Manche Ansätze zur Bewältigung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) mögen im ersten Moment überraschend klingen, sind aber wirksam. So auch das von unseren Partnerorganisation Keren Hayesod und der Jewish Agency unterstütze therapeutische Surf-Programm HaGal Sheli südlich von Tel Aviv. Die CSI-Mitarbeiterinnen Dana Nowak und Anemone Rüger haben sich das Projekt im Frühjahr dieses Jahres nächer angeschaut
Von Anemone Rüger
Es ist neun Uhr morgens und die Sonne scheint warm, als wir uns mit Kaffee und Sandwich in der Hand an den Strand bei Bat Yam setzen. Heute bekommen wir einen Einblick, was Surfen mit Traumabewältigung zu tun hat: Wir sind zu Besuch bei HaGal Sheli (deutsch: meine Welle), einem 2012 gegründeten Hilfsprogramm für traumatisierte Jugendliche. Therapeutische Surfkurse sollen jungen Menschen helfen, komplexe Gefühle und traumatische Erlebnisse zu verarbeiten.
Keiner der Therapeuten hätte erwartet, wie groß die Nachfrage nach dem 7. Oktober 2023 werden würde: Mittlerweile nehmen mehr als 400 Jugendliche aus den am stärksten vom Terror der Hamas betroffenen Kibbutzim und Dörfern rund um den Gazastreifen teil. Auch Erwachsene – Veteranen, ehemalige Geiseln oder Überlebende des Nova-Festivals – nutzen inzwischen das Hilfsangebot.
Shelly vom Terroropfer-Hilfsfond der Jewish Agency macht uns mit Jakob und Noam bekannt und führt uns in einen von der Meeresluft verwitterten Flachbau voller Surfbretter, Anzüge und Equipment. „Seit Beginn der Zweiten Intifada 2002 haben wir ungefähr 9000 Terroropfern geholfen, das sind 300 bis 400 Fälle im Jahr“, berichtet Shelly. „Seit dem 7. Oktober allein sind es schon mehr als 10.000 und die Zahl steigt stetig an!“ Die Opfer erhalten zeitnah und unbürokratisch eine Einmalzahlung als Zeichen der Unterstützung und können dann über mehrere Jahre zahlreiche Therapieangebote in Anspruch nehmen. Man spricht von ungefähr 60.000 traumatisierten Menschen, die in den meisten Fällen keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, aber dennoch ihr bisheriges Leben nicht mehr ohne fremde Hilfe weiterführen können.

Jacob: Vom Teilnehmer zum Trainer
Jacob gesteht, dass er lange gezögert hat, Hilfe anzunehmen und sich dann doch von Freunden überreden ließ, als er merkte, er funktioniert nicht mehr wie früher. Er berichtet von dem Surf-Kurs und der Gruppenatmosphäre und wie er am Ende selbst Trainer wurde. Jacob ist ein Überlebender des 7. Oktober. Dürfen wir mehr fragen? Jacob erzählt:
„Ich war auch im Süden, ein Festival mit vorbereiten“, beginnt Jacob. „Nova war zwischen Re’im und Gaza. Wir haben auf der anderen Seite von Re’im gecampt. Wir waren so um die 120 Leute, hatten eine coole Zeit und eine Menge Spaß. Am Morgen sind wir von den Sirenen aufgewacht. Niemand wusste, was los ist. Aber wir haben bald gemerkt, dass das kein normaler Alarm ist. Ein paar von uns sind schon um sieben Uhr losgefahren. Wir anderen haben versucht, ruhig zu bleiben und Informationen zu bekommen. Irgendwann wollten wir auch losfahren, aber wir konnten nicht mehr weg. Wir haben einfach dagestanden und konnten nur zuschauen. Totales Chaos: Wir haben die ganzen Trucks gesehen und die Motorräder und ich habe am Anfang gedacht: ‚Alles gut, das ist unsere Armee jetzt‘ – aber das war sie nicht.
Und wir waren direkt da, so nahe dran, aber die Terroristen haben uns nicht gesehen. Wir waren in einer Art Blase, sie haben uns nicht bemerkt. Nach und nach sind wir losgefahren, nicht mehr als drei Autos auf einmal. Ich bin gegen elf Uhr aufgebrochen. Wir haben die Autowracks am Straßenrand gesehen. Was wir gesehen haben und in den Stunden durchgemacht haben, das bleibt bei einem, das ist eingebrannt in unsere Erinnerung. Aber am schwersten war der Schock, als uns bewusst wurde, was uns hätte passieren können. Das stellt alles in ein anderes Licht.“
Noam: Helfer gegen Terroristen und Traumata
Noam wurde am 7. Oktober mit den Einsatzkräften nach Be’eri geschickt. Die ganze Nacht kämpften sie gegen die Terroristen, die in den blühenden Kibbutz eingefallen waren. Noam verlor fünf seiner Freunde, etliche wurden verletzt. Noams Vater war schon im Jom-Kippur-Krieg als Geisel nach Syrien entführt worden. „Solange ich hier verantwortlich bin, wird niemand verschleppt!“, schwor sich Noam.
„Wir haben hier in unserem Programm an die 100 Überlebende des Nova-Festivals“, erzählt Noam. „Wir haben Angehörige, die so traumatisiert sind, dass sie nicht mehr arbeiten können. Wir bekommen Anrufe von Betroffenen – aus den Kibbutzim am Gazastreifen, aus dem Geiselforum für die Familien – und dann stellen wir spezifische Gruppen für die Surf-Therapie zusammen. Denn wenn die Traumata schnell angegangen werden, sind die Chancen auf Heilung viel größer“, erzählt Noam weiter.
Inzwischen sind wir mit Noam nach draußen gegangen. Gerade kommen die ersten Surfer aus dem Wasser. Eine Teilnehmerin hat Geburtstag: Sie wird auf dem Surfbrett von allen hochgehoben und gefeiert. Dieser ungeplante Moment berührt uns, wir kämpfen mit den Tränen. Er demonstriert die Kernbotschaft von „Gal Sheli“ – „Meine Welle“.

