Als Zwanzigjähriger an der Front: Interview mit einem israelischen Soldaten

Als Zwanzigjähriger an der Front: Interview mit einem israelischen Soldaten

Ariel und CSI-Mitarbeitern Dina bei einer Sukkot-Feier am 29. September in Bad Liebenzell. Alle Fotos: privat

Ariel ist 20 Jahre alt und lebte mit seiner Familie bis zum 7. Oktober 2023 in einem kleinen Moschav in der Nähe des Gazastreifens. Doch seit dem brutalen Massaker der Hamas-Terroristen ist alles anders. Seine Eltern und seine Geschwister wurden evakuiert. Er selbst verrichtet seinen Pflichtdienst in der israelischen Marine und war am Tag des Überfalls stellvertretender Kommandeur eines Zwölf-Mann-Schiffes, das Israels Meeresgrenze zu Gaza beschützt. Nur zwei Wochen zuvor war Ariel im September gemeinsam mit CSI-Mitarbeiterin Dina Röll zehn Tage lang auf einer Sprechertour in Süddeutschland. Das folgende Interview wurde am 29. September geführt. Die Fragen stellte Dina Röll.

Dina: Deine Eltern sind aus Moldawien nach Israel eingewandert. Wie war es, mit einem jüdischen Vater und einer nicht-jüdischen Mutter in Israel aufzuwachsen?

Ariel: In meiner Familie spürt man nicht wirklich, dass mein Vater Jude und meine Mutter Nicht-Jüdin ist. Beide glauben an Jesus. Bis ich acht Jahre alt war, hatte ich den Unter schied zwischen mir und den anderen Kindern nicht so richtig verstanden. Erst als ich älter wurde, haben die anderen Kinder angefangen Fragen zu stellen. Es kam ihnen komisch vor, dass ich an das Alte und an das Neue Testament glaube und daran, dass Jesus der Messias ist. Deshalb wurde ich oft gehänselt und habe dann im Alter von neun, zehn Jahren aufgehört über meinen Glauben zu sprechen. Das hat meinem Glaubensleben über die Jahre nicht sonderlich gutgetan. Mit 17 Jahren gab es dann aber eine echte 180-Grad-Wendung und ich habe mich entschieden, Jesus wirklich nachzufolgen.

Du bezeichnest dich selbst als messianischer Jude. Nach dem jüdischen Gesetz wirst du aber gar nicht als Jude anerkannt, weil die Religion nur über die Mutter übertragen wird.

Das stimmt zwar, aber zu biblischen Zeiten wurde die Religion und die Zugehörigkeit zum Volk Israel über den Vater übertragen. Das wurde irgendwann geändert. Aber laut der Bibel bin ich ganz klar Jude.

Und was bedeutet es für dich, als Jude an Jesus zu glauben?

Als Jude halte ich mich an das ganze Alte Testament und an die Gesetze. Aber das mache ich nur auf die biblische Weise, nicht auf die religiös-jüdische Weise. Also wenn beispielsweise geschrieben steht, du sollst ein Ziegenböcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen, dann werde ich das auch nicht tun. Es gibt aber auch Dinge, bei denen man abwägen muss, was mehr oder weniger relevant ist. Zum Beispiel wenn es um das Essen von Schweinefleisch geht. Nach dem Alten Testament ist das verboten. Jesus sagt aber, dass wichtiger ist, was aus dem Mund rauskommt, als was reingeht. Also bevorzuge ich es zwar, kein Schweinefleisch zu essen. Wenn ich aber woanders zum Essen eingeladen werde, dann werde ich einfach das essen, was mein Gastgeber mir anbietet.

Beim Schabbat ist es so, dass religiöse Juden nicht fahren oder kochen. Und sie machen auch kein Licht an. Ich verstehe Schabbat aus der Bibel eher so, dass es darum geht, zur Ruhe zu kommen. Und das ist mir inzwischen sehr wichtig geworden. Ich arbeite nicht am Schabbat. Vor allem nicht, um Geld zu verdienen. Sondern ich versuche auszuruhen. Manchmal fahre ich dafür in die Wüste raus oder lese ein Buch oder mache Lobpreis.

Schabbat-Abend bei CSI-Mitarbeiterin Delly Hezel mit Ariel und jungen Leuten, die bei der letzten JCSI-Reise dabei waren.

Welche Reaktionen hast du von religiösen Juden in Bezug auf deinen Glauben bekommen als du älter geworden bist?

Als Teenager war es nicht ganz so leicht. Aber als ich mit 18 in die Armee kam, um meinen Pflichtdienst zu verrichten, habe ich vom ersten Tag an über meinen Glauben gesprochen. Und da gab und gibt es natürlich Leute, die mich für verrückt erklären und es auch nicht verstehen. Aber mit den meisten religiösen Juden in der Armee oder außerhalb kann ich sehr gute Gespräche über meinen Glauben führen. Sie sind meistens sehr interessiert und wollen mehr wissen.

Fühlst du dich Christen oder Juden näher?

Es kommt darauf an. Wenn es um die Leute, Gemeinschaft, Freunde und den Kulturkreis geht, aus dem ich komme, sind es wohl eher Juden. Aber wenn es um den Glauben, um meine Beziehung zu Gott geht, fühle ich mich wohler mit Christen darüber zu sprechen. Wenn ich beten und mich öffnen möchte, fühle ich mich Christen näher.

Wenn du dich den Christen in Bezug auf Glauben näher fühlst, feierst du dann auch Weihnachten und Ostern?

