Entführt von der Hamas: „Bringt Yarden nach Hause!“

Entführt von der Hamas: „Bringt Yarden nach Hause!“

Ein Foto aus glücklichen Tagen. Während Vater Alon mit der dreijährigen Geffen den Hamas-Terroristen entkommen konnte, fehlt von Yarden bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitungsausgabe am 21. November jedes Lebenszeichen. Foto: privat

Maya Romanns Cousine Yarden wurde zusammen mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter von Hamas-Terroristen entführt. Während Vater und Kind auf dem Weg Richtung Gazastreifen die Flucht gelang, ist Yardens Schicksal ungewiss. Christen an der Seite Israels hat mit Maya Romann über den 7. Oktober und seine Folgen gesprochen. Die Fragen stellte Dana Nowak.

Dana Nowak: Frau Romann, ihre Cousine Yarden wurde von Hamas-Terroristen verschleppt. Können Sie uns berichten, wie das passiert ist?

Maya Romann: Am 7. Oktober war Yarden mit ihrem Mann Alon und ihrer Tochter Geffen bei den Schwiegereltern im Kibbutz Be’eri. Sie hatte mit ihrer Familie selbst vier Jahre dort gelebt, aber aufgrund der schwierigen Sicherheitslage an der Grenze zum Gazastreifen waren sie gerade weggezogen. Nun waren sie über die Feiertage zu Besuch gekommen. Am Samstag gab es dann Alarm und sie haben sich im Bunker versteckt. Aber die Terroristen drangen in das Haus ein. Sie verschleppten Alons Mutter Kinneret und seine Schwester Carmel. Später erfuhren wir, dass Kinneret ermordet wurde. Wir haben es in den sozialen Medien gesehen. Carmel wurde entführt. Alons Vater konnte sich im Badezimmer verstecken. Von ihm erfuhren wir, was passiert war.

Vier Terroristen hatten Alon, Yarden und ihre dreijährige Tochter Geffen in ein Auto gezerrt und waren damit in Richtung Gazastreifen gefahren. Kurz vor der Grenze sahen Alon und Yarden eine Gelegenheit zur Flucht. Sie sprangen aus dem Auto und rannten los. Yarden trug Geffen auf dem Arm, die Terroristen begannen, auf sie zu schießen und verfolgten sie. Yarden gab Geffen an Alon, damit er schneller rennen und sie retten konnte. Und das tat er auch. Er versteckte sich etwa zwölf Stunden lang in einem Wald, in einem kleinen Loch, das er mit Gebüsch bedeckte. Als es dunkel wurde, machte er sich auf den Weg zurück zum Kibbutz, obwohl es in der Gegend noch viele Terroristen gab. Aber es gelang ihm, die israelischen Truppen zu finden und uns anzurufen. Yarden wurde zuletzt gesehen als sie sich hinter einem Baum vor den Kugeln versteckte. Ihr Bruder Gili ging sofort zurück auf das Feld, um nach ihr zu suchen. In der ersten Woche ging er wieder und wieder los und wir suchten mit den Einsatzkräften nach ihr. Schließlich kamen sie zu dem Schluss, dass Yarden wieder entführt wurde. Und jetzt glauben wir, dass sie in Gaza ist.

Haben Sie seitdem ein Lebenszeichen von Yarden erhalten? Wissen Sie, ob sie verletzt ist?

Nein, wir wissen nichts. Das ist eines der Dinge, um die wir bitten, wenn wir mit Politikern sprechen: Wir bitten darum, dass das Rote Kreuz zu den Geiseln gelassen wird, damit wir wissen, ob es Yarden gut geht, ob sie lebt oder nicht. Es ist eine sehr schreckliche Situation. Wir waren Ende Oktober das erste Mal in Berlin. Wir haben Ricarda Louk getroffen, Shanis Mutter. Sie hat sich auch für ihre Tochter eingesetzt und hat so hart gearbeitet. Und als wir jetzt nach Berlin kamen, erfuhren wir, dass Shani Louk tatsächlich ermordet worden ist und die ganze Zeit über tot war. Es ist einfach so grausam, dass Menschen in diesem Zustand der Ungewissheit sind. Sie tun alles für die Menschen, die sie lieben, und wissen nicht, ob sie vielleicht …

Wie geht es Geffen? Sie hat als dreijähriges Kind Furchtbares erleben und sehen müssen, hat liebe Menschen wie ihre Oma verloren und vermisst nun ihre Mutter.