Die heilende Kraft der Wellen
„Beim Surfen geht es darum, in einem Umfeld, das du nicht kontrollieren kannst, irgendwie die Kontrolle zu behalten. Genau wir unsere Lebensrealität in Israel. Ins Wasser zu gehen, ist ein riesiger Schritt. Aber als Trainer gehen wir mit. Und wir sagen den Teilnehmenden: ‚Komm mit ins Wasser! Ich halte dich! Ich gebe dir Rückendeckung!‘ Und wenn ich dann die Kids aus Be’eri surfen sehe und von ihnen höre, ‚Ich bin glücklich!‘ – das ist das Größte für mich.“
Jacob habe am Anfang nicht gesprochen, erwähnt Noam beiläufig. Er sein einfach „hergekommen, um zu surfen“, habe er gesagt. „Und jetzt ist er selbst Trainer. Einer der weiß, wie es neuen Teilnehmenden geht, die nicht reden können. Und er kann ihnen sagen: ‚Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich war auch da. Du brauchst nicht zu reden. Das ist ok.‘“ Auch jetzt, anderthalb Jahre später, gebe es noch junge Überlebende, die praktisch nicht mehr aus dem Haus gehen, erklärt Noam, als gerade eine junge Frau in Surfmontur aus dem Wasser kommt.
„Das Wasser hat etwas Heilendes“, ergänzt Jacob. „Es wäscht dich. Es reinigt dich. Es geht nicht darum, wie lange du auf dem Brett stehen kannst, sondern darum, wieder aufzustehen.“
Berührende Liebe aus Deutschland
Gleich trifft sich die Gruppe im Therapieraum. Wir dürfen kurz mit rein, ein paar Worte sagen: Was wir machen. Warum wir hier sind. Warum wir Israel lieben. Ich habe noch ein paar selbstgebackene Waffelherzen dabei, noch sieben Stück. Eigentlich sind sie zu zwölft in der Gruppe. Aber als ich mich nach einem Stoßgebet umschaue, sind es genau sieben Teilnehmende im Raum. Ich drücke jedem ein Herz in die Hand, von der Mama aus Deutschland. Die Waffelherzen treffen ins Herz. Ein Teilnehmer folgt uns nach draußen. Er fragt noch einmal nach: Was das für Christen sind in Deutschland, die Israel lieben. Und warum. Eine ganze Weile fragt er Dana aus.
Unser Besuch neigt sich dem Ende zu. „Ich bin zwar nicht religiös“, sagt Jacob. „Aber inzwischen glaube ich schon, dass es eine höhere Macht im Universum gibt, die über uns wacht. Es lässt sich sonst nicht erklären, dass die Terroristen uns nicht entdeckt haben.“ Und Noam, der die ganze Zeit ein gewinnendes Lächeln trägt, weil er ein supernetter Typ ist, aber eigentlich Dinge erzählt, die überhaupt nicht zum Lächeln sind, wendet sich ab und kämpft mit den Tränen, als wir ihm unsere unterschriebene blaue CSI-Karte überreichen. „Wow. Ich muss erstmal kurz weg. Das ist zu viel für mich.“
Israel – du bist nicht allein.

Als Christen an der Seite Israels unterstützen wir Hilfsprogramme für Terror-Opfer zur Traumabewältigung. Helfen Sie uns, traumatisierte Jugendliche und Erwachsene auf ihrem Weg der Heilung zu begleiten und unterstützen? Jede Spende zählt! Grußkarten als Zeichen der Solidarität erhalten Sie in unserem Shop.