Massenprotest und Generalstreik: Trauer und Wut nach Ermordung von sechs Geiseln

Massenprotest und Generalstreik: Trauer und Wut nach Ermordung von sechs Geiseln

Sechs ermordete Geiseln
Von der Hamas ermordet: Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino, Eden Jeruschalmi (oben von links); Almog Sarusi, Alexander Lobanov, Carmel Gat (unten von links). Foto: privat

Mit Entsetzen erfahren die Israelis, dass die Hamas sechs Geiseln kaltblütig ermordet hat. Die Rufe nach einem Geiseldeal werden lauter. Regierungschef Netanjahu versucht, seinen Ansatz zu erklären.

Israel befindet sich infolge der Nachricht von sechs ermordeten Geiseln erneut in Schock, Wut und Trauer. Am Samstagabend kursierte die Meldung zunächst in den Sozialen Netzwerken; die Armee bestätigte sie dann am Sonntagmorgen. Die ohnehin schon erbittert geführte Debatte über das Vorgehen im Gazastreifen gewann so neuen Zündstoff.

Eine Autopsie der Leichen ergab, dass die Geiseln zwischen Donnerstag und Freitagmorgen ermordet wurden. Die Terroristen schossen mehrmals aus nächster Nähe auf sie. Für die Experten ist dies ein Beleg für eine „Hinrichtung“. Am Samstagnachmittag fanden Soldaten die Leichen in einem Terrortunnel in Rafah.

Die Hamas setzte indes ihren Psychoterror fort: Am Montagnachmittag veröffentlichte sie ein Video mit den Geiseln. Darin sprechen diese in die Kamera und bestätigen ihre Identität. Die Terror-Organisation droht in dem Video damit, deren „letzte Botschaften an die Welt“ in den kommenden Stunden zu veröffentlichen.

Bei den sechs ermordeten Geiseln handelt es sich um:

Ori Danino: Der 25-jährige Stabsfeldwebel aus der Nähe von Jerusalem war privat auf dem Nova-Festival und hatte bereits einige Teilnehmer in Sicherheit gebracht. Er fuhr zurück, um weitere zu retten, wurde dann aber verschleppt. Er entstammte einer ultra-orthodoxen Familie und war verlobt.

Carmel Gat: Die 40-Jährige war auch deutsche Staatsbürgerin. Die Beschäftigungstherapeutin wollte im Oktober einen Masterstudiengang an der Hebräischen Universität beginnen. Am 7. Oktober war sie bei ihren Eltern im Kibbuz Be’eri zu Besuch. Während der Geiselhaft brachte sie mitgefangenen Kindern Yoga und Meditation bei, wie Freigelassene berichteten.

Hersh Goldberg-Polin: Hamas-Terroristen hatten dem Israeli mit amerikanischer Staatsbürgerschaft am 7. Oktober den Unterarm weggesprengt. Ende April veröffentlichte die Hamas ein Video mit dem 23-Jährigen. Seine Mutter warb im August auf dem Parteitag der Demokraten in Chicago für einen Geiseldeal. Er war ein Anhänger des Fußball-Vereins Werder Bremen.

Eden Jeruschalmi: Die 23-Jährige aus Tel Aviv arbeitete in der Nacht zum 7. Oktober an der Bar des Nova-Festivals. Sie versteckte sich zunächst in einem Auto vor den Terroristen. Nach einer Weile floh sie in ein Waldstück; von dort wurde sie entführt. Die Mutter erhielt die Nachricht vom Tod der Geisel an ihrem Geburtstag.

Alexander Lobanov: Der 32-Jährige aus Aschkelon hatte die Bar beim Nova-Festival geleitet. Seine Frau Michal brachte während der Geiselhaft das zweite Kind des Ehepaares zur Welt. Lobanov hatte die russische Staatsbürgerschaft inne. Ein Regierungsvertreter war am Sonntagmorgen aus Russland zurückgekehrt, wo er Gespräche für einen Geiseldeal führte.

