Anatolis Sieg über die Nazis

Anatolis Sieg über die Nazis

Anatoli zeigt CSI-Mitarbeiterin Anemone seinen Stammbaum
Sein bebilderter Familienstammbaum – ein Geschenk seiner Tochter zum 90. Geburtstag – ist Anatolis Sieg über die Nazis. Alle Fotos: CSI

Auch wenn Anatoli mit seinem Vornamen im ukrainischen Krementschug nicht weiter auffällt – sein Nachname „Ajsenberg“ verrät seine familiäre Herkunft. Für den obligatorischen Eintrag der Nationalität im Personalausweis mussten die sowjetischen Juden nicht nur unter der nationalsozialistischen Besatzung leiden. Heute wird Anatoli durch das Patenschaftsprogramm von Christen an der Seite Israels (CSI) unterstützt. Nichts ist ihm so wichtig wie unser Besuch.

Von Anemone Rüger

Ob wir den selbstgemachten Kirschwein probieren wollen, werden wir gleich von Anatolis Tochter gefragt, als wir gerade über die Türschwelle getreten sind. Aber es ist nicht wichtig, ob wir wollen – wir müssen! Wenigstens ist es „nur“ Wein: Auch stärkere Getränke sind im Angebot.

Anatoli war neun, als der Krieg begann. Der ganzen Familie gelang die „Evakuierung“, also die gefährliche Flucht; für seine Familie ins russische Kubjansk. Was aus den Verwandten seiner Eltern wurde – darauf hat Anatoli keine Antwort. „Papa ist dann gleich an die Front geschickt worden. Er konnte Deutsch verstehen, er war ja mit Jiddisch aufgewachsen, deshalb haben sie ihn in eine Aufklärungseinheit gesteckt“, erzählt Anatoli. „Er kam nie wieder. Bald haben wir die Vermisstennachricht bekommen.“ 

In der Fremde wurde mitten im Krieg Anatolis Schwester geboren. „Dann kamen die Deutschen näher. Wir waren nur noch durch einen Fluss getrennt“, erinnert sich Anatoli. „Wir mussten wieder weg. Eine Frau vom nächsten Dorf ist mit Mama los, um einen Wagen zu holen, damit sie uns wegbringen kann. Gerade als sie weg waren und ich mit meinem Bruder dort allein war, ist ein Deutscher gekommen. Er hat in die Luft geschossen, um uns zu erschrecken, aber er ist bald wieder fort, weil in dem Haus nichts zu holen war.“

Eine Wärmflasche aus Deutschland hilft Anatoli, etwas besser durch den dritten Kriegswinter zu kommen.

Im nächsten Dorf war Anatolis Familie wieder etwas sicherer. „Da gab es einen Dorfältesten, Wassili. Er hat Mama geholfen“, so Anatoli weiter. „‚Maria‘, hat er gesagt, ‚du musst die Kinder taufen lassen!‘ So sind wir alle drei in kürzester Zeit dort getauft worden und Wassili hat für uns alle Pate gestanden. Dann kamen die Deutschen auch dorthin. Sie haben ihn zum Hilfspolizisten gemacht – was sollte er machen? Er war ein guter Mann. Er hat Mama immer gewarnt, wenn Gefahr für eine Razzia bestand.“

Wassili rettete Anatolis ganzer Familie das Leben. Doch nach dem Rückzug der Wehrmacht war nun plötzlich Wassili selbst in Gefahr. „Er war anständig geblieben, aber er wusste, was die Sowjets mit Leuten machen, die unter der deutschen Besatzung irgendeine Funktion hatten“, so Anatoli. „Eines Tages ist er in den Wald gelaufen und auf eine Mine getreten.“ Als Anatolis Mutter mit den Kindern nach Krementschug zurückkehrte, fand sie eine zu 90 Prozent zerstörte Stadt vor. Die Familie musste zunächst weiterziehen nach Poltava.

Heute hat Anatoli eine große Familie mit Kindern, Enkeln und Urenkeln. Stolz zeigt er uns die Fototafel, die ihm seine Tochter zum 90. Geburtstag gemacht hat. Diese Tafel ist Anatolis Sieg über die Nazis.

Mit Ihrer Hilfe kann unser Team den Überlebenden und Bedürftigen in den jüdischen Gemeinden helfen, durch den bevorstehenden dritten Kriegswinter zu kommen – mit einer Einmalspende „SOS Ukraine“ oder auch mit der Übernahme einer Patenschaft für bedürftige jüdische Senioren. Jeder Beitrag hilft!

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