Seit zwei Jahren hält die Ukraine der Übermacht der russischen Truppen stand. Während sich der russische Einmarsch in dem Nachbarland am 24. Februar zum zweiten Mal jährt, scheint vielen der Glauben zu schwinden, dass der blutige Krieg für die Ukraine noch gut ausgehen kann. Das Land ringt um Hoffnung. Auch zehntausende ukrainische Juden fragen sich, was sie tun sollen.
Es ist Koens Geburtstag. Seit zwei Jahrzehnten ist der Belgier für Christen an der Seite Israels (CSI) in der Ukraine tätig, um jüdische Gemeinden zu unterstützen, bei der Alijah – der Auswanderung nach Israel – zu helfen, Hilfsgüter an Holocaust-Überlebende und Bedürftige zu verteilen. Doch es ist kein Geburtstagswetter am Kriegshimmel. Die Übersichtskarte der Regionen mit aktuellem Luftalarm ist landesweit vollständig rot eingefärbt.
Auf alles vorbereitet
„Schon vor zwei Jahren haben wir gesagt: Wir hoffen das Beste, aber wir wollen auf alles vorbereitet sein“, so Koen. Er und sein Team sind unermüdlich unterwegs und bringen Hilfe dahin, wo es am Nötigsten ist. „Die Nachfrage nach unseren Lebensmittelpaketen ist enorm – nicht nur, weil Winter ist und der eigene Garten nichts hergibt. Keiner weiß, was morgen ist. Und für viele Mitglieder in den jüdischen Gemeinden ist das nicht der erste Krieg, den sie mitmachen.“ Gerade hat das Team wieder 13.000 Kilogramm Lebensmittel in Tüten verpackt. Von Sumy im Norden bis Odessa im Süden werden diese in den jüdischen Gemeinden ausgeliefert.
Jeden Tag Luftalarm
„Wir halten uns so weit, Gott sei Dank. Unsere Leute sind alle am Leben“, sagt Lisa, Leiterin des jüdischen Sozialwerks im nordukrainischen Sumy. Sie ist für die jüdischen Senioren in einem weitläufigen Gebiet entlang der russischen Grenze zuständig; vielen von ihnen werden von Paten aus Deutschland unterstützt. „Wir haben jeden Tag Luftalarm. Dank eurer Gebete halten wir durch – von Tag zu Tag.“
Bald ist Frühling
„Es ist schwer; aber das weißt du ja selbst aus den Nachrichten“, sagt Larisa, Mitarbeiterin der jüdischen Gemeinde in Belaja Zerkow. „Die Verbundenheit mit euch gibt uns so viel Kraft. Die Leute fragen alle, wann ihr wiederkommt. Es ist erstaunlich, wie sie sich halten. Wenn ich an Alla denke…“ Alla wurde als kleines Mädchen von ihren Eltern, die mit ihr und den Juden der Stadt zur Erschießung getrieben wurden, im letzten Moment einer Nachbarin zugeschoben. „Aber Allas kleines Brüderlein hat die Frau nicht genommen. Das hat sie mir jetzt erst erzählt“, sagt Larisa. „Alla hat so schwer Krebs. Aber sie hält sich – ich weiß nicht, wie sie das macht. ‚Komm, es wird bald Frühling‘, sagt sie zu ihrer Tochter. ‚Wir müssen doch die Beete einsäen!‘“
Hilfe für Flüchtlinge aus Cherson
„Es hilft mir, etwas tun zu können“, sagt CSI-Mitarbeiterin Alina, die gerade aus Odessa zurückgekehrt ist, das auch für hunderttausende Flüchtlinge schon längst kein sicherer Zufluchtsort mehr ist. „Wir haben Lebensmittel verteilt, auch an viele, die aus Cherson geflohen sind. Dorthin zu fahren ist fast unmöglich; die Stadt ist unter Dauerbeschuss. Es ist schon für die Ortsansässigen hier eine schwere Zeit. Aber für die Flüchtlinge ist es unendlich viel schwerer. Ich denke an eine Familie, die in die Synagoge kam, um sich bei uns ein Paket abzuholen. Als sie ihre Heimatstadt Cherson vor anderthalb Jahren verlassen haben, musste alles ganz schnell gehen.“ Im September 2022 zogen sich die russischen Truppen aus der Schwarzmeerstadt Cherson auf die andere Seite des Dnjepr zurück, doch zeitgleich begannen die seither ununterbrochenen Angriffe auf die Stadt.
„Sie hatten keine Zeit, etwas zu packen“, berichtet Alina. „Sie sind Hals über Kopf weg und mussten alles zurücklassen. Alles, was sie jetzt in Odessa haben, hat ihnen irgendjemand gegeben. So leben sie Tag für Tag aus gepackten Koffern, in der Hoffnung, eines Tages zurückgehen zu können. Jeden Tag rufen sie in Cherson bei ihren Freunden an, die zurückgeblieben sind und die wissen, dass jeder Tag ihr letzter sein kann. Wir haben ihnen von Israel erzählt; von der Möglichkeit, Alijah zu machen und sich dort auf Gottes Verheißungen aus den Propheten der Bibel ein neues Leben aufzubauen.“
Die Mitarbeiter helfen, wo sie können. Die nächsten Wochen sind mit Hilfslieferungen ausgebucht. Gleichzeitig wird den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden dringend geraten, für den Fall der Fälle ihre Papiere in Ordnung zu haben, falls sie kurzfristig wegmüssen.
Zuflucht in Gottes Gegenwart
„Wir versuchen, die Zeit auszukaufen“, sagt auch Natalia, die gerade wieder Hilfsgüter in einer neu ins Programm aufgenommenen jüdischen Gemeinde verteilt hat. „Wir haben zum Holocaust-Gedenktag alle Holocaust-Überlebenden besucht, die wir in Kiew kennen. Es bedeutet ihnen unendlich viel, dass wir sie nicht allein lassen.“
Auch für die Mitarbeiter ist jeder neue Tag ein neues Glaubenswagnis. „Vor kurzem wurde unsere Hauptstadt wieder so schwer von Drohnen angegriffen,“ sagt Natalia. „Ich habe mit meiner Tochter die ganze Zeit telefonisch Kontakt gehalten. Sie konnte die Nachbarn im Korridor vor Angst schreien hören. Dann haben wir beide Lobpreismusik auf volle Lautstärke aufgedreht – lauter als die Sirenen. Das ist unser einziger Zufluchtsort – die Gegenwart Gottes.“
Für den 23. und 24. Februar wurde von allen christlichen Gemeinden in der Ukraine ein nationales Fasten ausgerufen. „Wir müssen unser Herz bewahren“, sagt Natalia. „Ich hatte das Privileg, die letzten Jahre immer wieder zu erleben, wie Deutsche 70 Jahre nach dem von Deutschland initiierten Holocaust aufrichtig Buße getan haben. Ich habe erlebt, wie die Kinder und Enkel von Wehrmachtsoldaten und SS-Offizieren an den jüdischen Gräbern geweint haben. Ich habe echte und tiefe Versöhnung gesehen. Das ist das, was mir jetzt Hoffnung gibt. Und wir – wir müssen unser Herz behüten, dass es nicht hart wird, sondern dass es offen für Versöhnung bleibt, wenn die Zeit dafür kommt.“
Lassen Sie uns nicht müde werden, unseren jüdischen und ukrainischen Geschwistern im Gebet den Rücken zu stärken und zu helfen, wo wir können. Über den Nothilfe-Fonds „SOS Ukraine“ können wir mit Ihrer Unterstützung weiterhin Hilfsgüter und Hoffnung in die jüdischen Gemeinden bringen.