Trotz abenteuerlicher Witterungsbedingungen und unwägbarer Kriegsauswirkungen machen wir uns mit einem kleinen internationalen Team von Christen an der Seite Israels auf den Weg, um anlässlich des jüdischen Chanukkafestes ein Licht der Hoffnung in den Süden der kriegsgeschüttelten Ukraine zu bringen. Die Idee entstand bei einem gemeinsamen Essen mit Bedürftigen im CSI-Patenschaftsprogramm im Herbst in Odessa. Noch schwerer als die örtliche Bevölkerung leiden diejenigen, die weiter östlich ihr Zuhause verlassen mussten und zum Teil sogar wissen, dass es nicht mehr existiert.
Inmitten von so viel Leid und Ungewissheit ein Chanukka-Licht der Hoffnung anzuzünden und Gottes überströmende Barmherzigkeit weiterzugeben, ist das, was uns für diese Reise am Herzen liegt. „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott.“ (Jesaja 41,10). Wir brauchen unseren Gästen eigentlich nur jeweils die Herrnhuter Tageslosung vorzulesen und haben schon die Vorlage für die kleine Ansprache, mit der wir unsere Feier eröffnen.
Cherson: Die meisten sind geflohen
Der Tag beginnt mit einem Treffen im Büro von Alexander, dem bisherigen Leiter des jüdischen Sozialwerks Chesed in Cherson, zwei Autostunden von Odessa entfernt. Die ganze Zeit über haben wir mit ihm Kontakt gehalten und uns über den aktuellen Stand in der Stadt informiert – erst noch live aus Cherson; dann, als er fliehen musste, weiter aus Odessa.
„450 unserer Schutzbefohlenen im Rentenalter sind noch dort“, erklärt Alexander. „450 von ehemals 1500. Die anderen sind geflohen – viele in die Westukraine, und 130 nach Odessa. Gestern sind bei einem russischen Angriff auf einen Wohnblock wieder zwei Menschen umgekommen und sieben verwundet worden. So geht das jeden Tag, seit einem Jahr – seit sich die russischen Truppen auf die andere Seite des Dnepr zurückgezogen haben. Es läuft nichts mehr dort, außer den Lebensmittelgeschäften.“
Alles ist vorbereitet
Jetzt müssen wir uns beeilen – in einer Stunde beginnt unsere Feier, und wir wollen den Tisch noch herrichten. Das Hotel hat uns freundlicherweise die Vasen mit den saisonal passenden Blumensträußen ausgeliehen. Auch wenn ich kein Liebhaber von Keller-Restaurants bin – für Veranstaltungen in der Ukraine sind das im Moment die praktischsten Lokalitäten, denn das Kellergeschoss dient, soweit vorhanden, gleichzeitig als Schutzraum.
Als wir den Veranstaltungsort betreten, den Alexander mit seinem Team gebucht hat, sehe ich sofort, dass ich mir hier keine Sorgen machen muss. Die Tische sind gedeckt, ein Team von fleißigen Mitarbeiterinnen ist dabei, eine Vielzahl von Köstlichkeiten auf Teller zu verteilen – von eingelegtem Hering über Hähnchenrouladen, Kartoffelpuffer und Braten bis zu eingelegten Tomaten und Käse-Trauben-Snacks. Per Beamer ist ein Chanukkaleuchter an die Wand geworfen; die Musik stimmt, die Atmosphäre ist angenehm. Wir fügen noch die Blumen, die Servietten und leckere rote Schoko-Kugeln hinzu. Alexander ist begeistert. „An was ihr alles gedacht habt! Das sieht so festlich aus!“
Ein Gast nach dem anderen kommt erwartungsvoll auf der untersten Treppenstufe an. Nina hat sich am Rand schon mal hingesetzt. „Ich bin die Älteste hier“, sagt sie zu mir auf Deutsch. „Ich bin zweiundneunzig!“ Ihr Verstand ist glasklar. „Warum ich Deutsch kann? Ich hatte einen guten Lehrer, damals im Krieg, als wir in Zentralasien in der Evakuierung waren. Er war Russlanddeutscher. Die Ärzte hatten ihm das trockene Klima dort empfohlen. Er konnte aber nicht tatenlos herumsitzen und so hat er angefangen, uns Flüchtlingskindern Deutsch beizubringen. Er konnte gar nicht richtig Russisch. Wir haben nur Deutsch gesprochen, und so haben wir es gelernt.“
Erstes Wiedersehen seit Kriegsausbruch
Schließlich werden alle zu Tisch gebeten. „Wir haben es unseren Freunden Christen an der Seite Israels zu verdanken, dass wir uns heute hier zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges vor fast zwei Jahren wiedersehen“, begrüßt Alexander die Gäste. Ein emotionaler Videoclip zeigt Cherson, die Heimatstadt unserer Gäste, zu Friedenszeiten und jetzt, verbunden mit Hoffnung auf eine Rückkehr.
