Es gibt wohl keinen Menschen in Israel, dessen Leben nicht durch die Ereignisse des 7. Oktober 2023 schlagartig verändert wurde – die Zäsur betraf das öffentliche und private Leben gleichermaßen. Viele Pläne wurden durchkreuzt und bis heute liegen Schweres und Schönes oftmals dicht beieinander. Das bekamen unsere CSI-Mitarbeiter Delly Hezel und Markus Neumann hautnah mit, als sie gleich bei zwei Hochzeiten als Gäste dabei sein durften.
Von Delly Hezel und Hannah Bartholomew
Nurik und Inbal
Markus Neumann beherbergte am 7. Oktober 2023 gerade ein junges israelisches Paar im Rahmen des Terror-Opferhilfsprogramms von Christen an der Seite Israels (CSI): Seinen langjährigen Freund Nurik und dessen Freundin Inbal, der Nurik nur drei Tage vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel einen Heiratsantrag gemacht hatte. Die frisch Verlobten hatten Pläne für ihre verbleibende Zeit in Deutschland, doch die schrecklichen Nachrichten an diesem Simchat Tora, dem Fest der Freude an der Tora, an dem sonst in Israel freudig mit den Tora-Rollen durch die Straßen getanzt wird, machten den Feiertag für ganz Israel zu einem Alptraum.
Nurik erhielt über die WhatsApp-Gruppe seines Kibbutz’ alle Nachrichten und Hilferufe – so waren er, Inbal und auch Markus unversehens mitten im Geschehen. Sie verfolgten auch mit, wie Terroristen in das Haus von Nuriks Familie eindrangen und diese um ihr Überleben kämpfte. Und sie erfuhren, dass Nuriks Bruder Ofek beim Versuch, den Kibbutz gegen die Angreifer zu verteidigen, von den Terroristen erschossen worden war. Das Bangen um jede Nachricht und das Gefühl der absoluten Hilflosigkeit begleiteten sie die nächsten Stunden. Nurik und Inbal flogen am 8. Oktober 2023 mit dem nächstmöglichen Flug zurück nach Israel, um bei ihrer Familie zu sein.
Freunden zur Seite stehen
Delly Hezel war am 7. Oktober gerade in Israel. Sie beschloss, so lange wie möglich im Land zu bleiben, um Freunden und dem jüdischen Volk zur Seite stehen zu können. So konnte Delly an der Trauerfeier zu Ofeks Beerdigung teilnehmen. Zur Beerdigung selbst, die in der Kriegszone in Nir Yitzhak stattfand, war nur die engste Familie zugelassen. Die Trauerfeier wurde etwas weiter entfernt abgehalten und war umgeben von Schüssen, Raketen und sichtbarem Qualm von den andauernden Kämpfen in Gaza.
Trotz der beängstigenden Lage war es Delly wichtig anwesend zu sein, um der Familie Trost zu spenden und ihr in ihrem Leid nahe zu sein zu können. Ofeks Eltern standen noch immer unter Schock. Zur unermesslichen Trauer um den eigenen Sohn kam noch der Schmerz um viele Freunde, die den 7. Oktober nicht überlebt hatten, hinzu. Und täglich gab es neue Hiobsbotschaften. Israel befand sich im Ausnahmezustand.
Die geplante Hochzeit von Nurik und Inbal wurde verschoben, denn es galt, die Trauerzeit beim Tod eines nahen Familienangehörigen einzuhalten. Doch im September dieses Jahres war es dann endlich so weit: Nurik und Inbal gaben sich das Jawort. Markus und Delly, die ebenfalls zur Hochzeit eingeladen waren, konnten die Freude dieses Tages mit dem Brautpaar und seiner ganzen Familie teilen. Es war eine besondere Hochzeit, bei der Freude und Trauer nah beieinander lagen. Denn auch die Erinnerung an Ofek hatte ihren Platz an diesem Tag, den Nurik so gerne gemeinsam mit seinem Bruder gefeiert hätte.
