Mit seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten ist Donald Trump ein unerwartetes politisches Comeback gegen alle Wahrscheinlichkeit gelungen. Doch was bedeutet sein Wahlsieg für Israel und den Nahen Osten? Eine Analyse.
Von Josias Terschüren
Nie zuvor musste ein Präsidentschaftskandidat neben dem politischen Kampf auch noch so hohe anderweitige Hürden nehmen, um ins Weiße Haus zu gelangen: Zwei Amtsenthebungsverfahren, mehrere Gerichtsprozesse und zwei Attentatsversuche stehen gegen ihn zu Buche. Überlebt und überstanden hat er sie alle. Mehr noch: Getragen von der Unterstützung der abgehängten Arbeiterklasse und Mittelschicht haben ihn gerade diejenigen zum 47. Präsidenten der USA gewählt, die sicher zum Lager der Demokraten gerechnet wurden: Latinos, schwarze und jüdische Wähler.
Der Wahlsieg des oft vulgär und taff auftretenden, vielgescholtenen Milliardärs, der gleichzeitig auf seinen Ralleys Massen anzieht und als social-media-affiner Entertainer ein sehr effektiver Kommunikator ist, fiel unerwartet deutlich aus: Trump hat Kamala Harris um mehr als fünf Millionen abgegebener Stimmen in der „popular vote“ übertroffen, 312 Wahlmänner für sich gewinnen können (270 sind für die Präsidentschaft notwendig), den Senat mit einer stabilen republikanischen Mehrheit hinter sich und seit Mitte November auch das Repräsentantenhaus auf seiner Seite.
Hinzu kommt, dass der Oberste Gerichtshof in den USA derzeit über eine stabile konservative Mehrheit verfügt und die republikanische Partei nach innen sehr geeint ist. Sie hat zudem im Verlauf des Wahlkampfes deutlich an Unterstützung und Breite gewonnen. Als i-Tüpfelchen ist bei den Republikanern, anders als bei den Demokraten, der Generationswechsel an entscheidenden Stellen bereits vollzogen.
Trump ist damit in seiner finalen Amtszeit mit einer unglaublichen Machtfülle ausgestattet, verbunden mit dem klaren Mandat der Wähler, die Probleme des Landes robust anzugehen und die Zustände radikal zu verändern. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht das Flottmachen der Wirtschaft, dicht gefolgt von der inneren Sicherheit. Die hat unter Biden sehr gelitten und so wurden offene Grenzen, die hohe Zahl illegaler Einwanderer und dadurch ausgelöste Sekundärproblematiken wie erhöhte Kriminalität, Obdachlosigkeit, Menschenhandel, Drogenschmuggel und -konsum, sowie die Bedrohung der kohäsiven Kräfte innerhalb der Gesellschaft ein entscheidendes Thema dieser Wahl.
Frieden durch Stärke
Doch auch außenpolitisch deutet sich ein klarer Wandel amerikanischer Politik an. Es ist zu erwarten, dass Trump, der im Wahlkampf erklärte, auch in seiner zweiten Amtszeit ein Friedenspräsident sein zu wollen, an seinem Kurs „Frieden durch Stärke“ festhalten wird. Dieser Ansatz nutzt die strategischen Vorteile der USA, um außenpolitisch mit starker Hand Ergebnisse im eigenen Sinne durchzusetzen: die Hoheit über den Dollar als internationale Leitwährung, die Durchschlagskraft des US-Militärs, die Stärke des US-Marktes als Sanktionsmittel, indem die Androhung von Einschränkungen oder Verboten auf dem US-Markt tätig zu sein als wirtschaftliches Schwert in den Kampf geführt wird, das US-Veto im UN-Sicherheitsrat sowie die US-Kontrolle der NATO und den Status als Schutzmacht westlicher Demokratien.
Zusammen mit der Trumpschen Denkweise eines Deal-Makers hat dieser Ansatz in seiner ersten Amtszeit der gängigen Weisheit zum Trotz erstaunliche Ergebnisse gezeitigt: Seine unverhohlenen Pro-Israel-Schritte, die Golan-Höhen als israelisch anzuerkennen, Jerusalem zur israelischen Hauptstadt zu erklären, die US-Botschaft dorthin zu verlegen und die Ersetzung der US-Doktrin des Hansell-Memorandums durch die Pompeo-Doktrin führten in Summe zu dem Durchbruch der Abraham-Abkommen. Erstmals hieß die Friedensformel nicht mehr „Land für Frieden“, sondern „Frieden für Frieden“.
