angewandt werden. Die Seligpreisung der Friedensstifter (Matthäus 5,9) mahnt dazu, nichts unversucht zu lassen, Konflikte in den Frieden zu überführen. Friedensstifter braucht es im Alltag ständig. Auf internationaler Ebene sind sie vor, aber auch nach Kriegen von hohem Wert. Den Krieg verhindern können sie oft nicht.
Altes Testament
Das Böse – und damit auch die Gewalt – ist eine Folge des Sündenfalls (vgl. 1. Mose 3 – 4). An Gewalttat nimmt Gott Anstoß (vgl. 1. Mose 6,11-13). Was Krieg anbelangt, ergibt sich ein überraschend differenziertes Bild. In der Bibel finden sich Kriege, die Gott anordnet (zum Beispiel 1. Chronik 5,22; Jeremia 48,9-10), andere kritisiert er (zum Beispiel 4. Mose 14,39-45), wieder andere gelten als Gottes Strafe für sein ungehorsames Volk (2. Chronik 16,9). In 1. Samuel 17,47 kann es sogar heißen: „Der Krieg ist des Herrn“ (vgl. 2. Mose 17,16; 5. Mose 20,1-4; 1. Könige 8,44). Dabei kann der Aspekt, dass Schuldige nicht ungestraft davonkommen dürfen, eine Rolle spielen (1. Mose 15,6; Jeremia 51; prinzipiell: 1. Mose 9,6).
Andererseits gehört Krieg nicht zum Wesen Gottes. So wird in Psalm 68,31 Kriegstreiberei bekämpft. Und in 1. Chronik 22,6-9 wird es David untersagt, den Tempel Gottes zu bauen, weil er viel Kriegsblut an seinen Händen hat – obwohl David seine Kriege mit Gott führte. Hier kann man Gottes Haltung sehen: Krieg soll zwar nicht sein, muss aber manchmal sein, steht aber letztlich gegen den eigentlichen Willen Gottes. Aus dieser Perspektive wundert es nicht, dass Gott am Ende ein weltweites Friedensreich aufrichten wird, in dem es keine Kriege mehr geben wird (Jesaja 2,1-5).
Dennoch geschehen die Kriege Israels vielfach im Auftrag und unter dem Beistand Gottes: Der Krieg gegen Amalek entscheidet sich an den erhobenen Armen des betenden Mose (2. Mose 17,8-13). Im Buch Josua zieht die Bundeslade (die Gegenwart Gottes) vor den Truppen Israels ins verheißene Land. Im Richterbuch erweckt Gott siegreiche Militärführer und David schlägt Goliath „im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes der Schlachtreihen Israels“ den Kopf ab (1. Samuel 17). Man könnte diese Kriege als Gotteskriege bezeichnen, da sie unmittelbar mit Gott in Verbindung stehen. Sie finden sich vor allem in der Frühzeit des alten Israel, werden in der Zeit des geteilten Israel weniger und enden später ganz, um in Endzeittexten (im Rahmen der Kämpfe um die Wiederherstellung Israels) wieder zu erscheinen (zum Beispiel Sacharja 12-14).
Jesus Christus
Jesus Christus war ein Mann der Gewaltfreiheit und des Friedens. Beides prägt seine Ethik. Jesu Ethik ist jedoch keine allgemeine Ethik für jedermann, sondern hat einen besonderen Zuschnitt. Denn Jesus war kein Philosoph oder bloßer Weisheitslehrer, sondern der Messias. Als Messias war Jesus der eine und höchste Repräsentant der basileia tou theou, des Reiches Gottes, das durch ihn anbrach (Markus 1,14+15). Das gesamte Wirken Jesu ist somit unter dem Vorzeichen zu sehen, dass es die Herrschaft Gottes bringt, ausbreitet und repräsentiert. Dies gilt auch für Jesu Ethik. Die Ethik Jesu ist (1.) Reich-Gottes-Ethik. Sie gilt dem, der zu diesem Reich gehört (Kolosser 1,13).
