Aramäer in Israel – Warum die Rückkehr zu den Wurzeln in die Freiheit führt

Aramäer in Israel – Warum die Rückkehr zu den Wurzeln in die Freiheit führt

Shadi Khalloul mit einer aramäischen Bibel aus dem 17. Jahrhundert. Foto: Jana Shimonov

Sie sind älter als das jüdische Volk, sehen sich als Christen der ersten Stunde und stehen treu zum Staat: die Aramäer in Israel. Zu dieser Minderheit gehört Shadi Khalloul aus dem Dorf Gisch nahe der libanesischen Grenze. Mit Christen an der Seite Israels hat er über sein Anliegen gesprochen, die Aramäer zu ihren Wurzeln zurückzuführen, denn die meisten von ihnen leben heute als Araber. Die Fragen stellte Dana Nowak.

Dana Nowak: 2014 hat Israel die Aramäer als eigenständige nationale Bevölkerungsgruppe anerkannt. Vorher waren sie als Araber eingestuft. Was hat sich für die aramäische Gemeinschaft seitdem verändert?

Shadi Khalloul: Die Anerkennung war eine große Errungenschaft. Ich habe viele Jahre hart dafür gearbeitet – angefangen damit, dass ich Aramäisch unterrichtet habe. Unsere Kirche hat mir einen Raum dafür zur Verfügung gestellt. Zwei Jahre lang haben mein Bruder und ich freiwillig Aramäisch gelehrt. 2009 durften wir unsere Sprache dann offiziell in einer Grundschule anbieten. Die arabische Stadtverwaltung und arabische Politiker waren dagegen und haben uns immer wieder Steine in den Weg gelegt.

Die Anerkennung von 2014 ist nicht nur etwas Symbolisches. Sie hat grundlegende Dinge verändert. Es geht nicht darum, dass deine Religion anerkannt ist, sondern deine Nationalität. Das ändert alles. Dann hast du das Recht, deine Sprache und deine Geschichte zu lehren. Du hast das Recht als Gemeinschaft zu leben, das Recht auf Schulbusse für deine Kinder wie die anderen Nationalitäten im Land.

In unserem Dorf leben viele Muslime. Vor der Anerkennung galten wir Aramäer als Araber und unterstanden so dem islamischen Lehrplan. Darin wird an den Schulen Arabisch und die islamische Geschichte gelehrt. Ich habe in der Schule alles über die Geschichte des Islam gelernt. Doch nichts über das Judentum und mein Volk, wie und wo wir uns entwickelt haben. Dieses fehlende Wissen entwurzelt uns. Im Islam beginnt die Geschichte mit Mohammed, als hätte es davor nichts gegeben.

Porträtfoto Mann
Hat sein Volk einige Jahre in der Politik vertreten: Shadi Khalloul. Foto: privat

Ich habe deshalb meine eigenen Kinder auf eine hebräische Schule geschickt. Ich möchte, dass sie Hebräisch und die ganze Geschichte lernen, in Koexistenz leben, die israelische Geschichte verstehen. Das alles lernen sie nicht an einer arabischen Schule. Diese hebräische Schule befindet sich in einem Kibbutz. Etwa 30 Familien schicken ihre Kinder dorthin. Aber es fuhr kein Schulbus. Das war ein Problem. Mit der Anerkennung unserer Nationalität hat sich das geändert und wir profitieren vom Recht auf freien Transport, der allen anerkannten Nationalitäten im Land zusteht.

Es gab Kirchen, die sich gegen die Anerkennung der aramäischen Nationalität in Israel ausgesprochen haben. Warum?

Ja, das war das Lateinische Patriarchat in Jerusalem. Als geistliches Oberhaupt sollte der Patriarch politisch neutral sein. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber das ist er nicht. Er ist in vielen Positionen politisch. Ich habe persönlich mit ihm gesprochen und ihn gefragt, warum er meine Bemühungen und die Anerkennung durch Israel verurteilt. Darauf sagte er, dass er von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) dazu gezwungen worden sei. Die PA möchte nicht, dass die Welt sieht, dass Israel für die Christen im Land gut ist. Sie möchte nicht, dass das jüdische Volk gut dasteht. Der Patriarch wurde von Palästinensern bedroht und er hat nachgegeben.

Ich habe noch ein Beispiel. Als wir unsere Bürger ermutigt haben, in der israelischen Armee zu dienen, haben sich Vertreter der PA an die Vereinten Nationen und den griechisch-orthodoxen Patriarchen gewandt und sie bedroht. Sie wollen nicht, dass wir Christen und Juden friedlich und harmonisch in diesem Land zusammenleben. Sie legen uns immer Steine in den Weg.