Herbert Hansell war juristischer Berater des US-Außenministeriums unter Präsident Carter. In seinem seitdem zur Doktrin erhobenen Memorandum argumentierte er im Jahr 1978, dass israelische Siedlungen per se als völkerrechtlich illegal anzusehen seien. US-Außenminister Mike Pompeo kehrte zur US-Politik der Reagan-Ära zurück, indem er das Hansell-Memorandum annullierte und erklärte, dass „die israelischen Siedlungen nicht mehr als per se völkerrechtswidrig“ zu betrachten seien. Auf diesem Zwischenergebnis dürfte Trump in seiner zweiten Amtszeit aufbauen, später mehr dazu.
Personal ist Politik
Bereits eine Woche nach dem Wahlerfolg begann Trump damit, Nominierungen für Ministerposten und Schlüsselpositionen in seinem Team bekannt zu geben. Einige Nominierungen müssen noch vom Kongress bestätigt werden, bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen in den meisten Fällen eine reine Formsache. Eine entscheidende Lehre aus Trumps diesbezüglich turbulenten ersten Amtszeit bestand darin, peinlichst genau auf die Auswahl seines Personals zu achten, denn „people are policy“, Personal ist Politik.
Was bei den Kandidaten der Harris-Kampagne für Israel ein böses Omen gewesen wäre, ist bei Trump das Gegenteil. Trumps Nominierungen für wichtige Posten mit außenpolitischem Bezug sprechen allesamt eine eindeutige Sprache: Die US-Außenpolitik unter Trump wird sehr viel israelfreundlicher werden. Angefangen von den designierten Ministern Marco Rubio für Außen und Pete Hegseth für Verteidigung, über den nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz und UNO-Botschafterin Elise Stefanik bis zu dem neuen US-Botschafter in Israel, dem evangelikalen Baptistenprediger und ehemaligen Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee.
Trumps Startaufstellung deutet eine klare und starke Linie gegen den Iran und seinen unheilvollen Einfluss in der Region und darüber hinaus an. Die überschwängliche Reaktion aus Jerusalem spricht Bände. Der kriegsgeplagte und so friedensbedürftige Nahe Osten kann neue Ansätze und einen frischen Wind gut gebrauchen. Anders als die Vorgängerregierung steht das Trump-Team für die Ansicht, nicht der palästinensisch-israelische Konflikt, sondern das bösartige Gebaren und Tun des iranischen Regimes sei das Grundübel des Nahen Ostens heute. Zu rechnen ist mit der Fortführung der Strategie maximalen Drucks gegen den Iran aus der ersten Amtszeit Trumps. Also mit harten Sanktionen und einer Ausweitung der Abraham-Abkommen.
Mit Mike Huckabee wird zum ersten Mal ein nicht-jüdischer US-Botschafter nach Israel entsandt, eine Ehrung und Anerkennung der wichtigen Rolle, die christliche Zionisten in den Beziehungen zu Israel spielen. Elise Stefanik, die sich mit ihren unnachgiebigen und pointierten Nachfragen in den Anhörungen von Universitätspräsidenten zu den antisemitischen Skandalen auf ihrem Campus vor dem US-Kongress einen Namen machte, wird die Vereinten Nationen für ihre Heuchelei, ihren Antisemitismus und ihre zwanghafte Israelbesessenheit in die Mangel nehmen.
Gescheiterte UN-Institutionen, die in der Vergangenheit als Tarn- und Hilfsorganisationen für Terroristen von Hamas, Hisbollah & Co. fungiert haben, etwa UNRWA, UNIFIL oder der Internationale Gerichtshof, müssen mit harten Konsequenzen rechnen. Auch Lieferengpässe, Verzögerungen und Einschränkungen in dem, was Israel an militärischen Mitteln zur Verfügung gestellt wird, dürften unter der neuen Administration der Vergangenheit angehören.
Gefährliche „lahme Ente“
Bis zum Amtsantritt Trumps wird die bisherige US-Administration unter Biden alles in ihrer Macht Stehende versuchen, die Durchsetzung der Trump-Doktrin und Politik zu verhindern und ihr möglichst hohe Blockaden zurückzulassen. So wie dereinst Barack Obama in seiner „lame duck-Session“, also in dem nach der Wahl verbleibenden Teil seiner Amtszeit, währenddessen seine Abwahl schon feststeht, könnte auch Biden Israel noch immer schweren Schaden zufügen.