Jesu Ethik ist zugleich an den Glauben und die Nachfolge gebunden; sie ist also (2.) Jüngerethik. Diese Ethik ist auf der individuellen Ebene angesiedelt. Denn Jüngerschaft ist eine persönliche Angelegenheit und betrifft jeden Christen je für sich. Menschen müssen somit erst zu Jüngern „gemacht“ werden (matheteúo), bevor sie in der Ethik Jesu unterwiesen werden (Matthäus 28,18-20).
Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Matthäus 5,14). Denn durch sie strahlt das Licht Gottes in die Finsternis. Jesu Ethik ist also (3.) Kontrastethik, keine Allgemeinethik, wie auch die Gemeinde Jesu Kontrastgesellschaft ist (Lohfink) und im Gegensatz zur Welt steht. Jesu Ethik Ungläubigen oder Kollektiven abzuverlangen, ist übergriffig und theologisch verfehlt.
Jesu Jünger repräsentieren ihren Meister. Sie sind dem Frieden und der Gewaltfreiheit verpflichtet, die Jesus selbst gelebt und seinen Nachfolgern aufgetragen hat (zum Beispiel Lukas 22,49-51). Auf diese Weise nehmen sie vorweg, was einst in der Vollendung global gelten wird: die Herrschaft Gottes. Dann wird es keine Gewalt und keinen Krieg mehr geben (vgl. Jesaja 11). Doch dort sind wir noch nicht. Das große Wort, dass Schwerter zu Pflugscharen werden (Jesaja 2,4; Micha 4,3), gehört nicht in die heutige Zeit. Es gehört in das ewige Friedensreich, das Jesus einst schaffen wird, wenn er wiederkommt. An dieser Stelle fällt allerdings auf, dass Jesus bei seiner Rückkehr die Herrschaft Gottes mit Gewalt durchsetzen wird (Endgericht). Drastisch schildert dies der Seher Johannes. Johannes stellt den wiederkommenden Jesus als Kriegsherrn dar, der einen blutig-kriegerischen Kampf führt (Offenbarung 14,14-20; 19,11-21). Erst danach wird Friede sein. Dann aber überall und für immer.
Im Hintergrund kann man die „Kriegsgesetze“ von 5. Mose 20 sehen. Feindlichen Städten soll zunächst Frieden angeboten werden. Wird dieser ausgeschlagen, folgt die militärische Vernichtung (V. 10-14). Ähnlich Jesus: Sein erstes Kommen steht für sein Friedensangebot; sein zweites steht unter dem Vorzeichen des Endgerichts in all seiner Härte (nach 2. Thessalonicher 1,8 ist es sogar ein Akt der Vergeltung). Dies entspricht dem alttestamentlichen goël, der Erlöser und Bluträcher sein kann (4. Mose 35,19; Hiob 19,25; Jesaja 63,4).
Jesus hat weder eine Allgemeinethik erlassen noch eine Staatsethik. Zum Thema Krieg hat sich Jesus ethisch nicht geäußert, wie auch zu den meisten anderen Themen gesellschafts- oder weltpolitischer Art nicht.[1] Von Jesus lässt sich nur lernen, wie Christen persönlich leben sollen. Damit haben wir genug zu tun. Alle anderen Fragen müssen (insbesondere in Demokratien) anders entschieden werden, nämlich auf dem Weg des gesellschaftlichen Diskurses. Christen können sich hier einbringen, doch haben sie nicht das Monopol auf den richtigen Weg. Eine Politik im Namen Gottes ist nicht möglich, da wir Gottes Willen zu tagespolitischen Fragen nicht kennen. Somit gibt es keine christliche Politik. Es gibt aber – Gott sei Dank! – christliche Politiker. Politik regiert mit weltlichen Mitteln die gefallene Welt. Mehr kann sie nicht leisten, einen höheren Anspruch darf sie nicht erheben. Dies wird sich erst ändern, wenn Jesus wiederkommt und das Reich Gottes weltweit durchsetzen wird.
