Die frisch vereidigte Bundesregierung ist inmitten der Zeitenwende auf dem außenpolitischen Parkett gefordert wie kaum eine Vorgängerregierung zuvor. Mit welchen Ansätzen plant die Regierung die Probleme anzugehen und welche Schritte wurden bereits in Richtung Israel unternommen? Eine kommentierende Analyse.
Von Josias Terschüren
Nach einer noch nie dagewesenen Schlappe bei der Wahl zum Bundeskanzler wurde Friedrich Merz schließlich doch noch im zweiten Wahlgang bestätigt und die 25. Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland am 6. Mai 2025 vereidigt. Die Aufgaben, vor denen sie steht, sind gewaltig.
Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt als Weichensteller
Der Ukraine-Krieg hat Europa tief erschüttert und die Notwendigkeit einer starken deutschen Führungsrolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur deutlich gemacht. Gleichzeitig hat der aus dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 entstandene Gaza-Krieg die Dringlichkeit einer klaren deutschen Position im Nahost-Konflikt unterstrichen.
Die deutsche Stimme war in Europa und der westlichen Allianz zuletzt schmerzlich vermisst worden. Die Bilder und Tonalität der Antrittsreisen von Merz in Paris, Warschau und Brüssel sowie im Vatikan und Rom wirkten gelungen staatsmännisch. Auch das erste Telefonat mit US-Präsident Donald Trump hat stattgefunden. Gegenseitige Einladungen wurden ausgesprochen. Die Botschaft: Deutschland ist zurück!
Außenpolitik ist Chefsache
Der Kanzler hat die Außenpolitik kurzerhand zur Chefsache erklärt. O-Ton Merz: „Die Welt ist so in Unordnung, dass sich ein Bundeskanzler viel mehr als in den letzten Jahren und Jahrzehnten um die Außenpolitik kümmern muss.“ Das schlägt sich sowohl im Koalitionsvertrag als auch in der Besetzung wichtiger Ämter nieder. Der zu bildende Nationale Sicherheitsrat für eine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik, Kampf- und Krampfthema in der letzten Regierung, wurde im Koalitionsvertrag strukturell im Kanzleramt verankert. Ein weichenstellender Schritt.
Die wichtige außenpolitische Abteilung 2 im Kanzleramt übernimmt unter Merz der erfahrene Diplomat Günter Sautter. Bislang war er als Politischer Direktor im Auswärtigen Amt für die Gestaltung der Nahost-Politik verantwortlich und Gesandter der Bundesregierung in Genf für Verhandlungen mit dem Iran. Sautter gilt als Strippenzieher hinter den Kulissen für die Merzsche Außenpolitik.
Neuer Schlüsselmann für die Außenpolitik wird qua Amt der neue Außenminister Johann Wadephul, den kaum jemand für den Posten auf dem Zettel hatte. Armin Laschet, der für den Posten als aussichtsreicher Kandidat gehandelt worden war, wurde von der CSU intern verhindert. Letzten Endes wurde er neuer Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.
Von der Besetzung des Außenministerpostens mit Johann Wadephul verspricht sich die CDU eine Außenpolitik „aus einem Guss“, sprich: Kanzleramt und Auswärtiges Amt sollen zukünftig im Tandem und nicht mehr gegeneinander arbeiten. Wadephul gilt als loyaler und kenntnisreicher Zuarbeiter und hat sich seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober im Bundestag als Sprecher für die CDU/CSU-Fraktion erfreulich israelfreundlich positioniert. Im Oktober 2024 kritisierte er die Bundesregierung für die Verzögerung von Waffenlieferungen an Israel entgegen anderslautenden Beteuerungen mit deutlichen Worten. Die Bundesregierung habe nicht Wort gehalten und sich an Israel versündigt: „Und das klagen wir an dieser Stelle an.“ Wadephul sprach dabei vom „Staat der Juden“ und „ihrem letzten Rückzugsort, dem wir eine besondere Verantwortung schulden“.
Geglückter Auftaktbesuch: Deutsche können auch zuhören
Kaum zwei Wochen im Amt, führte Wadephuls eng getakteter Reiseplan ihn direkt nach Israel. Vor seiner Abreise betonte er, die deutsch-israelischen Beziehungen seien „ein kostbares, niemals selbstverständliches Geschenk“ und erklärte: „Wir stehen klar an der Seite Israels.“ Er käme, um „erstmal einfach zuzuhören“. Die historische Dimension mache ihn „demütig“, betonte Wadephul. Er traf sich zuerst mit den Angehörigen von Geiseln. Das stellt eine Abweichung vom gewöhnlichen Protokoll dar, das einen quasi-obligatorischen Besuch in Yad Vashem als erster Station vorsieht.