Almog Sarusi: Der 27-Jährige aus Ra’anana hatte das Nova-Festival mit seiner Freundin Schachar besucht; sie wurde bei dem Terrorangriff getötet. Die Familie hatte zuvor zweimal die Nachricht erhalten, dass die Leiche Almogs gefunden wurde; beide Male stellte es sich als falsch heraus.

Massenprotest für Geiseldeal

Am Sonntagabend versammelten sich landesweit Israelis zum Protest für einen Geiseldeal. Besonders in Tel Aviv trugen sich teils chaotische Szenen zu. Eine Polizistin kam nach Zusammenstößen mit Protestlern mit Verletzungen ins Krankenhaus.

Demonstration in Tel Aviv für Geisel-Deal
Wie hier in Tel Aviv gingen viele Israelis am Sonntagabend auf die Straßen und demonstrierten für einen Geiseldeal. Foto: Israelnetz/mh

Für den Montag rief der Gewerkschafts-Dachverband Histadrut einen eintägigen Generalstreik aus, um auf diese Weise auf die Politik einzuwirken. Zahlreiche Unternehmen folgten dem Aufruf, darunter auch das Israelische Geschäftsforum, dass 200 große Unternehmen vertritt.

Einige Geschäftsführer zeigten sich mit dem Streik jedoch nicht einverstanden, da die Unternehmen schon wegen des Reservedienstes gebeutelt seien. Sie legten den Mitarbeitern nahe, sich eine neue Stelle zu suchen, wenn sie streiken wollten. Auch die Börse in Tel Aviv blieb am Montag in Betrieb.

Am Montag entschied das Arbeitsgericht in Bat Jam, dass der Streik um 15.30 Uhr Ortszeit enden müsse – drei Stunden eher als geplant. Die Histadrut erklärte, dem Urteil Folge zu leisten.

Netanjahu: Ein schwerer Tag

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu (Likud) sprach am Sonntag in einer Videobotschaft von einem „schweren Tag“. „Das Herz der gesamten Nation ist zerbrochen.“ Die Verantwortlichen bei der Terror-Organisation Hamas würden dafür einen Preis zahlen.

Die Ermordung der Geiseln ist für Netanjahu indes ein Beleg, dass die Hamas keinen Deal will. Nichtsdestotrotz bemühe sich die Regierung fortwährend um eine Einigung. Zugleich sei Israel verpflichtet, alles dafür zu tun, dass sich die Gräuel des 7. Oktober nicht wiederholen.

Streit um Vorgehensweise

Die Lage in Israel scheint hitziger und angespannter denn je. Die Kriegssituation sowie das Schicksal der Geiseln belasten die Gemüter der Israelis nun seit elf Monaten. Die neun Monate zuvor waren zudem geprägt vom heftigen Streit um die Justizreform.

Die Protestler um den Geiseldeal machen Netanjahu den Vorwurf, dass es ihm einzig um Machterhalt gehe. Daher lasse er sich auf keinen Geiseldeal ein.

Netanjahu betont hingegen, ihm gehe es neben den Geiseln auch um eine dauerhafte Sicherheit für Israel. Daher beharre er auf eine israelische Präsenz im Philadelphi-Korridor. In diesem Grenzgebiet zwischen Ägypten und dem Gazastreifen erfolgte bis zuletzt der Schmuggel von Waffen für die Hamas.

Regierung uneinig

Der Philadelphi-Korridor sorgt auch innerhalb der Regierung für Streit. Bei einer Sitzung des Sicherheitskabinetts am Sonntagabend nannte Verteidigungsminister Joav Gallant (Likud) die israelische Kontrolle dort eine „unnötige Einschränkung“. Dass die Regierung darauf beharre und dafür das Leben der Geiseln riskiere, sei eine „moralische Schande“.

Seine Kabinettskollegen und Netanjahu wiesen diese Haltung zurück. Der Hamas entgegenzukommen hieße, den Krieg zu verlieren, entgegneten sie laut Medienberichten. Netanjahu sagte, wenn Israel den Korridor aufgebe, brächte die Hamas die Geiseln in den Sinai und von dort in den Iran. Abgesehen davon hätten die USA einer israelischen Präsenz im Korridor bereits zugestimmt. (Israelnetz)

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