Wegschauen ist keine Option: Wie eine Schule in Halle gegen Antisemitismus aufsteht

Wegschauen ist keine Option: Wie eine Schule in Halle gegen Antisemitismus aufsteht

Die Schülerinen mit symbolischem Scheck und Bundespräsident Steinmeier
Martha (l.), Annemarie (M.) und ihre Lehrerin Carolin Perling übergeben der Synagoge in Halle im Beisein von Bundespräsident Steinmeier symnbolisch einen Scheck über die gesammelte Spende. Alle Fotos: Jason Terschüren

Zwei Schülerinnen und ihre Lehrerin haben an einer Schule in Halle ein Projekt gegen Antisemitismus ins Leben gerufen. Sie wollen nicht schweigen, wenn Juden in Deutschland angefeindet werden. Das Engagement der kleinen Gruppe zeigt, jeder kann etwas gegen Antisemitismus tun, keiner ist dafür zu klein oder unbedeutend.

Weggucken ist für Martha und Annemarie aus Halle (Saale) keine Option. Deshalb waren die Schülerinnen sofort dabei, als ihre Lehrerin die Teilnahme an einem Jugendwettbewerb der Konrad-Adenauer-Stiftung gegen Antisemitismus vorschlug. „Wir haben kaum Berührungspunkte mit dem Judentum, wir sind nicht jüdisch, wir kennen auch nicht viele Juden. Wir haben auch kein Problem mit Antisemitismus an unserer Schule. Aber wir sehen, wie präsent das Thema in unserer Gesellschaft ist“, sagt Martha. Es sei utopisch zu denken, Antisemitismus sei mit dem Ende des Nazi-Regimes aus den Köpfen verschwunden. „Wir sehen das Gegenteil. Antisemitismus schleicht sich in alle gesellschaftlichen Strukturen. Wenn niemand etwas dagegen tut, verbreitet er sich wie eine Seuche.“

Mit ihrer Lehrerin Carolin Perling verstehen sich Martha (19) und Annemarie (18) bestens. „Bis zur 11. Klasse hatten wir bei ihr Unterricht. Aber wir wollten darüber hinaus gerne den Kontakt halten – auf einer Ebene, die für Schule noch ok ist“, sagt Martha lachend. Und so trafen sich die drei regelmäßig in den Pausen zu einer Art Debattierclub. Tauschten sich aus zu verschiedenen Themen. Bis Carolin Perling den Jugendwettbewerb „denkt@g“ der Kondrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ins Spiel brachte. Dessen Kernthema „Erinnern, Hinschauen, Verändern – Licht in dunkler Zeit“ soll ermutigen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. „Es geht um die Bekämpfung des Antisemitismus – in welcher Form, wo und wie sich dieser auch immer zeigt. Die entschiedene Solidarität mit Jüdinnen und Juden stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar und geht uns alle an. Antisemitismus ist keine Meinung, sondern Angriff auf die Menschlichkeit“, heißt es bei der KAS.

Projekte gegen Antisemitismus

Für die kleine Gruppe an der Saaleschule galt es nun, verschiedene Projekte zu dem Thema zu starten und auf einem eigens dafür ins Leben gerufenen Instagram-Kanal darüber zu berichten. Ein erstes Projekt ging am 8. März an den Start, dem Tag an dem 1933 durch die Nationalsozialisten deutschlandweit die Verbrennung jüdischer Bücher begann. „Wir haben eine Ausstellung im Schulhaus gemacht, mit Plakaten zu jüdischen Schriftstellern“, erzählt Martha.

Ein anderes Projekt war inspiriert durch die Stolpersteine, derer es in Halle wie in zahlreichen anderen deutschen Städten so viele gibt. „Wir wollten den Stolpersteinen ein Gesicht geben. Den Leuten sagen, schaut mal runter, nicht nur geradeaus, bemerkt die Geschichte, die unscheinbar an euch vorbeizieht“, so Annemarie.

