Während die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen rund um Israel derzeit eher Anlass zur Sorge geben, erläutert Dr. Tobias Krämer in seiner Auslegung von Jesaja 29,11, warum das Volk Israel dennoch Grund für Hoffnung und Zuversicht haben darf. Der im Folgenden abgedruckte Text ist die Zusammenfassung seiner Abschlusspredigt auf dem Israelkongress, der im September unter der Überschrift „Land der Zukunft – Land der Hoffnung“ auf dem Schönblick stattfand.
Von Dr. Tobias Krämer
Gott spricht zu Israel: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jeremia 29,11)
Jeremia war ein krasser Prophet. Er hat das Exil – den absoluten Tiefpunkt des jüdischen Volkes – angekündigt und ihn selbst miterlebt. Laut Jeremia ist das Exil eine Strafe, ein Gericht Gottes für den Ungehorsam seines Volkes. Jeremia hat diese Strafe kommen sehen und davor gewarnt. Dagegen standen falsche Propheten auf und verkündigten das Gegenteil. Jeremia hat diesen Kampf gekämpft – und verloren. Die Katastrophe folgte: Die Babylonier überrannten Juda und Jeremia hat Recht behalten. Anstatt sich darüber zu freuen, brach Jeremia in Tränen aus und klagte über dieses furchtbare Unheil (Klagelieder). Seine Solidarität galt auch weiterhin seinem Volk.
Kaum waren die Juden im Exil, schwenkte Jeremia um. Gott gab ihm die allergrößten Heilsbotschaften und Jeremia gab sie an sein Volk weiter. Von der Rückkehr aus dem Exil, ja sogar von einer endzeitlichen und ewigen Wiederherstellung Israels ist die Rede (Jeremia 30-33). Wie rein muss das Herz Jeremias gewesen sein, dass er in der Lage war, diese Worte der Gnade und des Heils auszusprechen – nach allem, was er erlebt hat.
Der eingangs zitierte Vers aus Jeremia 29 steht in einem Brief, den Jeremia seinem Volk ins Exil schickte (Jeremia 29,5-8). Darin wird den Juden zunächst gesagt, dass sie sich in Babylonien einrichten sollen, denn sie werden dort Jahrzehnte verbringen. Damit ist klar: Keiner der Exilierten wird jemals in sein Heimatland zurückkehren. Die falschen Propheten wollen der Wirkung, die Gottes Gericht entfalten soll, entrinnen: Schnell zurück, die Scharte auswetzen, nicht zu den Verlierern gehören – das ist ihre Devise. Aber so geht es nicht. Ihr bleibt, sagt Gott, volle 70 Jahre lang. Nach 70 Jahren erfolgte dann die Rückkehr.
An dieser Stelle ist unser Text angesiedelt, auf den ich nun zu sprechen komme: Gottes Friedensgedanken für sein Volk; Pläne voller Hoffnung und Frieden.
Endzeitliche Wiederherstellung
Die Verheißungstexte bei Jeremia gehen weit über die geschichtliche Situation hinaus und reichen bis in die Endzeit. Damit wird der Zielpunkt klar: Die endgültige Wiederherstellung Israels, die für immer Bestand haben wird. Das klingt in Jeremia 29,11 schon an. Denn hier ist von einer generellen Herzenshaltung Gottes die Rede, von seinen innersten Gedanken, die er über sein Volk hegt. Diese lassen sich in drei Stichworten zusammenfassen: Frieden, Zukunft, Hoffnung. Das hat Gott für Israel!
Gottes Herz kommt noch deutlicher in Jeremia 32,37-41 zum Ausdruck. Man muss sich in Ruhe vor Augen führen und am besten nachlesen, was Gott hier seinem Volk zusagt: die Rückkehr aus aller Herren Länder, die Heilung der Beziehung zwischen Gott und Israel, eine innere Erneuerung der Herzen und einen „ewigen Bund“, der darin besteht, dass Gott Israel voller Freude Gutes tun wird. Der Text endet mit den berührenden Worten, dass Gott sein Volk in seinem Land wieder „einpflanzen“ wird, und zwar „von ganzem Herzen und von ganzer Seele“. Israel zurückzubringen und wieder aufzurichten, ist der innerste Herzenswunsch Gottes. Darauf lebt er gewissermaßen zu!
Noch einen Schritt weiter geht Jeremia 31,31-34. Hier haben wir es mit dem Herzstück der endzeitlichen Wiederherstellung zu tun: mit der Vorhersage eines „neuen Bundes“. Worin besteht dieser neue Bund? Er besteht in Gottes Ankündigung: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein.“ Neue Herzen für Israel, befreit von der Sünde, von Grund auf gehorsam gemacht – das stellt Gott seinem Volk in Aussicht. Und das wird ausschließlich Gottes Werk sein.
Noch markanter wird dies in Hesekiel 36,25 angekündigt, wo Gott zu Israel sagt: „Von all eurer Unreinheit und all euren Götzen will ich euch reinigen.“ Am Ende wird es nicht mehr darum gehen, dass Israel zur Buße gerufen wird – das hat selten Erfolg gehabt –, am Ende wird es Gott selbst sein, der sein Volk reinigt. Nur dann und nur so wird Israel wirklich rein werden, und zwar für immer.
