Das Vaterunser – Christliches Gebet mit jüdischen Wurzeln (Teil 2)

Das Vaterunser – Christliches Gebet mit jüdischen Wurzeln (Teil 2)

Gefaltete Hände über einer Bibel
Auch wenn das Vaterunser das zentrale christliche Gebet ist, so ist es doch durch und durch jüdisch. Foto: Canva

Das Vaterunser ist das einzige Gebet, das Jesus Christus seine Jünger selbst gelehrt hat. In zwei Evangelien wird davon berichtet. Es ist das bekannteste Gebet der Christen und verbindet die Christenheit weltweit. Gleichzeitig ist es durch und durch jüdisch und eng mit anderen jüdischen Gebeten verwandt. In dieser Serie wollen wir die jüdischen Wurzeln des Vaterunsers näher beleuchten.

Von Kees de Vreugd, Übersetzung Marie-Louise Weissenböck

„Geheiligt werde dein Name“

Nach dem Ansprechen von Gott als Vater folgt die Heiligung des Namens Gottes. Wörtlich heißt es im Griechischen: Dein Name muss geheiligt werden. Die Heiligung des Namens Gottes, zusammen mit dem Bekenntnis zu Gottes Königtum, ist das, worum es in der Bibel geht. Weil die Heiligung des Namens Gottes einen Juden das Leben kosten kann, ist der Begriff im Judentum zum Synonym für das Martyrium geworden. Der Name Gottes ist so heilig, dass er nicht ausgesprochen wird. Gleichzeitig ist der Name die nahe Gegenwart Gottes. Er ist immer da. Den Namen zu heiligen bedeutet, dies in tiefer Ehrfurcht anzuerkennen.

Eines der ältesten Gebete in der jüdischen Liturgie ist das Kaddisch. Kaddisch bedeutet Heiligung. Dieses Gebet beginnt mit den Worten: „Sein großer Name soll großgemacht und geheiligt werden.“ In der Synagoge wird das Gebet abwechselnd gesprochen. Die Gemeinde antwortet immer mit den Worten: „Möge sein Name für immer und ewig groß sein.“

Unser Vater im Himmel …
… dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
(Übersetzung nach Martin Luther aus Matthäus 6,9–13)

In Jesaja 29,23 steht: „Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.“ Wann wird das sein? Wenn der Herr die Erlösung über Israel bringt. Aber dann geht es noch tiefer. Dann ist es Gott selbst, der seinen Namen heiligt. So spricht er in Hesekiel immer wieder: „(…) nicht um euretwillen, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr vor den Völkern entweiht habt (…).“ Nicht einmal in erster Linie die Sünde Israels, sondern die Tatsache, dass Israel im Exil ist, ist eine Entweihung von Gottes Namen. Das hat zur Folge, dass die Völker Gottes Namen lästern.

Aber Gott wird etwas dagegen tun: „Darum will ich meinen großen Namen wieder heilig machen, der vor den Heidenvölkern entheiligt worden ist, den ihr unter ihnen entheiligt habt! Und die Heidenvölker sollen erkennen, dass ich der HERR bin, spricht GOTT, der Herr, wenn ich mich vor ihren Augen an euch heilig erweisen werde.“ (Hesekiel 36,23) Er heiligt seinen Namen, indem er Israel in das Land zurückbringt. Gottes Name wird geheiligt, weil das wiederhergestellte Volk Israel wieder im Land Israel lebt.

„Dein Reich komme“

Das Reich Gottes ist in der Bibel wohl das zentrale Thema. Das Alte Testament ist voll von entsprechenden Bibelstellen. Die Psalmen besingen Gott als König in allen Tonarten: „Der Herr ist König, er ist mit Majestät bekleidet (…).“ (Psalm 93,1) Sein Königtum ist nicht auf Israel beschränkt, sondern erstreckt sich auf die ganze Welt und alle Völker. Dies wird als Tatsache und als Erwartung besungen. Gott erscheint als König und er kommt als Richter der Erde. „Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.“ (Psalm 98)

Das Wirken Jesu beginnt mit der Verkündigung des Reiches Gottes. „Und Jesus zog durch ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.“ (Matthäus 4,23) Zuvor hatte Johannes der Täufer die gleiche Botschaft verkündet: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ (Matthäus 3,2) Während bei Matthäus vom „Reich der Himmel“ die Rede ist, heißt es in den anderen Evangelien „Reich Gottes“. Damit ist dasselbe gemeint. Matthäus verwendet eine jüdische Redeweise, mit der er das Aussprechen des Namens Gottes vermeidet.

Im alten jüdischen Kaddisch-Gebet wird nach der Heiligung des Gottesnamens für Gottes Reich gebetet: „Möge er sein Reich zu deinen Lebzeiten und zu den Lebzeiten des ganzen Hauses Israel errichten, schnell und bald.“ Juden sprechen bei allen möglichen alltäglichen Dingen eine Bracha, ein Wort des Lobes, aus, beim Essen und Trinken (nicht nur bei Wein und Brot, sondern auch bei einer Frucht oder einem Glas Wasser) und auch, wenn man etwas Schönes sieht oder zum Beispiel ins Badezimmer geht. In der Bracha wird immer Gott als König geehrt: „Gesegnet bist du, König der Ewigkeit (…).“

Was ist das Reich Gottes? Aus den genannten Psalmtexten und den jüdischen Gebeten geht hervor, dass es in erster Linie um sein Königtum geht. Er ist König. Aber dies muss verkündet und anerkannt werden. Wenn das geschieht und die Welt sich dem Königtum Gottes anpasst, dann ist das Reich Gottes angebrochen.

Teil 1 dieser Serie erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, 3. Quartal. Hier können Sie ihn nachlesen. Die Zeitung können Sie hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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