(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie ein Elfjähriger sich und seine Geschwister durchbrachte

(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie ein Elfjähriger sich und seine Geschwister durchbrachte

Zwei Holocaust-Überlebende
Michail (l.) und sein Bruder Roman haben den Holocaust überlebt. Alle Fotos: CSI

Die Israelin Gita Koifmann hat selbst die Schoah überlebt und kümmert sich um Holocaust-Überlebende in ihrem Land. Sie lädt sie ein, gibt ihnen Raum, ihre Erinnerungen zu teilen. Bei Gita können sie erzählen – das, was eigentlich unbeschreiblich ist und so unfassbar schwer auf den Seelen lastet. Diese Stimmen werden immer weniger – daher unterstützt Christen an der Seite Israels (CSI) ihre Arbeit und erzählt die Geschichten der Überlebenden – gegen das Vergessen. Wie die von Michail.

Von CSI-Redaktion

Da ist die Geschichte von Michail, geboren im Jahr 1941. Die Familie lebte im kleinen Schtetl Sigovka in der Nähe von Viniza. Als der Krieg ausbrach, war Michail elf Jahre alt, die große Schwester 16 und der kleine Bruder gerade drei. Die Mutter war kurz zuvor erkrankt und zur Behandlung in Odessa. Als der Vater an die Front musste, blieben alle drei Kinder allein zurück. Wenig später kamen die Deutschen und besetzten das Haus – und die Geschwister fanden sich obdachlos auf der Straße wieder. Eine Tante nahm sie zu sich in die ohnehin schon beengten Verhältnisse auf: 18 Menschen teilten sich ein kleines Haus, für die drei Kinder blieb nur noch ein schmaler Schlafplatz auf dem Fußboden. Ihre Eltern sahen die drei nie wieder: Die Mutter war inzwischen von den Deutschen in Odessa ermordet worden, der Vater blieb verschollen.

Doch es kam noch schlimmer: Alle Juden wurden ins neu errichtete Ghetto getrieben. Dort gab es für die Kinder weder zu essen noch zu trinken und ein unvorstellbarer Kampf ums tägliche Überleben begann. Michail gelang es ab und zu unter dem Zaun des Ghettos ins Freie zu schlüpfen und mit einem Eimer ein wenig Wasser aus einer nahegelegenen Quelle zu schöpfen. Als Dank bekam er im Lager dafür etwas Brot zugesteckt, das er mit seinen Geschwistern teilte. Manchmal konnte Michail für Bauern in der Umgebung arbeiten. Wenn Fuhrwerke ins Ghetto kamen, um Zuckerrüben zu bringen, legte er Stöcke aus – immer in der Hoffnung, dass die darüber rumpelnden Wagen eine Rübe verlieren würden. Auf den bescheidenen Vorräten schlief er nachts, damit nichts gestohlen wurde. Und so überlebten die drei Geschwister irgendwie; obwohl sich die hübsche große Schwester versteckt halten musste und alle drei an Typhus erkrankten.

Am 16. März 1944 bekamen die Deutschen den Befehl zum Rückzug. Als sie hörten, dass es da noch ein Ghetto gebe, planten sie alle Insassen umzubringen. Zeitgleich kamen russische Einheiten an und lieferten sich die ganze Nacht hindurch schwere Kämpfe mit den Deutschen. Die Kinder verharrten die ganze Zeit über reglos auf dem Boden. Am nächsten Morgen sahen sie um sich herum unzählige Leichen: die meisten Deutsche, einige Russen, nur ein Jude. Und wieder hatten die drei Geschwister überlebt. Und das, obwohl praktisch alle Juden im Umkreis ermordet worden waren. Sie lebten fortan bei der ältesten Schwester ihrer verstorbenen Mutter.

Vergessen konnte der heute 84-jährige Michail bis heute keinen einzigen Tag.

Dana Nowak und Holocaust-Überlebender Michail
Im März haben die CSI-Mitarbeiterinnen Dana Nowak (l.) und Anemone Rüger (nicht im Bild) Michail und andere Holocaust-Überlebende in Israel besucht.

Lesen Sie auch den Artikel (Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie Jefims Mutter zweimal zur Lebensretterin wurde.

Die noch lebenden Holocaust-Überlebenden liegen uns als CSI sehr am Herzen. Es ist uns ein großes Anliegen, ihnen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und ihnen einen Blumengruß von uns Deutschen zu bringen. Hier erfahren Sie mehr über diese Arbeit und über Wege, sie zu unterstützen!

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