„Dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben“ – Rückblick auf 16 Jahre Kanzlerschaft Angela Merkels

„Dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben“ – Rückblick auf 16 Jahre Kanzlerschaft Angela Merkels

Angela Merkel hat Israel während ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin sieben Mal besucht. Foto: Olivier Fitoussi/Flash90

Angela Merkel galt lange als die mächtigste Frau der Welt. Und als Freundin Israels. Nach ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft blicken wir zurück auf ihre Ära, die mit einer fulminanten Programmrede für die deutsch-israelischen Beziehungen in ihrer ersten Amtsperiode begann. Gehalten auf deutsch, in der israelischen Knesset. Wir ziehen ein Fazit. Decken sich 13 Jahre später Anspruch und Wirklichkeit oder gibt es Diskrepanzen?

Wir befinden uns im Jahr 1999 kurz vor Weihnachten. Die damalige Generalsekretärin der CDU, Angela Merkel, publiziert einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Darin rät sie ihrer eigenen Partei, „laufen zu lernen“ und sich vom „Schlachtross Helmut Kohl“ zu lösen. Merkel, die von Kohl dereinst „mein Mädchen“ genannt wurde, vollzog den Aufstand. Die Union steckte damals bis zum Hals in der Spendenaffäre Kohls, dem CDU-Übervater und Rekord-Kanzler, dessen Amtszeit Merkel nun sogar noch überholen könnte. Vorausgesetzt die Ampel-Koalition hat bis zum 19. Dezember noch keinen Nachfolger ins Amt gehievt.

Ohne Zweifel: Merkel hat ein unglaubliches politisches Geschick. Ohne dieses Gespür wäre sie wohl kaum zur einflussreichsten Frau der Welt aufgestiegen, bewundert und geachtet diesseits und jenseits des Atlantiks. Ihr Führungsstil passt zu Deutschlands Lage und Position im Herzen Europas: Eher bedächtig, zögerlich, tarierend, vermittelnd und Europa stets zusammenhaltend. Doch zuweilen packt Merkel intuitiv derart vehement zu, dass sie das Ruder herumreißt und quasi im Alleingang weichenstellende Entscheidungen trifft. Einige dieser Entscheidungen haben sich im Nachhinein als schwer verdaulich und wenig weitsichtig herausgestellt. Allen voran drängt sich hier ihre Wende in der Migrationspolitik und ihr „Wir schaffen das!“ von 2015 auf. Aber auch der Entschluss zum Atomausstieg 2011 nach dem Unglück in Fukushima oder die „Ehe für alle“ 2017 zählen zu Merkels Volten. Für sich genommen, stellt jede einzelne eine starke Abkehr von Schlüsselpositionen und –werten der CDU dar.

Deutsch-israelische Regierungskonsultationen

Ein Schlüsseljahr ihrer Kanzlerschaft war aus der Perspektive der deutsch-israelischen Beziehungen sicherlich das Jahr 2008. Anlässlich des 60. Jahrestages der Staatsgründung Israels initiierte Merkel die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, ein Format, das bis dahin lediglich europäischen Partnern und Russland vorbehalten war. Bei ihrem Besuch in Israel im März desselben Jahres besuchte sie das Grab von Staatsgründer David Ben Gurion und erinnerte in ihrer historischen Knessetrede an dessen und Konrad Adenauers Verdienste um das Fundament der bilateralen Beziehungen beider Länder. Sie hat also durchaus ein ausgeprägtes historisches Bewusstsein. Leider machte sich Merkel Adenauers inneren Kompass und Pragmatik in Bezug auf Israel nicht zu eigen, die es ihm erlaubt hatten, mithilfe von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß die rüstungstechnische Unterstützung Israels gegen das eigene Auswärtige Amt durchzusetzen, zur Not auch an letzterem vorbei. In Merkels Fall wäre das heiße Eisen die Iran-Politik gewesen, die deutlich strikter hätte ausfallen müssen. Doch so prinzipienstark, wie ihre Rede in der Knesset 2008 klang, regierte Merkel danach leider nicht.