Dann aber wird auch die Sammlung Israels im eigenen Land Bestand haben. Es ist leicht zu sehen, dass wir dort noch nicht sind. Die Juden kehren zwar seit Jahrzehnten zurück in ihr Land, aber jene innere Erneuerung lässt noch auf sich warten. Das heutige Israel ist ein weitgehend säkularer Staat, in dem es genauso Sünde gibt, wie in allen anderen Ländern der Erde. Das sollte man nicht beschönigen. Deshalb ist Israel auch noch nicht voll und ganz Herr im Land. Israel ist angegriffen, angefochten und umstritten. Und dennoch: Auf Israel liegen all die Verheißungen, die zu einer endzeitlichen und endgültigen Wiederherstellung hinführen.
Israel in Gefahr
Zurück in unsere Gegenwart. Israel ist in Gefahr. Schon zu Zeiten der Staatsgründung 1948 (Unabhängigkeitskrieg) und nach dem 7. Oktober 2023 ohnehin. Was könnte auf Israel zukommen? Spielen wir die Szenarien einmal durch.
Für den Westen liegt der Schlüssel für den Nahen Osten in der Zwei-Staaten-Lösung: Man teilt das Land und alles wird, so meint man, gut. Für Israel ist diese Lösung eine existenzielle Bedrohung, weil der Staat Israel im Ernstfall kaum mehr zu verteidigen wäre. Was wäre, wenn es dennoch zu zwei Staaten käme? Diese Lösung wäre eine Sache auf Zeit. Denn wenn der Messias kommt, wird er die Ordnung Gottes herstellen, und die sieht anders aus (vergleiche Hesekiel 47,21-23).
Manche Christen glauben, der Gog-Magog-Krieg (Hesekiel 38 und 39) stehe kurz bevor und damit komme Israels Ende. Dies trifft allerdings nicht zu. Jener Krieg kann erst erfolgen, wenn Israel in Frieden und Sicherheit wohnt (Hesekiel 38,8-11), was seit 1948 nie der Fall war und es heute erst recht nicht ist. Und er endet in der Vernichtung der Feinde, nicht in der Zerstörung Israels – das ist der Clou dieses Abschnitts. Manche Ausleger sehen diesen Krieg sogar erst nach dem Tausendjährigen Reich kommen (vergleiche Offenbarung 20,7-10). Auch das ist eine Möglichkeit.
Andere Christen glauben, die Zeit sei gekommen, dass ein großer Teil der Juden vernichtet wird (vergleiche Sacharja 13,7-12). Abgesehen von den Schwierigkeiten, die die Auslegung und Einordnung hochapokalyptischer Texte mit sich bringt, passt das nicht. Willem Glashouwer, der Präsident unserer internationalen Arbeit, dürfte richtig liegen, wenn er sagt, mit dieser Textstelle sei die Vernichtungsgeschichte der Juden bis hin zum Holocaust gemeint. In der Tat wäre es eigenartig, wenn der Holocaust nicht prophezeit wäre, dafür aber ein zweiter in ähnlicher Größenordnung, der noch aussteht.
Kritischer ist die Frage, ob wir es im heutigen Staat Israel überhaupt mit der biblischen Wiederherstellung Israels zu tun haben. Aus der Distanz mag man diese Frage stellen. Wenn man aber mit den Verheißungstexten lebt, wenn man ihre Erfüllung erwartet und Gott diese dann unter großen Wundern tatsächlich vollzieht, zweifelt man nicht mehr. Man sieht, dass geschieht, was verheißen ist. Sollte dem aber nicht so sein – wir durchdenken diese Hypothese –, dann könnte es sein, dass Israel noch einmal untergeht und Gott später von vorne beginnt. An unserem Auftrag würde sich dadurch allerdings nichts ändern. Im Gegenteil: Die Juden würden uns mehr brauchen als je zuvor.
Gebet für Israel
Für uns Christen bedeutetet dies, dass wir in der aktuellen Situation konkret für den Sieg Israels beten sollten. Ein Sieg Israels ist der einzige Weg, dass sich im Nahen Osten wirklich etwas zum Guten wenden kann. Folgende Schriftstellen sind unsere Gebetsbasis:
- „Gott, erlöse Israel aus aller seiner Not!“ (Psalm 25,22)
- „Rosse werden gerüstet zum Tage der Schlacht; aber der Sieg kommt vom Herrn.“ (Sprüche 21,31)
- „Die Rechte des Herrn ist erhöht; die Rechte des Herrn behält den Sieg!“ (Psalm 118,16)
- „Israel besitze die Tore seiner Feinde.“ (1. Mose 24,60)
Der Stand der Dinge
Schauen wir auf den gesamten Bestand biblischer Verheißungen, so können wir grob sagen, wo wir aktuell stehen.
Was ist bereits erreicht?
- Die Rückkehr und die Sammlung Israels (seit Theodor Herzl in vollem Gange).
- Die Staatsgründung Israels 1948 (vorgeschlagen durch die Vereinten Nationen).
- Die Wiedervereinigung Jerusalems 1967 (mit Ausnahme des Tempelbergs).
- Eine wachsende messianische Bewegung in Israel und weltweit.
Was fehlt noch?
- Innerer Friede (Konflikt mit den Palästinensern / innerjüdische Uneinheit).
- Äußerer Friede (muslimische Nachbarländer sind noch mehrheitlich feindlich gesonnen).
- Der Durchbruch in den neuen Bund für das gesamte jüdische Volk.
- Die Rückkehr des Messias (sie fehlt am allermeisten).
Gibt es also Zukunft und Hoffnung für Israel, wie Jeremia 29,11 es sagt, kann man davon ausgehen? Natürlich! Denn Gott erfüllt seine Verheißungen. Er bringt sein Volk zum Ziel. Das ist gewiss.
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 139. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.