(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie Jefims Mutter zweimal zur Lebensretterin wurde

(Über-) Lebensgeschichten aus dem Holocaust: Wie Jefims Mutter zweimal zur Lebensretterin wurde

Holocaust-Überlebende
Die CSI-Mitarbeiterinnen Anemone Rüger (hinten, 3. v. r.) und Dana Nowak (hinten, 5. v. r.) haben im März Holocaust-Überlebende in Israel getroffen – unter ihnen auch Rachmiel (2. v. r.).

Die Israelin Gita Koifmann hat selbst die Schoah überlebt und kümmert sich um Holocaust-Überlebende in ihrem Land. Sie lädt sie ein, gibt ihnen Raum, ihre Erinnerungen zu teilen. Bei Gita können sie erzählen – das, was eigentlich unbeschreiblich ist und so unfassbar schwer auf den Seelen lastet. Diese Stimmen werden immer weniger – daher unterstützt Christen an der Seite Israels (CSI) ihre Arbeit und erzählt die Geschichten der Überlebenden – gegen das Vergessen. Wie die von Jefim und seiner mutigen Mutter.

Von CSI-Redaktion

Jefim, geboren 1938, erzählt bei Gita Koifmann schier Unvorstellbares:

Er lebte mit seiner Familie im Ghetto Brazlav. Der Vater musste 1941 an die Front, der kleine Jefim blieb mit Oma, Mutter und den beiden Geschwistern zurück. Als die Deutschen einmarschierten, nahm man ihnen das Haus, das fortan als Pferdestall diente, und pferchte sie in einen Keller. Die deutschen und die ebenfalls einmarschierten rumänischen Soldaten schikanierten die jüdische Bevölkerung auf grausame Weise – mit tatkräftiger Unterstützung ukrainischer Polizisten. So wurden insbesondere Jugendliche gefangengenommen, gefesselt und mit einem Stein an den Hals gebunden in Boote gesetzt, die man dann in der Mitte des Flusses Bug zum Kentern brachte.

Am 31. Dezember 1941 wurden dann alle Juden des Brazlaver Ghettos ohne Vorwarnung zusammengerufen und von deutschen und rumänischen Soldaten sowie ukrainischen Hilfspolizisten nach Pitschora getrieben. Der Winter war schrecklich kalt und niemand darauf vorbereitet. Ab und zu warf ihnen ein Bauer mal eine Kartoffel zu, aber der Hunger war kaum auszuhalten. Der Großvater mütterlicherseits führte die Kinder an den Händen. Einmal lief er einem Jungen hinterher, der auszureißen versuchte. Das Rufen der Wachen hörte er dabei nicht, weil er taubstumm war – und wurde daher gemeinsam mit dem Jungen von den Soldaten erschossen.

Eine Nacht und einen Tag lang stolperte die Gruppe voran, bis sie das Todeslager Pitschora erreichte. Man sperrte sie ins Sanatorium, immer 60 bis 70 Menschen in einen Raum. Es gab nichts zu essen und die Gefangenen aßen Dinge, die man eigentlich nicht essen sollte. Doch einige Gefangene hatten sich zusammengetan und schlüpften im Schutz der Dunkelheit durch ein Loch im Zaun, um bei barmherzigen Bauern in der Nachbarschaft zu betteln. Auch Jefims Mutter schlich sich davon und kehrte manchmal erst nach ein paar Tagen wieder zurück.

Holocaust-Überlebende
Jefim (2. v. r.) fasst Vertrauen und erzählt nach langem Zögern dann doch seine Geschichte. Er ist dankbar, dass sie für die Nachwelt aufgeschrieben wird, denn der weltweite Antisemitismus macht ihm große Sorge. Foto: CSI

Als sie eines Nachts wieder ins Lager zurückkehrte, war ihre Tochter Lucia verschwunden. Sie suchte sie überall und erfuhr, dass die Wachen sie für tot gehalten und mitgenommen hatten: Jeden Tag wurden Leichen eingesammelt und zu hunderten auf große Haufen geworfen. Die Mutter konnte nicht glauben, dass ihr Kind tot sein sollte und lief weinend zu diesen Leichenhaufen, durchwühlte sie – und fühlte etwas Warmes: ihre kleine Tochter Lucia. Sie zog ihr noch lebendes Kind heraus, versteckte es im Lager und schenkte ihm so ein zweites Mal das Leben.

Doch das Grauen nahm kein Ende: In den Jahren 1942 und 43 wurden viele medizinische Experimente an Kindern durchgeführt. Auch Jefim und sein älterer Bruder kamen für zwei Wochen in Isolationshaft. Man spritzte ihnen Erreger von Kinderkrankheiten und sammelte medizinische Daten. Wer das nicht überlebte, hatte eben Pech. Am Ende nahm man ihnen noch Blut für Blutkonserven ab, die für die deutschen Kriegslazarette benötigt wurden.

Das Lager ging, die Armut blieb

Die meisten Verwandten von Jefim kamen im Todeslager Pitschora ums Leben. Von über 25.000 Menschen in diesem Lager überlebten am Ende gerade mal einige hundert. Als der Krieg am 14. März 1944 endete, waren sie zwar befreit, aber bettelarm. Viele hatten noch nicht einmal Kleider, als sie das Lager verließen, und so mancher zog getöteten Soldaten am Straßenrand die Uniform aus, um etwas zum Anziehen zu haben. Als Jefims Mutter mit den Kindern wieder nach Brazlav zurückkam, gab es dort bereits eine russische Kriegskommandantur. Die Mutter fand Arbeit, so dass die Familie wieder zu essen hatte.

Und noch einmal wurde Jefims Mutter zur Lebensretterin: Es gab einen Priester, für den sie während der Lagergefangenschaft ab und zu gearbeitet hatte. Er hatte sie immer gewarnt, wenn Inspektionen der Deutschen im Lager anstanden. Dieser Priester war verhaftet worden und sollte umgebracht werden, wie seine verzweifelte Schwester berichtete. Jefims Mutter eilte daraufhin zum Kommandeur und erzählte ihm, dass dieser Priester sie und ihre Kinder gerettet habe, indem er sie notgetauft und als ukrainische Kinder ins Kirchenbuch eingetragen hatte. Der Priester wurde begnadigt und blieb viele Jahre ein Freund der Familie.

Auch nach dem Krieg litt die Familie noch lange Not, fror, hungerte und lebte zeitweise von nicht viel mehr als Kartoffelschalen. Heute lebt Jefim in Israel, gemeinsam mit anderen Holocaust-Überlebenden, und kann immer noch nicht so recht fassen, dass er noch am Leben ist.

Die noch lebenden Holocaust-Überlebenden liegen uns als CSI sehr am Herzen. Es ist uns ein großes Anliegen, ihnen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, zuzuhören und ihnen einen Blumengruß von uns Deutschen zu bringen. Hier erfahren Sie mehr über diese Arbeit und über Wege, sie zu unterstützen!

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