Ariel und Deborah
Tatsächlich war dies nicht die einzige Hochzeit, zu der Delly und Markus eingeladen waren: Ariel und Deborah BenHar heirateten nur wenige Tage vor Nurik und Inbal. Ariel ist der Sohn des Musiker-Ehepaars Shaul und Julia, mit dem CSI eine langjährige Freundschaft verbindet.
Auch dieses junge Paar erlebte, wie der 7. Oktober seine Pläne von jetzt auf gleich zunichte machte. Ariel, der als zweiter Kommandant in der israelischen Marine dient, wurde am 7. Oktober direkt an die Front auf See gerufen und erlebte den Beginn des Krieges hautnah. Inmitten des Chaos musste er die Sorgen um seine Familie ausblenden, um einen klaren Kopf für seine Mission zu bewahren: „Ich konnte nicht an meine Familie denken, sonst wäre ich unfähig gewesen, meine Aufgabe, die israelische Grenze zu sichern, zu erfüllen“, sagt Ariel. Auf dem Weg zur offenen See versuchte er verzweifelt, seine Eltern anzurufen. Schließlich erreichte er seine Schwester – doch ihre Worte schockierten ihn zutiefst. Sie erzählte ihm panisch, dass sie durch einen Raketenangriff verletzt wurde und im Krankenhaus sei.
Ariel versuchte zunehmend verzweifelt, seine Mutter zu erreichen. Sein Bruder antwortete schließlich mit den letzten zwei Prozent Akkuladung seines Handys und berichtete schnell, dass die Familie keinen Strom hatte und sich im Luftschutzbunker vor in den Kibbutz eingedrungenen Terroristen verstecke. Ariel nutzte die letzten Sekunden des kurzen Gesprächs, um zu sagen, dass er auf dem Weg nach Gaza sei. Im Hintergrund hörte er seine Mutter verzweifelt rufen: „Geh nicht, geh nicht!“ Ariel konnte nur kurz erwidern, dass er sie liebe und sich melden würde, sobald er zurückkehre. Ein herzzerreißender Abschied, wie es ihn tausendfach an diesem Tag in Israel gab.
Die nächsten zweieinhalb Tage verbrachte Ariel in Gaza – ohne Kontakt zu seiner Familie und im Ungewissen über deren Schicksal. Über die Kämpfe erzählt er nicht viel, nur dass sie geprägt waren von Chaos und unzähligen Herausforderungen. „Ich musste mich emotional komplett distanzieren. Wenn ich an mein Zuhause gedacht hätte, wäre ich verrückt geworden.“
Als er schließlich mitten in der Nacht zurückkehrte, erfuhr Ariel von den vielen Toten und Entführten aus seinem unmittelbaren Umfeld, darunter auch ehemalige Schulfreunde und Lehrer. Seine Familie hatte überlebt und war evakuiert worden. Doch der Schmerz und die Verluste um ihn herum waren kaum auszuhalten. Inzwischen verlor auch sein bester Freund als Soldat im Kampf sein Leben.
Freude nach dem Leid
Doch auch für Ariel kam nun, nach dieser unvorstellbaren Zeit, der Moment des Feierns und der Freude: Er heiratete Deborah, seine Verlobte. Eine besondere Ehre für Delly und Markus war, dass sie einen Teil des jüdischen Segens für das Hochzeitspaar unter dem Baldachin, der sogenannten Chuppa, auf Hebräisch sprechen durften: „Gesegnet bist du, Herr, unser Gott, Herrscher des Universums. Gesegnet bist du, Herr, unser Gott, der du den Menschen nach deinem Bilde geschaffen hast. Gesegnet bist du, Herr, Schöpfer des Menschen.”
Es ist tröstlich zu sehen, dass – auch wenn immer noch kein Frieden herrscht – Israelis nach und nach die Fäden ihres Lebens wieder aufnehmen und ihre persönliche Zukunft gestalten können. Man wünscht es ihnen von Herzen.