Johannes der Täufer
Zum Thema Krieg hat sich ein Gottesmann geäußert, der Jesus nahestand: Johannes der Täufer. Johannes war ein Umkehrprediger und ein geistlicher Ethiker, der moralische Orientierung vermittelte. Nun ist es interessant, dass Johannes indirekt auf das Thema Krieg zu sprechen kam. Denn in seiner „Standespredigt“ in Lukas 3 lehrt der Täufer, wie sich Soldaten im Kriegsfall zu verhalten haben:
Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! (V. 14)
An dieser Stelle fällt auf, dass Johannes den Beruf des Soldaten nicht ablehnt, sondern nur dessen Missbrauch. Er fordert die Soldaten nicht auf, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, doch sollen sie darauf achten, sich in einem bestimmten Rahmen zu bewegen: keine willkürlich-exzessive Gewalt jenseits der Kampfmaßnahmen (wie zum Beispiel enthemmter Blutrausch, Vergewaltigungen, Tötung von Unbeteiligten); kein Unrecht an Zivilisten in eroberten Gebieten; keine Selbstbereicherung durch Plünderungen und Ähnliches. Das sind Aspekte, die heute jede Armee, die moralisch etwas auf sich hält, befolgt.
Paulus
Eine wichtige staatsethische Passage findet sich beim Apostel Paulus. Paulus führt in Römer 13,1-7 aus, dass staatliche Obrigkeit eine Einrichtung von Gott ist. In Vers 4 benennt Paulus ihre Aufgaben:
Sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. […] Sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut.
Der Staat hat laut Paulus eine klare Funktion: Er sorgt für Recht und Ordnung und setzt diese entschieden durch – durchaus mit Gewalt (Schwert). Er bekämpft das Böse und fördert das Gute und ist auf diese Weise im Auftrag Gottes unterwegs. Dies tut er nach innen hin, möglicherweise aber auch nach außen. So haben die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg Verantwortung übernommen, Deutschland von der Pest der Nazis zu befreien. Dies geschah unter enormem Einsatz von Menschenleben, Material und Finanzmitteln, wofür man bis heute dankbar sein kann. Dies ist ein Beispiel, wie sich staatliche Gewalt im positiven Sinn nach außen richten kann, und so ihrer internationalen Verantwortung gerecht wird.
Gott hält Gewalt im Bereich der sündhaften Welt für ein adäquates Mittel, um das Böse zu bekämpfen. Denn würde der Staat dies nicht tun, dann würde das Böse über kurz oder lang dominieren. Überträgt man dieses Prinzip auf die Frage nach der Berechtigung von Krieg, so muss man sagen, dass es Kriege gibt, die gerechtfertigt sind, nämlich die Kriege, die geführt werden, um das Böse zu bekämpfen. Zu diesen Kriegen gehören auf jeden Fall Verteidigungskriege, aber auch Kriege, die nicht nur im Eigeninteresse liegen, sondern höheren Zielen dienen. Hier kann man beispielshaft an den kleinen Staat Israel erinnern, der den Mut hat, gegen Terrororganisationen vorzugehen, die die ganze Welt bedrohen.
An dieser Stelle zeigt sich die Schwäche aller Konzepte, die Krieg und Gewalt generell ablehnen: Sie überlassen die Welt den Bösen, die keine Hemmungen haben, ihre Macht mit Gewalt auszudehnen, Menschen zu unterdrücken und mit Terror zu regieren. Am Ende liegt die Herrschaft in den Händen von Terroristen, Banden, Verbrechersyndikaten und Gewalttätigen, wie es in manchen Teilen der Welt, die unregierbar geworden sind, bereits der Fall ist. Dagegen muss vorgegangen werden, und das ist Aufgabe des Staates. Verweigert sich der Staat dieser Verantwortung, kann dies ein Akt gegen Gott sein. Denn auf diese Weise bekommt das Böse Raum. Das ist kein Weg zum Frieden. Pazifismus ist nur dann ein schlüssiges Konzept, wenn alle Pazifisten sind.