Dabei hatte sie in ihrer Rede, die durchaus als Programmrede zur Ausgestaltung deutscher Israelpolitik getaugt hätte, im Fortgang den Begriff der „deutschen Staatsräson“ entwickelt, die sie insbesondere angesichts der Bedrohung Israels durch den Iran sah. So heißt es in der Ansprache:

„Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben. Deutschland setzt gemeinsam mit seinen Partnern auf eine diplomatische Lösung. Die Bundesregierung wird sich dabei, wenn der Iran nicht einlenkt, weiter entschieden für Sanktionen einsetzen.“

Versagen in der Iran-Politik

Am Ende ihrer Kanzlerschaft bleibt dem Autor nichts anderes übrig, als zu konstatieren, dass Merkel gegenüber ihrer selbstauferlegten Messlatte, die Einlösung ihres Versprechens gegenüber Israel schuldig geblieben ist. Sie hat willentlich weggeschaut, als der Iran allen Verpflichtungen zum Trotz sein Atomprogramm beharrlich vorangetrieben hat. Mehr noch: Unter ihrer Führung hat Deutschland sich entschieden gegen eine Sanktionierung des Iran eingesetzt. Deutschland ist nach wie vor der größte Handelspartner des Iran in Europa.

Bis auf wenige nennenswerte Ausnahmen ist Merkels Nahost– und Israelpolitik damit, entgegen ihrer hehren Worte von 2008, geradewegs eine Politik der „leeren Worte“. Weit entfernt von etwa Joseph Strauß‘ „Freundschaft der mutigen Tat“. Schon Joseph von Eichendorff bezeichnete den Begriff der Staatsräson im 19. Jahrhundert als „ein diplomatisches Schachspiel verhüllter Intentionen“. Und das trifft den Nagel auf den Kopf, denn der Begriff, in seiner Vagheit und Nicht-Definiertheit, erlaubt seither auf staatstragende Art und Weise jedem, alles Mögliche darunter zu verstehen. Nur um das deutlich zu sagen: Es gibt kein Problem mit dem Begriff. Entscheidend ist jedoch nicht der Begriff der deutschen Staatsräson an sich, sondern die konkreten Ableitungen und Handlungen, die daraus erwachsen.

Merkel verstand ihn zunächst hauptsächlich als Rüstungshilfe zur Unterstützung israelischer Verteidigungskapazitäten. So setzte sie, und das ist ihr hoch anzurechnen, die Linie der Rüstungspolitik ihres politischen Ziehvaters Kohl fort, indem sie weitere U-Boot-Verkäufe an Israel bewilligte. Wohlwissend, dass diese Israel vermeintlich zu nuklearen Zweitschlägen befähigen. Zudem lieferte Deutschland Israel hochmoderne Korvetten zum Schutz seiner Hoheitsgewässer. Markus Kaim schreibt für die Bundeszentrale für politische Bildung über eine zweite Ebene der deutschen Staatsräson: „Die zweite Facette der häufig als ‚Merkel-Doktrin‘ vereinfacht beschriebenen Verpflichtung der deutschen Außenpolitik zugunsten Israels ist das Bemühen, in der Region des Nahen Ostens ein politisches Umfeld zu schaffen, das die Spannungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn abfedert und den arabisch-israelischen Konflikt einer dauerhaften Regelung zuführen soll.“ Er führt im Weiteren dieses Narrativ der Bundesregierung aus, die damit die politische und finanzielle Unterstützung der Palästinenser zu einer Unterstützung Israels umdeutet. Dass dieses (wohlmeinende) deutsche Engagement für die Palästinenser Israels Interessen und Sicherheit zuwiderläuft, bleibt freilich unerwähnt.