Auch Sie wurden bereits bedroht …

Ja, ich wurde auch schon bedroht. Aber es gibt nur einen, vor dem wir Angst haben sollten, und das ist Gott. Wer vor Menschen Angst hat, sollte kein Leiter sein. Wenn du eine Vision hast und sie umsetzen willst, dann musst du deine Ängste und Sorgen kontrollieren können. Angst lähmt. Als ich in die Politik gewählt wurde, um mein Volk zu repräsentieren, haben Unbekannte eine Granate in mein Haus geworfen. Es wurde niemand verletzt. Ich habe danach durchaus überlegt, ob und wie ich noch in der Öffentlichkeit auftrete und spreche. Aber soll ich es so machen, wie die meisten Christen, die aus Angst aufgegeben haben und nichts mehr unternehmen? Nein, das darf nicht sein.

Israels Minderheiten wie Drusen, Beduinen und auch die Aramäer sind nicht zum Militärdienst verpflichtet. Doch viele melden sich freiwillig. Warum?

Weil das Leben in Israel Freiheit bedeutet. Israel gibt den Minderheiten Freiheiten, die sie in den arabischen Nachbarländern oder unter einer islamischen Regierung nicht hätten. Wir haben volle Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, gute Bildung, gleiche Rechte für alle. Diese Rechte müssen verteidigt werden. Warum also nicht dem Staat dienen, der dafür sorgt, dass du in Freiheit leben kannst? Ich habe selbst in der Armee gedient, weil ich diesen Staat für mich und meine Kinder und die Kinder meiner Kinder schützen wollte. Ich möchte, dass dieser Staat blühen kann und ein sicherer und schöner Ort ist. Deshalb habe ich gedient und ermutige andere, das auch zu tun.

Wir haben 2017 ein Programm ins Leben gerufen, das christliche und jüdische Jugendliche sieben Monate lang auf den gemeinsamen Militärdienst vorbereitet. Darin lernen sie die jeweils andere Kultur und Identität besser kennen und verstehen. Sie haben ja vorher nicht viel miteinander zu tun.

Sie haben vor Jahren die Israelisch-Christliche Organisation der Aramäer (ICAA) gegründet. Was ist ihr Ziel?

Derzeit haben sich mehr als 15.000 Israelis als Aramäer registrieren lassen. Aber es gibt noch so viele von uns – wir nennen sie unsere verlorenen Brüder und Schwestern. Sie haben ihre Identität verloren und wir wollen ihnen helfen, zu ihren Wurzeln zurückzufinden. Sie sollen erkennen, welche Verbindung sie zum jüdischen Volk und zum Heiligen Land haben. Jesus hat als Jude hier gelebt und hat Aramäisch gesprochen. Aramäer gehörten zu den ersten Christen. Aber die jahrhundertelange Arabisierung der Region hat dafür gesorgt, dass die Menschen ihre eigentlichen Wurzeln vergessen haben.

Mann vor Schaufenster
Shadi Khalloul setzt sich dafür ein, dass die Aramäer zu ihren Wurzeln zurückfinden. Foto: privat

Wir wollen mit unserer Organisation das Bewusstsein für die aramäischen Wurzeln und unsere Identität schaffen. Das ist ein langer Prozess. Wir sagen den Menschen, dass sie eine bessere Zukunft haben, wenn sie zu ihren Wurzeln zurückkehren. Sie sind dann nicht mehr Teil des Konfliktes zwischen Juden und Arabern, denn ihre Wurzel ist nicht arabisch und muslimisch, ihre Vorfahren waren Aramäer, Christen. Wir sollten nicht Teil des arabisch-jüdischen Konfliktes sein. Wir haben damit nichts zu tun. Im Gegenteil, wir haben eine Verbindung zum jüdischen Volk, unser Messias Jesus ist Jude. Den Aramäern wurden die arabische Kultur und der Islam aufgezwungen. Aber wenn sie zurück zu ihren Wurzeln finden, Jesus annehmen, dann können sie Brückenbauer und Friedensstifter sein. In der Bibel steht …

… dass es einmal eine Straße von Assyrien bis nach Ägypten geben wird. An diese Bibelstelle (Jesaja 19,23) musste ich bei Ihren Worten denken.

Genau! Wenn die Menschen hier zu ihren aramäischen Wurzeln zurückfinden und die einst aufgezwungene arabische Identität ablegen, dann wird sich diese biblische Prophetie erfüllen. Wir sehen uns als das fehlende Puzzleteil dafür.