Unter den 58 noch in Gaza befindlichen Geiseln gibt es acht mit Deutschlandbezug oder deutscher Staatsbürgerschaft: Itay Chen (21), Tamir Nimrodi (20), Alon Ohel (24), Shay Levinson (19), Tamir Adar (38), Gali Berman (27), Ziv Berman (27) und Rom Braslavski (21). Dieses erste Treffen sandte ein gutes, ein wichtiges Signal: Deutschland kümmert sich auch um die lebenden Juden, nicht nur um die toten.
Wadephul wurde vom israelischen Außenminister Gideon Saar dann auch herzlich begrüßt. Es sei eine Ehre, dass seine erste internationale Reise außerhalb Europas Wadephul nach Israel führe. Kanzler Friedrich Merz und er, der neue Außenminister, seien wahre Freunde Israels. Das klang unter seiner Amtsvorgängerin Annalena Baerbock zuletzt noch ganz anders. Deren letzter Israelbesuch endete mit einem Wortgefecht in einem Eklat.
Mit Kritik, vor allem über die humanitären Zustände in Gaza, hielt auch Wadephul nicht hinter dem Berg. Doch der Ton macht die Musik. Dass Deutschland unter der Regierung Merz den oberlehrerhaft erhobenen Zeigefinger eingefahren hat und durchaus von der Kooperation beider Länder profitiert, wurde bei einer Besichtigung des Raketenabwehr-Systems Arrow 3 deutlich, das Deutschland von Israel erworben hat. Der ehemalige Flugabwehr-Zeitsoldat Wadephul formulierte treffend: „Israel, das Land, in dem Opfer des Holocaust Zuflucht fanden, trägt zur Sicherheit Deutschlands bei.“ Die Rüstungskooperation beider Länder dürfte zunehmen.
Merz und seinem Außenminister scheint es gelungen zu sein, die Wogen im zuletzt unruhigen Verhältnis der beiden Staaten zu glätten. Demut und die Fähigkeit zuzuhören waren der Schlüssel. Wadephul hat Einladungen an seinen Amtskollegen nach Deutschland ausgesprochen – bereits im Juni will der Israeli nach Berlin kommen – und er hat angekündigt, dass Kanzler Merz so bald wie möglich nach Israel reisen möchte.
Merz steht außerdem verbal weiterhin zu seinem Versprechen, die Einreise von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nach Deutschland trotz internationalen Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) möglich machen zu wollen. An der Einseitigkeit der Beweisführung des Antrags von Chefankläger Karim Khan war zunehmend Kritik aufgekommen. Aufgrund von Untersuchungen gegen ihn in einem Missbrauchsskandal ist Khan von seinem Posten als Chefankläger zurückgetreten. Auf welchem Weg Merz die Nicht-Vollstreckung des Haftbefehls juristisch bewerkstelligen will, ist völlig offen.
60 Jahre diplomatische Beziehungen
Eine erste außenpolitische Bewährungsprobe hatte die frisch vereidigte Bundesregierung mit den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel zu bestehen. Die Feierlichkeiten waren auf höchster Staatsebene angesiedelt, Israels Präsident Jitzchak Herzog kam nach Berlin zu Besuch.
Ergreifend war ein Moment beim Besuch im Büro von Bundeskanzler Merz, als Herzog dort ein großes Foto eines Strandes sah, den er sofort als Zikim Beach erkannte. Zikim Beach ist der südlichste Mittelmeerstrand Israels und wurde am 7. Oktober von Hamas-Terroristen überrannt. Dutzende Zivilisten kamen dort ums Leben. Sichtlich gerührt über die persönliche Verbindung des Kanzlers zu Israel, rief Herzog direkt aus, bei einem Besuch des Kanzlers den Strand gemeinsam mit ihm besuchen zu wollen. Das Foto hatte vorher in Merz‘ Bundestagsbüro gehangen und war mit ihm ins Kanzleramt umgezogen.

Die Präsidentenpaare flogen anschließend gemeinsam nach Israel, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit der israelischen Präsidentenmedaille die höchste Auszeichnung des jüdischen Staates für seine Verdienste um die deutsch-israelischen Beziehungen verliehen bekam. Auch wenn die Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums in Deutschland in der medialen Berichterstattung als vom Kriegsgeschehen in Gaza überschattet gezeichnet wurden, waren sie doch angemessen, staatstragend und rührend gestaltet. Skandale blieben aus.
