„Wehret den Anfängen!“ – Ein CSI-Freund erzählt aus seiner Familiengeschichte

„Wehret den Anfängen!“ – Ein CSI-Freund erzählt aus seiner Familiengeschichte

FOto im Rahmen
Über den Theologen Rudolf Heesen heißt es in einem Nachruf des „Wartburg-Kartells“: „Seine flammenden Proteste gegen die Judenhetze führten zum Boykott durch die NSDAP und damit zum Verlust seiner Existenz.“ Alle Fotos: Dana Nowak

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es immer weniger Zeitzeugen, die aus erster Hand berichten können. Doch die Geschichten aus dieser Zeit müssen erzählt und die Erinnerungen an die Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden – damit „Nie wieder“ nicht nur eine leere Worthülse bleibt.

Von Dana Nowak

In vielen Familien gibt es noch Erinnerungen an die Kriegszeiten. So auch in der Familie von Gerhard Heesen, einem Freund unserer Arbeit. Wir haben den 89-Jährigen in Süddeutschland besucht und Begebenheiten aus seiner Familiengeschichte aufgeschrieben. Denn auch heute braucht es Menschen, die mutig Stellung beziehen, in ihrem Umfeld und mit ihren Mitteln. Nur so kann eine Wiederholung der Geschichte verhindert werden.

„Wir schaden uns, wenn wir Israel nicht segnen“

Wer Israel segnet, der soll gesegnet werden – diese Einstellung hat Gerhard Heesen von seinen Eltern übernommen. Der 89-Jährige ist davon überzeugt: „Wir schaden uns am meisten, wenn wir Israel nicht segnen, dann geht es bergab mit uns als Land. Wir müssen nicht hinter allem stehen, was Israel tut, aber wir sind aufgerufen, Israel zu segnen. Israel wird gehasst von aller Welt wir dürfen uns diesem Hass nicht anschließen.“

Wozu der Hass gegen das jüdische Volk führen kann, haben Gerhards Eltern während der Zeit der Nationalsozialisten miterlebt. Sein Vater Rudolf Heesen, ein evangelischer Theologe, führte Anfang der 1930er Jahre eine Buchhandlung im hessischen Korbach. Er zählte damals zu den größten evangelischen Versandbuchhändlern des Landes. Bereits ab 1929 hatte er sich in Reden und Schriften gegen den Nationalsozialismus als „antichristliche und volkszerstörende Bewegung“ gewandt. In einem 1964 veröffentlichten Nachruf des „Wartburg-Kartells“ (WK), einem Korporationsverband evangelischer Studentenverbindungen, heißt es über Rudolf Heesen: „Seine flammenden Proteste gegen die Judenhetze führten zum Boykott durch die NSDAP und damit zum Verlust seiner Existenz.“

„Auf zum Heesen, schlagt seinen Laden ein!“

Sohn Gerhard gibt eine Begebenheit aus den Aufzeichnungen seines Vaters wieder: So habe dieser an einem Novembertag im Jahr 1934 von einem 16-Jährigen eine Postkarte zum Kauf angeboten bekommen. Darauf abgebildet sei eine Strohpuppe mit Judenstern gewesen, die an einem Baum aufgehängt worden war.

„Schämst du dich nicht, auf solche Weise zum öffentlichen Morden an Juden aufzufordern? Wo warst du denn, als unser (jüdischer) Nachbar Mosheim sich im Schützengraben das Eiserne Kreuz verdiente und sich einen schweren Lungenschuss holte? Da hast du noch in die Windeln gemacht!“ Zeuge des Gesprächs war laut der privaten Aufzeichnungen Sturmführer Otto Emde. Dieser habe am gleichen Abend auf einer NSDAP-Versammlung von dem Vorfall berichtet. „Da haben sie dann gerufen, ,auf zum Heesen, schlagt seinen Laden ein‘“, erzählt Gerhard. Doch seine Familie wurde gewarnt und floh nach Leipzig.

In der sächsischen Stadt fingen die Heesens neu an. Der Vater gründete die „Fachbuchhandlung für evangelische Theologie“ und begann mit der Herausgabe der „Evangelischen Bildblätter“ für den Kindergottesdienst. Außerdem stellte er heimlich einen jüdischen Mitarbeiter ein. Aus Sicherheitsgründen habe er jedoch weder dessen Namen noch andere Informationen notiert.

Alter Mann im Garten
Gerhard Heesen hat die Erinnerungen an seine Familiengeschichte mit CSI geteilt.

Aufgrund seines Einsatzes für jüdische Bürger und für die „Bekennende Kirche“ drohte Rudolf Heesen erneut die Verhaftung. Dieser entging er, in dem er sich freiwillig zum Kriegsdienst in einem Internierungslager für politisch Verfolgte meldete. Bis dahin musste er aufgrund einer Lungenkrankheit nicht zum Militär. Die Buchhandlung wurde geschlossen. Den jüdischen Mitarbeiter versteckte die Familie in einem Bücherzimmer ihres Wohnhauses. „Doch 1943, ich war damals sechs Jahre alt, schlug eine Brandbombe in unserem Haus ein und es brannte nieder. Wir verloren alles. Den Juden haben wir nicht mehr gesehen“, erzählt Gerhard.

Später habe die Familie einen Brief aus Jerusalem erhalten. Ihr jüdischer Angestellter hatte überlebt und durch das Rote Kreuz der Familie Heesen einen Dankesbrief zukommen lassen. Doch dieser Brief sei verloren gegangen und damit auch der Kontakt. „Unser Vater war nach den Kriegsjahren viel unterwegs und hat leider keinen Kontakt nach Jerusalem aufgebaut. Das war ein großer Fehler“, erzählt Gerhard weiter.

Ein Bücherbrief vom 15. Dezember 1947 zeigt, wie wichtig es Rudolf Heesen war, nach dem Krieg die Verbreitung der christlichen Botschaft wieder aufzunehmen und mit aller Kraft voranzubringen: „ (…) selbst die Produktion der Vorkriegszeit würde nicht ausreichen, die geistliche Aushungerung unserer Gemeinden zu beseitigen, welche seit dem Verbot der Herstellung evangelischen Schrifttums am 1.7.1940 besteht und eine der Ursachen ist, weshalb unser Volk sich immer mehr von Nihilismus und Materialismus umgarnen lässt. Doch liegen so dringende Aufgaben vor, dass ich mich nicht länger sträuben kann, selbst mit den äußerst geringen Möglichkeiten, die uns verblieben sind, meinen Dienst an der geistlichen Versorgung wieder aufzunehmen.“

„Ohne Gott wird es dunkel“

80 Jahre nach Kriegsende bereitet es Gerhard Heesen große Sorge, wenn er auf Deutschland blickt: „Wieder gibt es offenen Judenhass. So hat es damals auch angefangen. Leute, steht auf! Wehret den Anfängen! Ich bin alt, ich kann öffentlich nicht mehr aktiv mitmischen, auf keine Demonstration gehen. Aber ich kann unsere Geschichte erzählen und dazu aufrufen, schweigt nicht, wenn Juden in Deutschland Angst um ihre Sicherheit haben müssen, weil sie Juden sind. Ohne Gott wird es dunkel. Gott erbarme dich! Schalom!“

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 140. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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