Nach Flucht aus der Ukraine: Tatjanas Neuanfang in Israel

Nach Flucht aus der Ukraine: Tatjanas Neuanfang in Israel

Anemone mit Tatjana und Anja
CSI-Mitarbeiterin Anemone (li.) und Studentin Anja (re.) besuchen Tatjana in ihrer neuen Heimat. Foto: privat

Mariupol steht seit Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine für unerträgliche Bilder von Zerstörung und Leid. Die dortige jüdische Gemeinde kämpfte um jedes einzelne seiner Mitglieder; viele konnten nach der Flucht ein neues Leben in Israel beginnen. Doch diesen Schritt im vorgerückten Alter zu tun, erfordert einiges an Mut – und Hilfe von den neuen Nachbarn. Tatjana wird durch ein von Christen an der Seite Israels unterstütztes Programm der israelischen Einwanderungsbehörde Jewish Agency unterstützt. Unsere Mitarbeiterinnen Alina und Anemone haben sie besucht.

Für unseren Besuch bei Tatjana gesellt sich Anja zu uns. Sie ist eine der Studentinnen, die sich für das „Embrace“-Programm der Jewish Agency gemeldet hat, um russischsprachigen Einwanderern im vorgerückten Alter bei der Integration zu helfen – eine Art Umarmung („Embrace“) der neuen Heimat. Auch sie selbst hat ihre Alijah-Geschichte, die sie ins Land brachte. Anja stammt aus dem ukrainischen Snamenko bei Kirowograd. Vor 22 Jahren kam sie ganz allein nach Israel, weil sie eine Zukunft haben wollte. Ihr Bruder und ihre jüdische Mutter kamen nach; über die Wurzeln sprach die Mutter nie. Anja, die in Karmiel selbst schon Familie hat, macht jetzt ein zweites Studium auf Lehramt und freut sich, einige Besuche mit uns zusammen zu machen.

Tatjana wurde 1944 im Fernen Osten geboren, wohin ihr Vater als Militärangehöriger versetzt worden war. Sie hat offiziell den Status als Witwe eines Juden und damit Einwanderungsrecht in Israel. Doch wenn man Tatjana vor sich hat, meint man, in ein Paar sehr jüdische Augen zu schauen. Wer weiß – in der Aufeinanderfolge mehrere Diktaturen in der Ukraine verschwanden unzählige Dokumente, viele Geschichten wurden nie erzählt.  

Alles verloren

Tatjana lebte ihr ganzes erwachsenes Leben in Mariupol. Vor 14 Jahren starb ihr geliebter Mann Juri. Kinder hat sie keine. Als ihre Stadt vor zwei Jahren bombardiert wurde, schaffte sie es gerade noch in den Keller. „Ich habe zwei Monate im Keller und auf der Straße gelebt“, berichtet Tatjana. „Nachdem der erste Angriff vorbei war, sind wir raus, haben ein Feuer gemacht und uns einen Tee gekocht … Ja, so war das. Es war noch sehr kalt um die Jahreszeit. Ich habe in einem neunstöckigen Haus gewohnt. Dann kamen die nächsten Angriffe. Mein Haus gibt es nicht mehr. Ich habe alles verloren. Alles, was ich besaß, ist verbrannt.“

Tatjana in ihrer neuen Heimat
Tatjana konnte aus Mariupol nur ihr nacktes Leben retten. Alle ihre Habseligkeiten verbrannten, als ihre Wohnung bombardiert wurde. Foto: privat

Im Bombenhagel verbrannten auch Tatjanas Papiere. Über viele Umwege konnte sie mithilfe des Rabbiners der örtlichen jüdischen Gemeinde über Russland nach Israel ausreisen. Von dort aus wandte sie sich an die Behörden in Fernost, um ihre Geburtsurkunde neu ausgestellt zu bekommen. Die Urkunde kam – mit einem falschen Datum. Seitdem ist Tatjana staatenlos und mittellos; die israelische Bürokratie scheiterte bisher an dem behördlichen Fehler aus Fernost. Somit fällt Tatjana durch alle Raster. Die Miete bezahlt bislang ihre Nichte in Russland, bei den Lebenshaltungskosten hilft der Bruder ihres verstorbenen Mannes. Sonst hat sie keine Angehörigen.

Der Behördenkrieg zehrt an den Nerven. Aber ansonsten ist Tatjana gern hier, in der historischen Heimat ihres Mannes, dessen Großvater Michail von den Nazis in Mariupol ermordet wurde.

Kostbare Erinnerungen und neue Hoffnung

Tatjana konnte nicht einmal ein Foto von sich und ihrem Mann retten. „Ich habe aus Mariupol nur das mitnehmen können, was ich auf dem Leibe hatte. Aber dann haben Freunde ein paar alte Fotos von mir und meinem Mann Juri gefunden und mir geschenkt. So habe ich doch ein paar kostbare Erinnerungen.“

Tatjana Familie auf einem Schwarzweiß-Foto
Auch die Fotos verbrannten bei der Bombardierung Mariupols. Später bekam Tatjana einige Fotos geschenkt, die Freunde von ihr und ihrem Mann in ihrem Haushalt hatten. Foto: privat

Hier in Karmiel hat Tatjana bereits ein paar Freundinnen, mit denen sie Russisch reden kann: im Seniorenklub der Stadt, in der jüdischen Gemeinde. Und sie hat eine nette Studentin, die sich um sie kümmert. „Sie kommt mich jede Woche besuchen“, sagt Tatjana. „Sie ist ein Hoffnungsschimmer und ein Lichtblick für mich in diesen schweren Zeiten. Die Volontäre des Programms helfen uns nicht nur praktisch – sie berühren unsere Herzen. Ich bin den Spendern so dankbar, die dieses Programm ermöglichen. Sie haben meinen Glauben an die Menschheit erneuert und mich daran erinnert, dass die Liebe keine Grenzen kennt!“

Gerne können Sie mit uns zusammen die Integration von Neueinwanderern in Israel unterstützen. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

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