Die „Startup-Nation“ Israel gilt als globales Zentrum für bahnbrechende Technologien und Innovationen, Deutschland steht für industrielle Stärke und Verlässlichkeit. In der Kombination von beidem steckt enormes Potential. Dr. Ansgar Niehoff, Leiter von CSI Business, hat mit Hemdat Sagi, der Geschäftsführerin des VW Innovation Hub Konnect Tel Aviv, über die Chancen deutsch-israelischer Zusammenarbeit im Wirtschaftssektor gesprochen.
Dr. Ansgar Niehoff: Hemdat, du leitest den VW Innovation Hub Konnect in Tel Aviv. Was sind deine Aufgaben und wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Hemdat Sagi: Bei Konnect sind wir das Bindeglied zwischen dem israelischen Innovations-Ökosystem und dem Volkswagen-Konzern. Ich leite ein großartiges Team von sieben Kolleginnen und Kollegen. Unser Ziel ist es, zukunftsweisende Startups aufzuspüren, direkt mit Gründerinnen und Gründern in Kontakt zu treten und disruptive Technologien mit den strategischen Anforderungen der zehn Marken im Volkswagen Konzern abzugleichen. Unsere Arbeit reicht vom Identifizieren vielversprechender Technologien bis hin zur Umsetzung von Pilotprojekten und gemeinsamen Entwicklungsinitiativen mit Produktund Forschungs-Teams des Konzerns. Ein wichtiges Instrument ist dabei das „Innocar“, ein Audi Q4 e-tron, ausgestattet zur Erprobung neuer Technologien unter realen Bedingungen. Seit unserer Gründung 2018 haben wir über 100 Innovationsprojekte gestartet. Viele davon sind inzwischen zu strategischen Partnerschaften oder sogar Serienlösungen gereift.
Wie gehst du mit dem Stress und der kollektiven Traumatisierung seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 um – und wie gelingt es dir gleichzeitig, das Innovationszentrum eines großen deutschen Konzerns zu leiten?
Der 7. Oktober hat tiefe Spuren hinterlassen. Ein Teammitglied von uns hat seinen Bruder beim Nova-Festival verloren – das Leid kam sehr nah. Wir haben versucht, eine „Blase“ aus Sinnhaftigkeit und Struktur zu schaffen: unsere Arbeit als Anker im Alltag. Ich bin dankbar, Teil eines deutschen Unternehmens zu sein, das uns in dieser Zeit uneingeschränkt unterstützt hat. Die Anteilnahme und das Verständnis unserer Kolleginnen und Kollegen in Deutschland bedeuten uns viel. Besonders dankbar bin ich meinem Vorgesetzten, Dr. Nikolai Ardey, der uns seit Beginn des Krieges bereits zweimal in Tel Aviv besucht hat. Seine Präsenz und Solidarität waren sehr bewegend.
Wie können deutsche Unternehmen und Investoren israelische Startups unterstützen? Glaubst du, dass Deutschland zur wichtigsten Anlaufstelle für israelische Startups nach den USA werden kann?
Deutschland ist schon heute eine bedeutende Anlaufstelle für israelische Startups, vor allem in den Bereichen Mobilität, industrielle Produktion und Medizintechnik. Für Mobilitätslösungen ist Deutschland der Schlüsselmarkt. Viele deutsche Großunternehmen – wie SAP, Merck, Bayer und natürlich der VW-Konzern – betreiben bereits Innovationszentren in Israel. Ich wünsche mir, dass noch mehr deutsche Unternehmen Forschungs-Teams oder Innovationsstandorte hier in Israel aufbauen. Umgekehrt würde ich mich freuen, wenn mehr israelische Startups GmbHs in Deutschland gründen, um langfristige, vertrauensvolle Partnerschaften einzugehen.
Wie können kleine und mittlere Unternehmen aus Deutschland – also der Mittelstand – von der Startup-Nation Israel profitieren?
Das Potential ist enorm. Israelische Startups sind weltweit führend in Bereichen wie KI, Cybersicherheit, Mobilität und Industrie 4.0. Um zu wachsen, brauchen sie starke industrielle Partner. Der deutsche Mittelstand kann mit israelischen Startups etwa im Bereich Predictive Maintenance (vorausschauende Wartung), Robotik oder Cybersicherheit kooperieren. Solche Partnerschaften sind echte Win-Win-Situationen: Sie verbinden Agilität und Innovationskraft mit industrieller Stärke und Verlässlichkeit.
Was können Deutsche und Israelis im geschäftlichen Kontext voneinander lernen?
Zwei Begriffe bringen es auf den Punkt: Geduld und Chuzpe. Deutsche können von der israelischen Chuzpe profitieren – dem Mut, Dinge einfach anzupacken, auch wenn nicht alle Antworten schon vorliegen. Das ist essentiell für Innovationen. Andererseits können Israelis von deutschen Stärken wie Struktur, Prozessorientierung, langfristigem Denken und Präzision lernen. Diese Eigenschaften bilden das Fundament für nachhaltigen Erfolg. Wenn beides zusammenkommt, entsteht eine besonders kraftvolle Synergie.
Was ist dein Wunsch für die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen?
Ich wünsche mir, dass wir weiterhin Brücken bauen – nicht nur wegen unserer gemeinsamen Vergangenheit, sondern vor allem wegen unserer gemeinsamen Zukunft. Seit fast 15 Jahren setze ich mich für den Ausbau der deutsch-israelischen Beziehungen ein. Für mich ist das nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Gerade heute ist Israel auf die Unterstützung seiner Freunde angewiesen – und Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle. Ich hoffe, dass wir weiter zusammenwachsen: durch Innovation, Tourismus, Wirtschaft und vor allem durch tiefe Verbundenheit und Freundschaft.
Du hast im März dieses Jahres als Sprecherin beim Kongress Christlicher Führungskräfte (KCF) in Karlsruhe einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Was wir aus Israels Hightech-Resilienz lernen können“. Wie war es für dich, vor über 2000 Menschen über Israels Hightech-Ökosystem zu sprechen?
Es war einer der emotionalsten und eindrucksvollsten Momente meiner Karriere. Ich habe schon oft auf Technologiekonferenzen gesprochen, aber das hier war etwas ganz anderes. Das Publikum war aufmerksam, offen und herzlich – ich habe die Unterstützung regelrecht gespürt. Ich habe darüber gesprochen, wie sich israelische Innovation trotz großer Herausforderungen behauptet, und auch meine persönliche Führungsgeschichte geteilt. Ich hoffe, dass mein Beitrag andere inspiriert hat – so wie ich selbst von den Begegnungen an diesem Tag tief bewegt war.
Zum Abschluss: Hast du ein Lieblingszitat, das du mit unseren Leserinnen und Lesern teilen möchtest?
Ja, es steht sogar in meinem Whats-App-Profil, ich sehe es jeden Tag: „Gracias a la vida“ – danke an das Leben. Der gleichnamige Song stammt von Mercedes Sosa. Dieser Satz bringt meine Haltung gut zum Ausdruck. Ich liebe das Lied – es spricht von Dankbarkeit für das Leben, für die Menschen, denen wir begegnen, und für die Möglichkeit, sinnstiftende Arbeit zu tun. Ich glaube fest an die Kraft einer positiven Haltung. Gerade in schwierigen Zeiten erinnert mich „Gracias a la vida“ daran, die Schönheit in der Resilienz zu sehen, die innere Stärke zu spüren – und das Licht, das auch in dunklen Momenten durchscheinen kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 142. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.