Diese Doktrin der deutschen Staatsräson gegenüber Israel, wie das Dogma der Zweistaatenlösung sie definiert, treibt Deutschland seither de facto in einen Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im Bemühen um eine Friedenslösung wird einerseits der friedensunwilligen Palästinensischen Autonomiebehörde ein quasi-Veto und vollständige Amnestie eingeräumt. Aber andererseits wird Israel in die Bringschuld für Frieden gesetzt und zu weitreichenden Zugeständnissen entgegen seinen Interessen gedrängt. Dieser Zwiespalt wird auch Jahr für Jahr in den deutschen Voten in Bezug auf Israel in den Vereinten Nationen deutlich. In unschöner Regelmäßigkeit stellt sich Deutschland dabei an die Seite der Feinde Israels. Natürlich begleitet von verbaler Schönfärberei. Ganz vorne mit dabei Merkels langjähriger außen – und sicherheitspolitischer Chefberater, Christoph Heusgen. Der sollte später als deutscher UN-Botschafter durch einen skandalösen Vergleich Raketen der terroristischen Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung verharmlosen. Er setzte diese israelischen Bulldozern gleich, die illegal errichtete Strukturen der Palästinenser abreißen.

Bei Abstimmungen der Vereinten Nationen hat Deutschland häufig für anti-israelische Resolutionen gestimmt. Im Bild der UN-Hauptsitz in New York. Foto: Dana Nowak

In alledem ist Deutschland unter Merkel zum größten finanziellen Förderer und Unterstützer antiisraelischer UN-Institutionen wie der UNRWA oder dem israelversessenen UN-Menschenrechtsrat sowie von zahlreichen antiisraelischen Nichtregierungsorganisationen geworden.  Daneben gab es auch Lichtblicke, wie etwa das deutsche Angebot  2014, Israelis in solchen Ländern konsularisch zu vertreten, mit denen Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhält. So genießt Merkel in Israel nach wie vor hohes Ansehen, wie ihr Abschiedsbesuch eindeutig gezeigt hat. Die Regierung Lapid-Bennett rollte den roten Teppich aus und vermied jeglichen kritischen Ton. In den deutschen und israelischen Medien gab es wahre Lobeshymnen auf Merkel. Lediglich Professor Michael Wolffsohn ließ es sich nicht nehmen, das tatsächliche Handeln Merkels gegenüber dem Springerverlag zum Thema zu machen und mit deutlichen Worten zu kritisieren. Merkel setzte in ihrer Amtszeit die Europäisierung deutscher Nahostpolitik fort, die Franz-Josef Strauß so zielgenau auf den Punkt zu bringen verstand: Letztere bemühe sich, um eine „Quadratur des Kreises“ und bestünde aus „unsinnigen Leerformeln“, die zwar diplomatisch leicht zu vertreten, politisch aber nicht umsetzbar seien.

Kaum noch israelfreundliche Stimmen in der CDU

Wie wird sich die Israelpolitik der Union nach Merkel wohl entwickeln? Gewichtige und laute israelfreundliche Stimmen unter den CDU-Politikern sind selten geworden – vor allem nach dem Versterben des altgedienten Außenpolitikers Andreas Schockenhoff (2014) und dem tragischen Tod von Philipp Mißfelder (2015), die beide in der Union eine klaffende Lücke gerissen haben. Die verbliebenen Außenpolitiker, etwa Norbert Röttgen, der abgewählte Andreas Nick oder Roderich Kiesewetter liegen ganz auf der außenpolitischen Linie Merkels und haben ihren Ansatz verinnerlicht. Es bleibt zu hoffen, dass in der Union noch mehr Politisches von Adenauer übrig ist, als nur der Name der Parteizentrale und einer Stiftung. 

Heute, vier merkelsche Amtszeiten nach Helmut Kohl, muss ihre Partei wieder laufen lernen. Doch anders als 1999 wagt es kaum eines der politischen Schwergewichte in der Union, sich vom Schlachtross Merkel loszusagen. Vielleicht bekommen wir ja doch noch einen Artikel mit dem Aufruf zu einer neuen Politik der Union. Weg vom Weg Merkels und ihrer Doktrin, zurück zu alten Tugenden. Zu Weihnachten darf man sich ja bekanntlich etwas wünschen.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 127. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen: https://csi-aktuell.de/israelaktuell. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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