Obama hatte damals hinter den Kulissen die UN-Sicherheitsratsresolution 2334, die israelische Siedlungen, als „völkerrechtlich illegal“ brandmarkte, zunächst erarbeiten und dann von anderen Nationen einbringen lassen, um sie mit einer Enthaltung der USA am eigenen Veto vorbei passieren zu lassen. Eine zweite geplante Resolution mit konkreter Deadline für die Errichtung eines palästinensischen Staates und Strafen für Israel bei Nichteinhaltung hatten Israels Premier Benjamin Netanjahu und Trump damals verhindert. Sie hatten ausgerechnet Russlands Präsidenten Wladimir Putin dazu gebracht, mit einem Veto zu drohen. Die wenig demokratisch gesinnte politische Genialität Obamas bestand darin, solche Vorhaben, für die er im US-Kongress keine Mehrheit gehabt hätte, über den UN-Sicherheitsrat am US-Kongress vorbei Amerika überzustülpen.
Diesem Beispiel, so fürchten führende Experten, könnte Biden nun folgen. Mögliche Ziele könnten etwa die Anerkennung Palästinas als Staat sein oder Sanktionen gegen die israelischen Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Beide Schritte würden den Status Quo zu Ungunsten Israels erheblich verschieben. Das abzuwenden dürfte auch einer der Gründe für den Besuch von Israels Staatspräsident Isaak Herzog bei Biden Mitte November gewesen sein.
Israels Recht den Krieg gegen den Terror zu gewinnen
Trump hat im Wahlkampf mit einem einzigen Satz seine Linie für den Umgang mit den existenziellen Konflikten und Kriegen zu erkennen gegeben, in die Israel seit dem 7. Oktober 2023 verwickelt wurde: „Ich werde Israels Recht unterstützen, den Krieg gegen den Terror zu gewinnen.“ Genau das hat die Biden-Administration bislang nie zugelassen, sondern zur Wahrung der Möglichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung stets darauf gedrungen, dass Israel sich mit seiner Übermacht zurückhält. Israel war im biblischen Bild gesprochen ein von den Brüdern gebundener Kämpfer, wie dereinst Simson.
Während Israel unter Biden dessen rote Linien bezüglich des Einmarsches in Rafah, der Ausschaltung von Hamas-Chef Ismail Hanijeh oder Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah eigenmächtig übertreten und unter hohem politischem Druck gegen den Willen Washingtons durchsetzen musste, dürften die verbleibenden Einschränkungen nun fallen, vorausgesetzt, diese beschleunigen das Ende des Krieges. Es ist unwahrscheinlich, dass Netanjahu Biden in seiner „lame duck-Session“ die Ehre zuteilwerden lässt, auf den letzten Metern noch Frieden im Nahen Osten errungen zu haben. Diesen Lorbeerkranz wird der strategische Fuchs Netanjahu wohl dem frisch inaugurierten Trump aufsetzen. Vorher muss er aber Israels Kriegsziele erreichen: Die Freilassung der Geiseln, die Zurückdrängung und Zerschlagung von Hamas und Hisbollah, Ruhe im Norden und Süden des Landes und die Dezimierung der Huthis im Jemen.
Der Druck auf Hamas und Hisbollah oder das, was von ihnen noch übrig ist, und ihre Unterstützer in Katar, der Türkei und im Iran dürfte zunehmen. Und auf Israels Prioritätenliste steht die Ausschaltung des iranischen Atomprogramms ganz oben. Der neue israelische Verteidigungsminister Israel Katz hat bereits offen davon gesprochen, dass der Moment dafür noch nie günstiger war. Die israelische Regierung und Opposition sind sich darin einig, dass das Atomprogramm ausgeschaltet werden muss, und diese parteiübergreifende Einigkeit ist in politischen Fragen im heutigen Israel so selten wie ein Albino in freier Wildbahn.