Deutsche Vermittler-Rolle
Angesichts der erneuten israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen und der Aussetzung von Hilfslieferungen an die Enklave, weil diese immer wieder von der Hamas gestohlen und zur Aufrechterhaltung ihrer Macht missbraucht wurden, war Israel zunehmend in die Kritik geraten. Nicht nur von mittlerweile offen einseitig und antisemitisch auftretenden Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, sondern gerade auch von immer mehr europäischen Staaten. Wünschenswert wäre deshalb eine deutsche Ankerfunktion, die ein weiteres Abgleiten der derzeit stark israelkritischen Regierungen in Europa verhindert.
Erste hoffnungsvolle Signale in diese Richtung wurden nach dem Eurovision Song Contest in Basel sichtbar, bei dem die 25-jährige Überlebende des Hamas-Massakers Yuval Raphael vom deutschen Publikum die Höchstpunktzahl erhielt. Den anschließenden Forderungen nach einem Ausschluss Israels vom ESC der israelfeindlichen Regierung Spaniens trat Deutschland offen entgegen und erklärte, sich im Fall eines Ausschlusses Israels ebenfalls aus dem Wettbewerb zu verabschieden. Recht so!
Die Bundesregierung hat außerdem auf politischer Ebene den Vorstoß Frankreichs, Großbritanniens und Kanadas nicht mitgetragen, Israel mit konkreten Maßnahmen für den Fall zu drohen, dass es die erneute Militäroffensive nicht einstelle und die Beschränkungen der humanitären Hilfe nicht aufhebe. Der Vorstoß wurde von der Hamas offiziell „als Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt, mehr braucht man dazu nicht zu sagen.
Die größte Zerreißprobe wird an der Stelle der Antrag, das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel aufzuheben. 17 von 27 EU-Staaten hatten das im Rat der EU-Außenminister gefordert. Deutschland hatte eine klare Position der Ablehnung des Antrags eingenommen. Hier wird der deutschen Regierung in der Vermittlung eine Schlüsselrolle zukommen.
Guter Start, weiter Weg
Die neue Bundesregierung ist trotz eines israel- und nahostpolitisch unambitionierten und mutlosen Koalitionsvertrags staatsmännisch, diplomatisch und einfühlsam gestartet. Es gilt weiterhin der Auftrag, inmitten einer Zeitenwende den Begriff der deutschen Staatsräson auszuleben und mit konkreten Inhalten zu füllen.
Der große Belastungstest im deutsch-israelischen Verhältnis entsteht auf der europäischen und der UN-Ebene. Es bleibt abzuwarten, wie sich Deutschland bei künftigen UN-Abstimmungen zum Thema Israel verhalten wird und ob und wie tiefgreifend notwendige Reformen in Bezug auf das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA vorgenommen werden.
Welchen Weg die Bundesregierung hier und in Bezug auf das iranische Mullahregime einschlagen wird, das weiterhin an seinem Atomprogramm und seinen Auslöschungsplänen Israels festhält, wird richtungsweisend sein. Im Juli läuft die finale Deadline zur Wiedereinsetzung aller durch das Atomabkommen mit dem Iran aufgehobenen Sanktionen aus. Berlin könnte diese letzte Chance für eine nicht-militärische Lösung im Kampf gegen die iranische Atombombe völlig eigenständig ergreifen, zur Not ohne Billigung der anderen Unterzeichnerstaaten, so sieht es das Abkommen vor. Massive Sanktionen sind das einzige Mittel, über das wir verfügen, um zumindest den Versuch zu unternehmen, die iranische Führung zu einem Ablassen vom Streben nach Atomwaffen zu zwingen.
Man kann der Bundesregierung nur weiter Mut und Prinzipientreue wünschen und dass sich die Union paradoxerweise ausgerechnet an die Worte Angela Merkels erinnert, von deren Politik sie sich an anderer Stelle gerade zurecht entkoppelt. Sie hat 2008 vor der israelischen Knesset in ihrer Staatsräson-Rede genau auf die Bedrohung durch den Iran abgehoben und das deutsche Einstehen für die Sicherheit Israels als unverhandelbar bezeichnet: „Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“
Anmerkung der Redaktion: Bundeskanzler Merz und Außenminister Wadephul haben uns nach Redaktionsschluss mit ihren Aussagen zu Israel, die eine verbale Abkehr von der bisherigen israelfreundlichen Linie bedeuten, sehr enttäuscht. Leider konnten wir diese aktuellen Entwicklungen in unserer Analyse nicht mehr berücksichtigen.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 141. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.