Nein. Ich sehe keine Stelle in der Bibel, wo uns aufgetragen wird, Ostern oder Weihnachten zu feiern. Aber ich kenne die Stellen in der Bibel, in denen steht, dass wir Pessach, Schawuot, und Sukkot feiern sollen. In den Festen liegt so viel Tiefe. In der jüdischen Weise die Feste zu feiern sind zum Beispiel gewisse Gebete und Diskussionspunkte verankert, die helfen, ins Gespräch zu kommen über Gott, seine Gesetze und sein Wirken. Und die Auferstehung Jesu feiere ich jeden Morgen, wenn ich aufwache. Dazu brauche ich kein Fest, das nur einmal im Jahr stattfindet.

Wie denkst du darüber, dass Christen Weihnachten und Ostern feiern?

Ich denke, das ist etwas, was tief in der christlichen Geschichte verankert ist. Dazu gehören auch Traditionen, mit denen man aufwächst in den Kirchen, Gemeinden und Familien. Vielleicht denken sie nicht so darüber nach, warum sie diese Feste feiern und woher sie kommen. Ich glaube, wenn sie aber die biblischen Feste entdecken, können sie einen großen Schatz darin finden. Wir müssen sie ja nicht so feiern wie religiöse Juden. Aber wir können sie so feiern, wie es die Bibel sagt. Zusammenkommen, essen und über Gott und Jesus und die Bedeutung der Feste sprechen.

Die Gemeinde der messianischen Juden in Israel ist nicht so groß. Das heißt, es sind auch nicht viele messianische Juden in der Armee. Wie ist das für dich?

Tatsächlich wächst der messianische Leib in Israel, Gott sei Dank. Bisher ist es aber noch so, dass wir sehr verteilt in unterschiedlichen Einheiten dienen und nicht unbedingt messianisch-gläubige Kameraden im Team haben. Aber es gibt viele Angebote für Soldaten an den Wochenenden, wie zum Beispiel Konferenzen und Lobpreisabende. Trotzdem verlieren manche messianisch-jüdische Soldaten leider ihren Glauben in der Armee, weil es viel Versuchung gibt. Plötzlich bist du von einer Gruppe säkularer oder andersgläubiger Menschen umgeben und kommst wochenlang nicht nach Hause. Das kann sehr am Glaubensleben zehren. Bei mir war das aber genau andersherum. Mit jedem Tag wurde mein Glaube stärker. Auch wenn ich oft für meinen Glauben einstehen und „kämpfen“ musste. Ein Licht zu sein, nicht an schlechten Dingen teilzuhaben und die richtigen Worte zu finden, ist nicht leicht. Viele fangen an zu rauchen und sich an den Wochenenden zu betrinken. Mir ist es wichtig, dass meine Kameraden sehen, dass ich anders bin.

Wie nah stehst du deinen Kameraden in der Einheit? Ihr macht bestimmt viel zusammen durch, kommt manchmal in sehr schwierige Situationen. Da muss man zwangsweise sehr eng zusammenrücken, oder?

Ja, das stimmt; wir kennen einander sehr gut und wir sind gute Freunde. Aber das sind eben nicht unbedingt meine echten Freunde. Gute Freunde sind natürlich für einen da, man kann bis spät in die Nacht zusammen ab hängen. Aber ein echter Freund hilft dir, im Glauben zu wachsen. Ich kann als messianischer Jude nicht auf die Ratschläge der Menschen dieser Welt hören. Sie können einfach keine echten Freunde sein, das funktioniert nicht.

Hättest du den Armeedienst auch ohne deinen Glauben verrichten können?

Ja, bestimmt; aber dann hätte es keine Bedeutung für mein Leben gehabt. Alles, was ich tue, tue ich für Gott. Wenn man Gott nicht hat, kann man nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden, man hat keine moralischen Gesetze. Jeder muss wissen, warum er tut, was er tut.

Besondere Begegnung in Süddeutschland: Eigentlich wollte Ariel einem Freund zum Geburtstag ein schönes Messer mitbringen. Bekommen hat er zwei Messer: eins für seinen Freund und eins für sich selbst. Und zwar geschenkt.

Warum war es dir wichtig, für eine Sprechertour nach Deutschland zu kommen?

Ich wollte den Menschen hier zeigen, was Israel ist. Dass es mehr als ein „Kriegsland“ mit verrückten Leuten ist. Außerdem möchte ich mein Zeugnis teilen, um vor allem junge Leute zu ermutigen, ihre Prioritäten im Leben richtig zu setzen. Meine Botschaft ist, dass wir keine Angst haben dürfen, über unseren Glauben zu sprechen. Wir müssen uns die Frage stellen: Wenn ich kein Licht im Dunkeln bin, wer wird es dann sein?

Das ist wirklich eine wichtige Botschaft! Unsere jüngeren Zuhörer auf der Tour wollten oft wissen, wieviel du trainierst. Was war denn die höchste Anzahl an Liegestützen, die du bisher gemacht hast?

Einmal haben wir als Team auf unsere Kommandeure gewartet und haben gequatscht und gelacht. Und plötzlich haben alle aufgehört zu lachen außer mir, weil ich die Kommandeure nicht kommen sah. Als ich mich dann umgedreht habe, schrie einer mich schon an: „Ariel, warum hast du gelacht?“ Ich war so unter Schock, dass ich nichts darauf antworten konnte. Daraufhin brüllte er: „100 Liegestützen auf der Seite!“ Und dann musste ich 100 Liegestützen machen. Das war völlig verrückt. Normalerweise muss man maximal 20 Liegestützen machen. Aber das war im Basistraining. Im normalen Dienst danach passiert so etwas nicht mehr.

Das hört sich jetzt bestimmt lustiger an, als es damals war. Vielen Dank, Ariel, für das Interview und deinen Einsatz mit uns in Deutschland auf der Sprechertour!

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 135. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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