Fazit: Wir leben in einer gefallenen, ja bösen Welt. Das Böse kann man auf zweierlei Weise bekämpfen: (1.) durch den Ruf zum Glauben / zur Bekehrung und (2.) durch staatliche Gewalt. Beides ist laut Paulus im Willen Gottes.
Luthers Zwei-Reiche-Lehre
Dieser Gedanke führt hin zu einem der wichtigsten staatsethischen Modelle der Theologie: der Zwei-Reiche-Lehre Luthers. Luther hat gesehen: Es gibt nicht nur ein Reich, sondern zwei. Neben dem Reich Gottes, das durch Jesus anbrach und durch die Gemeinde Jesu verbreitet wird, gibt es das Reich der Welt. Beide Reiche unterscheiden sich grundsätzlich voneinander. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, beide Reiche nicht miteinander zu verwechseln oder sie zu vermischen. Wichtig ist: Gott ist in beiden Reichen der Herr – nur je anders.[2]
Luther hat strikt zwischen Gemeinde Jesu und Staat unterschieden. Die Gemeinde Jesu wird von Jesus regiert und Jesus herrscht durch sein Wort. Das Böse wird in der Gemeinde Jesu nicht mit Gewalt bekämpft, sondern mit dem Wort Gottes, das zur Umkehr führt und Richtung gibt. Anders der Staat. Der Staat untersteht einem weltlichen Regiment. Er hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass durch Gesetze, Strafverfolgung, ja Gewaltmaßnahmen das Gute belohnt und das Böse bestraft wird. Beide Regierungsweisen dienen dem Guten. Gewalt ist zwar in der Gemeinde Jesu verpönt, nicht aber in der Hand des Staats. Dort hat sie noch immer ihr Recht. Von dieser Erkenntnis aus ergibt sich die Perspektive, dass es auch militärische Gewalt im Sinne von Kriegshandlungen geben kann, die gerechtfertigt ist.
Zur Konkretion kann man (bei aller Kritik an den Vereinten Nationen) auf die UN-Charta verweisen.[3] Zum Thema Krieg benennt sie folgende Grundsätze, die im Prinzip auch aus christlicher Sicht unterstützt werden können:
Verbot eines Angriffskrieges (Wahrung der nationalen und territorialen Integrität anderer Staaten)
Recht auf Selbstverteidigung (militärische Gegenmaßnahmen im Angriffsfall bei gleichzeitigem Schutz der Zivilbevölkerung etc.)[4]
Verantwortung des UN-Sicherheitsrats für den Weltfrieden (Beurteilung von Konfliktfällen und Regelung des Eingreifens der Völkergemeinschaft)
Friedliche Beilegung von Konflikten als grundsätzliches Ziel (Vorrang gewaltfreier Wege).
Deutlich ist, dass ein Krieg nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn er nicht aus dem Geist der Kriegstreiberei heraus entsteht (vgl. Psalm 68,3). Krieg zu fördern und anzustreben, ist nie gerechtfertigt, weil auf diesem Weg gewaltfreie Lösungswege umgangen werden, um den Krieg als das, was man tatsächlich will, zu erreichen. Dies ist zu verurteilen. Ein Krieg kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn er von Menschen geführt wird, die Krieg nicht wollen.
Gibt es den „gerechten Krieg“?
In der theologischen Tradition gibt es seit Augustinus die Lehre vom gerechten Krieg (bellum iustum), die immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Sie steht mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre im Einklang. In dieser Tradition werden hohe Maßstäbe angelegt. Ein Krieg kann nur dann als gerecht gelten, wenn er (1.) einen legitimen Grund hat (zum Beispiel Selbstverteidigung / Schutz Unschuldiger), wenn (2.) alle anderen Mittel ausgeschöpft sind und (3.) das erwartete Ziel höher zu gewichten ist als der Schaden, der durch den Krieg angerichtet wird. Doch reichen diese Kriterien hin, um einen Krieg als gerecht bezeichnen zu können? Kann Krieg, wie begründet er auch sein mag, wirklich gerecht sein?