Tatjana erhebt sich und möchte sich persönlich bedanken. „Wir alle hier haben viel verloren. Mein Mann und ich, wir hatten eine schöne zweigeschossige Datscha, ziemlich nahe an der Kampfzone. Alles Wertvolle von dort haben wir in unserer Garage eingelagert. Unsere schöne Datscha gibt es nicht mehr – zerstört. Vorgestern haben unsere Nachbarn angerufen: Unsere Garage ist bei einem Raketenangriff getroffen worden. Jetzt haben wir alles verloren. Dass wir hier zusammenkommen und feiern können, bedeutet uns unendlich viel!“
Es folgt ein Kurzvideo über Chanukka. Tatjanas Mann öffnet die Weinflaschen und schenkt ein. Zeit für „L’Chaim!“
Chanukka-Wunder 2023
Alexander zieht eine Parallele von einem der Chanukkawunder damals – dass die zahlenmäßig weit unterlegenen Makkabäer die Griechen besiegen konnten – zu den aktuellen Nachrichten aus Israel und der Tatsache, dass auch heute solche Wunder geschehen. Der nächste Clip zeigt, wie eine Handvoll junge Frauen im ersten Gefecht der einzigen weiblichen israelischen Panzereinheit am 7. Oktober eine mutige Entscheidung traf und eine ganze Anzahl Kibbutzim von den Terroristen befreite. 17 Stunden haben sie gekämpft. „Solche Wunder brauchen wir auch heute; und sie geschehen!“ sagt Alexander.
Ich schaue mich um und bin glücklich. So hatte ich mir das vorgestellt. Die Leute genießen den reich gedeckten Tisch, die Musik, jeder hat jemanden zum Reden. Und unsere Liebe, die wir von Tausenden Unterstützern mitgebracht haben, kommt an.
Zeit für Geschenke: Alina erklärt den Inhalt der Tüten mit dem CSI-Logo. Die Broschüre wird mit einem respektvollen Nicken quittiert, die israelische Schokolade sorgt für Freude, der Tee auch; doch beim Anblick der hübschen und praktischen Wärmflasche sind die jüdischen Senioren aus Cherson hellauf begeistert. „Möge Gott euch Kraft und Gesundheit geben, noch viel Gutes zu tun!“ hören wir von allen Seiten.
Nachdem alle Mäntel wieder ihren Besitzer gefunden haben und etwas Ruhe eingekehrt ist, möchte uns der junge Hausherr mit seiner hübschen Frau kurz sprechen. „Als ihr euch vorhin vorgestellt habt, dass ihr von einer christlichen Organisation kommt, haben wir uns so gefreut!“ beginnt die zarte Luda. „Wir dienen auch im Königreich Gottes und es ist so wunderbar für uns, Geschwister zu treffen! Als der Krieg ausbrach, bin ich nach Deutschland geflohen. Ich war in der Nähe von Stuttgart, in Schorndorf. Dort habe ich eine tolle Gemeinde kennengelernt. Sie haben mir so geholfen. Und jetzt sind wir wieder hier zusammen und dürfen anderen helfen. Wir würden sehr gerne für euch beten und euch für euren wunderbaren Dienst segnen.“ Voll erwischt. Der Himmel ist mit Händen zu greifen. Was für einem wunderbaren Gott wir dienen.
Helfen Sie uns, den Holocaust-Überlebenden und bedürftigen jüdischen Senioren zu zeigen, dass sie Freunde in Deutschland haben! Hier können Sie eine Patenschaft abschließen. Alternativ können Sie den Überlebenden auch mit einer Einmalspende helfen, Spendenzweck: „Holocaust-Überlebende Ukraine“. Vielen Dank!