Auch in Syrien leben noch aramäische Christen. Wie schätzen Sie deren Lage ein, nachdem der ehemalige Rebellenführer Ahmed alScharaa dort die Macht übernommen hat?

Es ist schwierig, aber aus der neuen Situation könnte sich etwas ergeben. Wir brauchen dafür aber den Westen. Er muss verstehen, dass es für den Frieden wichtig und unabdingbar ist, die Arabisierung wieder rückgängig zu machen. Er darf nicht das gleiche Spiel spielen, das er die ganzen Jahre gespielt hat und den Islam in der Region weiter stärken.

Die Vorfahren vieler Muslime waren vor Jahrhunderten Christen, die Vorfahren vieler Araber waren Aramäer und andere Nationalitäten. Wenn sie zu ihren Wurzeln zurückkehren, dient das dem Frieden. Wir hoffen, dass sich die Deutschen, die Niederländer, die EU, die USA und alle, die an Gesprächen mit Syrien beteiligt sind, für uns Aramäer einsetzen. Dazu sind wir im Gespräch mit Politikern. Wenn wir in Syrien anerkannt sind, dann dürfen wir an den Schulen unsere Sprache und Geschichte lehren. Im Moment ist das verboten.

Nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurde Israel auch von der Hisbollah im Libanon aus massiv angegriffen. Zehntausende Israelis wurden evakuiert. Mussten auch Sie Ihr Zuhause auf den Golanhöhen verlassen?

Wir leben in Obergaliläa, drei Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Wir hätten evakuiert werden können. Manche Familien sind gegangen. Sie wollten nicht, dass die Kinder die ständigen Explosionen mitbekommen und die Raketen hören, die die Hisbollah auf uns abgefeuert hat. Aber viele von uns sind geblieben, auch um die Stadt zu schützen. Unsere größte Sorge waren nicht die Raketen, sondern die Bedrohung durch eine Infiltration von Hisbollah-Kämpfern. Es war schwer. Menschen wurden getötet und verletzt, Häuser zerstört, unsere Geschäfte brachen zusammen, die Landwirtschaft lag brach. Es war kein Leben mehr um uns herum, denn die meisten waren evakuiert. Aber wir haben überlebt und hier sind wir nun. Wir haben eine Waffenruhe.

Hoffentlich ist das libanesische Volk weise und löst die Hisbollah auf und entwaffnet sie. Denn sie ist eine Terrorgruppe, die nicht den libanesischen Interessen, sondern den iranischen dient. Ich mache mir Sorgen um die Christen im Libanon. Sie werden hineingezogen in den Hass von Menschen, die kämpfen wollen.

Haben Sie eine Botschaft an die Christen in Europa?

Helft uns, in Israel unsere Identität und Sprache zu erhalten. Wir wollen eine aramäische Schule in Haifa errichten, wo die christlichen Araber etwas über ihre Wurzeln ihr Erbe lernen. Wir arbeiten daran, die Arabisierung rückgängig zu machen und dadurch Brücken des Friedens zu bauen. Wir wollen in dieser Region eine Rolle spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hintergrund: Die Aramäer

Die ursprüngliche Heimat der Aramäer war Mesopotamien. Heute leben sie als einheimische christliche Minderheit neben Israel vor allem in Syrien, dem Irak, dem Libanon und im Südosten der Türkei. Aufgrund von jahrhundertelanger Verfolgung durch Muslime gibt es auch große Gemeinschaften in Nord- und Südamerika sowie in Europa.

Das Volk der Aramäer ist älter als das jüdische. Verschiedene Personen werden in der Bibel als Aramäer bezeichnet, unter anderem Abraham in 5. Mose 26,5 (einige Bibelübersetzungen verwenden das Wort „Syrer“). Aramäer waren Christen der ersten Stunde. Ihre Sprache war vor rund 2000 Jahren die Verständigungssprache des Nahen Ostens. Mit dem Aufkommen des Islam im 7. Jahrhundert setzte eine massive Verfolgung ein.

Wie allen anderen Völker der Region wurde auch den Aramäern der Islam und die arabische Kultur aufgezwungen. Wer überleben wollte, passte sich an oder floh. Viele Aramäer verloren so im Laufe der Jahrhunderte ihre Sprache, Kultur und ihren christlichen Glauben. Hunderttausende aramäische Christen wurden in den vergangenen 2000 Jahren ermordet. Allein im Südosten der Türkei wurden während des Ersten Weltkrieges etwa 500.000 bis 750.000 Aramäer von den Osmanen und islamischen Verbündeten getötet.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 140. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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