Den Schülerinnen war von Anfang an klar, dass sie außerdem einen Spendenlauf gegen Antisemitismus organisieren wollen. Das gesammelte Geld sollte der Synagoge in Halle zugutekommen. Auf diese hatte ein Täter aus dem rechtsextremen Milieu 2019 einen Anschlag verübt, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Verletzt wurde von der jüdischen Gemeinde niemand, weil die Synagogentür dem Anschlag standhielt. Allerdings erschoss der Täter später willkürlich zwei Menschen, Jana und Kevin.

Der Spendenlauf war ein voller Erfolg, erzählen Martha und Annemarie begeistert. Die ganze Schule sei mitgelaufen, auch Lehrer, Betreuer und die Schulleitung. Körperlich beeinträchtige Schüler seien im Rollstuhl geschoben worden. Es sei stressig gewesen, viel Arbeit und Organisation, aber all die Mühe habe sich gelohnt. „Mir war vorher nicht bewusst, dass man auch ohne großen Einfluss, politische Bestimmung oder finanzielle Mittel aufstehen und wirklich etwas bewegen kann“, sagt Annemarie. Die Schulleitung habe sie die ganze Zeit unterstützt. Auch bei den Schülern und Eltern sei das Projekt gut angekommen.

Laufen gegen Antisemitismus

Mehr als 1.000 Euro kamen bei dem Spendenlauf zusammen. Eigentlich wollten die drei der Synagoge einfach einen symbolischen Scheck vorbeibringen. Aber dann wurden sie zur offiziellen Gedenkveranstaltung für den Anschlag am 9. Oktober in die Synagoge eingeladen. Im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem israelischen Botschafter Ron Prosor, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff und anderen Vertretern aus Politik und Gesellschaft übergaben Carolin Perling sowie Martha und Annemarie ihre Spende.

Auch Christen an der Seite Israels war an diesem Tag vor Ort. Gemeinsam mit ihrem israelischen Partner übergab die Organisation der Synagoge eine neue Tora-Rolle. Als Zeichen der Verbundenheit und Freundschaft und als Botschaft gegen Antisemitismus. Verschiedene Ehrengäste durften gemeinsam mit dem Tora-Schreiber die letzten Buchstaben in die heilige Schriftrolle schreiben. So auch die Schülerinnen der Saaleschule mit ihrer Lehrerin.

Der Schreiber vervollständigt die Torarolle
Der Tora-Schreiber schreibt für die drei Hallenserinnen einen Buchstaben in die von Christen an der Seite Israels und Keren Hayesod gespendete Tora-Rolle.

„Es war ein trauriger und ergreifender Tag, aber auch ein besonderer – gemeinsam mit den Anwesenden zu trauern, aber auch zu hoffen. Wir haben so viele Erfahrungen gesammelt, durften jüdische Traditionen miterleben. Dass unsere Aktion so wertgeschätzt wurde, dass wir gehört wurden, das hat uns sehr bewegt“, meint Annemarie.

Der Jugendwettbewerb ist seit Ende Oktober abgeschlossen. Doch das Antisemitismus-Projekt an der Saaleschule geht weiter. Auch den Instagram-Kanal „all.against.antisemitismus“ gibt es weiterhin, da sind sich Martha, Annemarie und ihre Lehrerin einig. „Wir wollen weiter informieren. Man kann noch so viel mehr gegen Antisemitismus unternehmen. Das ist nicht zeitlich begrenzt“, sagt Martha. Die Schülerinnen sind überzeugt davon, dass jeder etwas gegen Antisemitismus und Rassismus unternehmen kann. Die gemachten Erfahrungen haben Annemarie gezeigt: „Man ist nie zu klein, um damit anzufangen. In Deutschland sind wir privilegiert, wir haben alle Freiheiten, um uns zu engagieren.“

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 139. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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