Trumps Nahostpolitik bestand schon immer darin, seine Verbündeten als souveräne Staaten, nicht als Vasallen zu behandeln und sie dazu zu ermächtigen, regionale Konflikte im gemeinsamen Interesse selbst bewältigen zu können. Es gibt keinen näheren, mächtigeren und besser geeigneten Partner für diese Strategie als Israel und Benjamin Netanjahu. Ausgerechnet der bei den Europäern als rotes Tuch geltende Netanjahu ist für Trump ein Schlüssel, den neuen Nahen Osten zu erschließen. Diese Rolle spielte er bereits in der Anbahnung der Abraham-Abkommen und die wird er auch in den kommenden Jahren spielen. Er war deshalb auch weltweit der zweite Staatschef, der Trump zur Wiederwahl gratuliert hat.
Vielleicht vermag ja eine CDU-geführte Bundesregierung die Potenziale für die Außen-, Wirtschafts- und Energiepolitik zu bemessen und zu ergreifen, die im Nahen Osten nur darauf warten, ausgeschöpft zu werden. Dazu müsste deutsche Nahostpolitik die oberlehrerhafte Tugendprotzerei ebenso aufgeben, wie das Festklammern an überholten Dogmen liebgewordener Friedensansätze. Dem heutigen Nahen Osten ist auf Augenhöhe und vor allem pragmatisch zu begegnen. Wer Israel dabei als Teil des Problems und nicht der Lösung begreift, hat noch nicht verstanden.
Gerade nach den militärischen Erfolgen Israels in dessen Verteidigungskriegen sind die Neuordnung der Region und das Hervorkommen von echtem Frieden und Sicherheit möglich und in greifbarer Nähe. Denn nachdem Israel in seinem Umfeld die größten Terrornester der Welt ausgenommen hat, warten ein neuer Naher Osten und eine hohe Friedensdividende darauf, entdeckt und aus der Taufe gehoben zu werden.
Dass dabei neue Ansätze gefunden und neue Wege gegangen werden müssen, wird mehr und mehr Beobachtern der Region klar. Die „heilige Kuh“ der Zwei-Staaten-Lösung könnte dabei auf der Resterampe landen. Denn mit Huckabee und David Friedman, dem ehemaligen US-Botschafter unter Trump, der zu der Thematik gerade ein aufschlussreiches Buch unter dem Titel „One Jewish State“ (ein jüdischer Staat) veröffentlicht hat, gibt es starke Stimmen in der neuen US-Regierung für die Anerkennung von Judäa und Samaria als israelisches Staatsgebiet.
Sind Palästinenser die neuen Puerto-Ricaner?
Friedman argumentiert in seinem Buch, dass Israel Teil der Lösung, nicht des Problems sei und dass ausgerechnet die Annexion Judäas und Samarias der Schritt sei, der letztlich echtem Frieden zum Durchbruch verhelfen würde. Er führt aus, dass es Palästinensern nirgends in der Region besser ginge als als Minderheit im jüdischen Staat. Er schlägt deshalb die Annexion Judäas und Samarias vor und die Aufnahme aller Palästinenser in einen bürgerlichen Sonderstatus, mit eingeschränkten Pflichten (Ausnahme von der Wehrpflicht und Steuererleichterungen) bei voller Autonomie in der regionalen Selbstverwaltung und eingeschränkten Rechten (kein Wahlrecht in nationalen Wahlen).
So könnte Israel ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben und das Dilemma einer Ein-Staaten-Lösung, das Existenzrecht Israels als jüdischem Staat auf demografischem Wege zu untergraben, wäre gelöst. In Friedmans Worten sei „Israel die einzige Nation, die die Palästinenser ins 21. Jahrhundert zu bringen vermag“. Als historisches Beispiel für eine ähnliche Lösung führt er Puerto Rico an, das im Jahr 1917 von Amerika annektiert wurde und seither zum US-amerikanischen Territorium gehört. Puerto-Ricaner sind US-Staatsbürger, zahlen weniger Steuern und haben kein Wahlrecht bei US-Wahlen. Bei Naturkatastrophen erfreuen sie sich aber beispielsweise der vollen Unterstützung der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA.
Ein solcher Schritt bedeutete eine völlige Abkehr von der Zwei-Staaten-Lösung als bisherige Formel zur Lösung des Konflikts. Auch wenn ein solcher Schritt damit konträr zur gemeinhin angenommenen Weisheit wäre, er stünde in einer Linie mit der bisherigen Nahostpolitik Trumps. Seine erste Amtszeit war ein Pflügen und Säen mit der Erstlingsfrucht der Abraham-Abkommen. Werden wir jetzt die Ernte sehen?
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 139. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.