(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust – Wenn Rachmil staunt, dass er noch lebt

(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust – Wenn Rachmil staunt, dass er noch lebt

Holocaust-Überlebender
Rachmil hat schreckliche Erinnerungen an den Holocaust, den er als Kind überlebt hat. Alle Fotos: CSI

Die Israelin Gita Koifmann hat selbst die Schoah überlebt und kümmert sich um Holocaust-Überlebende in ihrem Land. Sie lädt sie ein, gibt ihnen Raum, ihre Erinnerungen zu teilen. Bei Gita können sie erzählen – das, was eigentlich unbeschreiblich ist und so unfassbar schwer auf den Seelen lastet. Diese Stimmen werden immer weniger – daher unterstützt Christen an der Seite Israels (CSI) ihre Arbeit und erzählt die Geschichten der Überlebenden – gegen das Vergessen. Wie die von Rachmil.

Rachmil, geboren 1929 und heute 96 Jahre alt, kann die furchtbaren Erinnerungen seiner Kindheit einfach nicht abschütteln. Er lebte mit seinen Eltern, einem Bruder und einer Schwester in Bricany in Nordmoldawien, als rumänische Truppen ins Dorf einmarschierten. Sie scheuchten alle Juden auf den Dorfplatz und trieben sie dann zu Fuß vor sich her: ohne Essen, ohne Trinken, raus aus dem Ort in den Wald und immer weiter. Wer zurückblieb, wurde mit Stöcken geschlagen.

Irgendwann passierte der Trek Dnjestr und erreichte das Dorf Katacin. Alle 320 Juden aus Rachmils Heimatdorf wurden in einen Viehstall gesperrt. Der Winter war bitterkalt. Es gab nichts zum Heizen, Essen und Trinken schon gar nicht. Jeden Tag starben zehn bis 15 Menschen, die anderen beerdigten sie in selbstgegrabenen Gruben. Am Ende des Winters waren nur noch 32 Juden übriggeblieben.

Man trieb sie in ein anderes Haus im Ort, wo jeder zumindest ein kleines Lager aus Stroh hatte. Die Kinder zogen tagsüber umher und bettelten. Einmal trank Rachmil Sonnenblumenöl vor lauter Hunger. Mutter, Schwester und Bruder waren gestorben, doch Rachmil und sein Vater überlebten – wie, das versteht er bis heute nicht so richtig.

Als der Krieg vorbei war, kehrten Vater und Sohn in ihren Heimatort zurück. Dort heiratete der Vater noch einmal. Seine zweite Frau hatte in der Schoah ihren Mann und ihre beiden Kinder verloren. Das Paar bekam Zwillinge und Rachmil auf diese Weise zwei neue Brüder, bei denen er heute lebt.

Holocaust-Überlebende
Die CSI-Mitarbeiterinnen Anemone Rüger (hinten, 3. v. r.) und Dana Nowak (hinten, 5. v. r.) haben im März Holocaust-Überlebende in Israel getroffen – unter ihnen auch Rachmil (2. v. r.).

Rachmil selbst heiratete in Moldawien und bekam einen Sohn und eine Tochter. 1972 wanderte die Familie nach Israel aus, wo neue Zeiten begannen: Rachmil fand schon nach einer Woche Arbeit als Dreher und ging zur Armee. Doch auch in Israel verschonte ihn der Krieg nicht: Er wurde zum Jom-Kippur-Krieg eingezogen und 1982 noch einmal im Libanon-Krieg. Aktiv kämpfen musste er glücklicherweise nicht.

Manchmal kommen die vielen schlimmen Erinnerungen wieder hoch – und mit ihnen eine Art ungläubiges Staunen, dass er bei Gita in dieser Runde sitzt und seine Geschichte erzählt.

Gita Koifman
Gita Koifman hat selbst den Holocaust überlebt. Heute lebt sie in Israel und organisiert Treffen für Schoah-Überlebende, von denen viele unter Einsamkeit und den schrecklichen Erinnerungen an die Vergangenheit leiden.

Lesen Sie auch die Artikel (Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie Jefims Mutter zweimal zur Lebensretterin wurde sowie (Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie ein Elfjähriger sich und seine Geschwister durchbrachte.

Die noch lebenden Holocaust-Überlebenden liegen uns als CSI sehr am Herzen. Es ist uns ein großes Anliegen, ihnen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und ihnen einen Blumengruß von uns Deutschen zu bringen. Hier erfahren Sie mehr über diese Arbeit und über Wege, sie zu unterstützen!

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