Das Problem: Die genannten Kriterien (mit Ausnahme der Selbstverteidigung) sind keine Maßstäbe, die zu einer objektiven Bewertung eines Kriegs führen könnten. Ganz im Gegenteil: Sie führen lediglich zu subjektiven Urteilen des eigenen Ermessens. Damit ist jedoch auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Kriege werden von denen, die sie führen, immer als gerecht qualifiziert. Von daher muss man sagen: Das Attribut der Gerechtigkeit passt nicht zur Grausamkeit eines Krieges; es wirkt sogar beschönigend. Von daher empfiehlt es sich, auf die Rede vom gerechten Krieg zu verzichten. Krieg ist nie gerecht.
Dennoch gibt es Situationen, in denen es gerechtfertigt ist, Krieg zu führen – darauf wollen die Vertreter der bellum-iustum-Tradition ja hinaus. Es handelt sich um Extremfälle, in denen Krieg das letzte, aber notwendige Mittel ist, um Schlimmeres zu verhindern (s. o.). In diesem Fall ist jedoch nicht der Krieg gerecht, sondern die Sache, um die es geht. Diese Unterscheidung ist von elementarer Bedeutung. Jeder Krieg verletzt die Menschheit, das Menschsein und die Würde des Menschen. Hinter diese Aussage darf man nicht zurückgehen. Die jüdischen Weisen wissen das, wenn sie sagen: „Stirbt ein Mensch, stirbt die ganze Welt“ (Talmud San 37a). Diese Einschätzung hat zur Konsequenz, dass Kriegstreibende hinterfragt, ja angeklagt werden, und das ist gut so. Wer zum Mittel des Krieges greift, muss sich rechtfertigen: vor der Menschheit und vor Gott. Dazu muss er gute und glaubwürdige Gründe vorbringen. Und er muss sich rechtfertigen für die Art, wie er den Krieg führt.
Krieg kann man nur rechtfertigen, wenn man dem Prinzip folgt: Der (gute) Zweck heiligt die (fragwürdigen) Mittel. Anders geht es nicht, da das Mittel des Krieges an sich nun mal kein gutes ist. Dieses Prinzip wird in der Ethik höchst kritisch gesehen und wird keinesfalls als allgemeingültig anerkannt. Dass es bei der vorliegenden Fragestellung zur Anwendung kommt, zeigt einmal mehr, in welchen Grenzbereichen man sich bewegt, wenn man Krieg rechtfertigt. Krieg kann somit nur im Sinne einer ultima ratio, einer Letztmaßnahme, gerechtfertigt werden. Gerade als solche aber kann er notwendig, ja moralisch geboten sein. Wer sich scheut, Letztmaßnahmen zu ergreifen, der fällt dem zum Opfer, der diese Scheu nicht hat, und das sind nicht die Guten auf dieser Welt.
Dem Bösen muss gewehrt werden, notfalls mit Gewalt. Diese Erkenntnis mag einem widerstreben. Doch kommt man nicht um sie herum.
[1] In Lukas 14,31-33 lehrt Jesus nicht über Krieg, sondern nimmt die vorausschauenden Abwägungen von Kriegsherren als Beispiel, „die Kosten zu überschlagen“ – nämlich die Kosten der Nachfolge (V. 33: „so auch ihr“).
[2] Näheres unter www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Zwei-Reiche-Lehre.
[3] www.dgvn.de/charta-der-vereinten-nationen.
[4] Im Blick auf Israel ist dieser Aspekt hervorzuheben. Israels Kriege dienen ausschließlich der Verteidigung. Der Schutz der Zivilbevölkerung wird großgeschrieben, die IDF unterliegt hohen moralischen Standards. Israel will nicht Krieg, sondern Frieden (vgl. Israels Unabhängigkeitserklärung: www.embassies.gov.il/berlin).
Fußnoten