„Es gibt nur ein Land für uns“ – Leben für die Überlebenden

„Es gibt nur ein Land für uns“ – Leben für die Überlebenden

Zwei Frauen
Gita Koifman (l.) mit CSI-Mitarbeiterin Anemone Rüger. Alle Fotos: privat

Gita Koifman hat in drei Ländern gelebt. Zu Hause ist sie nur in einem – Eretz Israel, das Heilige Land Israel. Selbst eine Überlebende des Holocaust, leitet sie heute einen großen Verband russischsprachiger Schoah-Überlebender in Israel. Diese Arbeit ist ihr Leben. Unterstützt wird sie dabei von Christen an der Seite Israels (CSI).

Von Anemone Rüger

„Schon als Kind wollte ich raus aus der Sowjetunion. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo Tel Aviv liegt, aber ich wollte dahin; das war irgendwie in meinem genetischen Gedächtnis eingeprägt“, erzählt Gita Koifman im Gespräch mit Anemone Rüger, die bei CSI Deutschland den Bereich Hilfsprojekte leitet. Gitas Leben begann in einem jüdischen Schtetl, Briceni, im Norden Moldawiens. Von 5600 Einwohnern hatten 5400 Jiddisch als Muttersprache. Heute steht bei „jüdisch“ in der Bevölkerungsliste ein Strich. Nach dem deutsch-rumänischen Einmarsch im Sommer 1941 wurde Gitas Großfamilie mit tausenden bessarabischen Juden zu Fuß über den Fluss Dnjestr ins Ghetto Osarinzy bei Mogilow-Podolski getrieben. Gita überlebte knapp mit ihren Eltern. „Mamas drei Brüder mit ihren Familien, Papas drei Schwestern mit ihren Familien und seine Eltern sind umgekommen.“

Als sie zurückkamen, war alles zerstört. Bei Tante Hannah Schuster in der Sowjetskaja-Straße kamen sie unter. Zuflucht für seine Seele fand Gitas Opa in der Tora. „Ich erinnere mich, wie er immer in die Synagoge ging“, so Gita. „Papa hingegen hat seinen Glauben im Krieg verloren.“ Wie so viele. Vielleicht eins der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen.

Endlich ankommen

Die Nachkriegsjahre spülten Gitas Familie mit hunderttausenden Flüchtlingen ins unzerstörte ukrainische Czernowitz. Doch auch hier kam sie nie richtig an. Mit ihrem Mann zusammen nutzte Gita das politische Tauwetter Anfang der 1970er Jahre, um nach Israel auszuwandern. Das bedeutete damals unvorstellbare Strapazen und Repressalien. Und es war ein Abschied für immer. „Wir mussten alles hinter uns lassen“, so Gita. Gita und ihr Mann Michail kamen im Juni 1973 nach Haifa – ohne eine Menschenseele im Land zu kennen oder etwas über jüdische Traditionen zu wissen. Die Nachbarn, Sara und Menachem Perel, luden sie zum Schabbat ein. „Dabei ist mir aufgefallen, dass Sara eine Nummer auf dem Arm hatte“, erinnert sich Gita. „So etwas gab es bei uns im Ghetto ja nicht.“ Wenige Monate später brach der Yom-Kippur-Krieg aus.

Während beide Familien im Bunker saßen, teilte Sara ihre Geschichte. Die Nummer auf Saras Arm „Sie hatte Auschwitz überlebt – als einzige ihrer Familie“, erzählt Gita. „Bei der Befreiung war sie 16 oder 17. Aber sie war so krank und ausgemergelt, dass sie nicht aufstehen konnte. Im Delirium sah sie, wie sich ein sowjetischer Soldat über sie beugte und auf eine Reaktion wartete. ‚Lass mich. Lass mich einfach sterben‘, hat sie ihm geantwortet. Da hat er sie plötzlich auf Jiddisch angesprochen. ‚Hör zu‘, hat er gesagt. ‚Ich komme aus Winniza. Dort gibt es auch ein KZ. Ich habe keine Ahnung, ob von meiner Familie noch jemand lebt. Du bist jetzt meine Familie. Ich lasse dich nicht hier zurück!‘ Und so hat er sie auf seine Arme genommen und hinausgetragen.“

Als Sara Monate später ziellos durch die verwaisten Straßen ihrer Heimatstadt Budapest irrte, in der keiner ihrer Angehörigen mehr am Leben war, kamen ihr die Worte des Soldaten wieder in den Sinn. „Dein Zuhause ist in Palästina. Es gibt Leute von dort, die suchen solche wie dich, die werden dir helfen. Dort und nur dort ist unser Zuhause.”

Auf dem Schiff ins damalige britische Mandatsgebiet lernte sie Menachem kennen und die beiden begannen ein neues Leben. So wie Gita und Michail, drei Jahrzehnte später. „Das war die beste Entscheidung unseres Lebens!“, sagt Gita. „Tausend Gründe haben dagegengesprochen. Aber Gott hat es möglich gemacht, nur er!“

Gemeinsam trauern und Hoffnung schöpfen

Das sagt Gita auch nach dem 7. Oktober. Unter Tränen. „Es tut so weh! Das sind unsere Kinder, unsere Enkel!“ Den Gedenktag der Auschwitz-Befreiung begeht sie gemeinsam mit gleichaltrigen Überlebenden – und mit Itay, der erzählt, wie er das Hamas-Massaker überlebt hat. Zusammen mit neun guten Freunden fuhr er zum Nova-Festival, um zu feiern.

Der erste Alarm am Morgen beunruhigte sie nicht sonderlich – alle hatten ihren Militärdienst hinter sich und waren die ständige Gefahr gewohnt. Dann waren sie plötzlich auf der Flucht. Als ein Mädchen um Hilfe schrie, rannte Itay zurück, bis er selbst unter Beschuss geriet. Sechs Stunden lang versteckte er sich, dann wurde er von israelischen Polizisten gerettet. Keiner seiner Freunde hat das Massaker überlebt.

Junger Mann mit Großeltern
Gita Koifman mit Itay und seinem Großvater Grigori, der die Schoah überlebt hat.

Wie kommt er mit diesen schrecklichen Erinnerungen zurecht? „Mein Opa. Mein Opa hilft mir. Er hat den Holocaust überlebt. Ich hatte nur einen Tag Holocaust, er jahrelang. Er war Kind damals; für ihn war es noch viel schlimmer. Er hat ein neues Leben in Israel aufgebaut, eine Familie. Seine Geschichte gibt mir Kraft weiterzuleben.“

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 140. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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