Geffen ist unglaublich. Sie hat eine sehr starke Bindung zu ihrem Vater. Ich weiß nicht, was er ihr gesagt hat. Aber sie ist in der Lage zu erzählen, was passiert ist. Und sie versucht herauszufinden, ob all diese Dinge normal sind. Sie hält uns alle zusammen. Aber natürlich sind wir sehr besorgt, was das Erlebte auf lange Sicht mit ihr machen wird. Sie können sich vorstellen, wie es auf ein dreijähriges Kind wirkt, wenn seine Mutter einfach verschwindet. Sie weiß, dass ihre Mutter verschwunden ist. Und ich glaube, es hilft ihr zu sehen, dass alle immer noch nach ihr suchen.

Sie und ihre Familie setzen sich gemeinsam mit Angehörigen anderer Geiseln für die Freilassung der Entführten ein. Was haben Sie bisher unternommen?

Meine Familie und ich haben beschlossen, uns auf internationalen Druck zu konzentrieren. Also hauptsächlich auf Deutschland und die Vereinigten Staaten, weil wir auch deutsche Staatsbürger sind. Wir waren schon zweimal mit Angehörigen von Geiseln in Deutschland. Wir wissen von 21 Geiseln, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben. In Deutschland haben wir uns unter anderem mit Bundeskanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und den Vorsitzenden aller demokratischen Parteien getroffen. Yardens Schwester Roni hat auf einer Kundgebung am Brandenburger Tor vor 25.000 Menschen gesprochen. Das war an Yardens Geburtstag und alle haben Happy Birthday gesungen. Es war sehr, sehr bewegend. Wir waren auch zum Gedenken an die Kristallnacht in Deutschland. Wir haben viele Medieninterviews gegeben und auch mit Vizekanzler Habeck gesprochen.

Welchen Eindruck hatten Sie von den Treffen mit deutschen Politikern?

Mein Eindruck ist, dass im Moment vor allem die Vereinigten Staaten und Israel die Verhandlungen führen. Ich glaube schon, dass Deutschland etwas tut. Wir haben das Gefühl, dass alle sehr gut informiert sind. Jeder sagt uns, dass die Geiseln das erste Thema sind, über das sie bei ihren Treffen sprechen. Wir wissen, dass sie mit den Amerikanern in engem Kontakt stehen. Wir warten ab, was in den nächsten ein oder zwei Wochen passiert. Wir wissen, dass ein großer Deal auf dem Tisch liegt, und wir hoffen sehr, dass er zustande kommt.

Maya Romann kämpft für die Freilassung ihrer Cousine Yarden. Foto: Jason Terschüren

Ihre Großmutter lebte in Deutschland. Können Sie uns etwas über sie erzählen?

Gerne. Unsere Großmutter Lotte und unser Großvater Hans stammen beide aus Deutschland. Lotte lebte in Fürth. Sie war sehr eigensinnig, hat ihre Meinung laut gesagt, sich gegen Hitler geäußert. Ihre Lehrer rieten den Eltern, Lotte sollte Deutschland verlassen. Doch ihre Eltern wollten nicht gehen. Der Vater war im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Er war ein wichtiger Anwalt. Und er war der Meinung, dass er Deutscher war, dass ihn niemand zwingen würde, sein Land zu verlassen. Also blieben sie und wurden beide ermordet. Lotte verließ im Alter von 17 Jahren Deutschland, einen Tag nach der Kristallnacht. Als sie nach Israel kam, gab es dort noch nicht viel. Sie gehörte zur Gründergeneration Israels. Sie war eine sehr große Zionistin. Sie glaubte an Bildung und an Landwirtschaft.

Was ich an ihr so schön finde, ist, dass sie wirklich an Versöhnung glaubte. Es gab viele Juden, die aus Deutschland kamen und nichts mehr von Deutschland hören wollten. Doch für unsere Großmutter gab es gute Dinge in Deutschland, sie wollte Versöhnung schaffen und Brücken bauen. Sie hat schon sehr früh eine Stiftung gegründet, die deutsche und israelische Wissenschaftler zusammenbrachte, um die Landwirtschaft voranzubringen. Das war in den 60er und 70er Jahren, als die Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland gerade erst begann. Und sie war eine Vertreterin bei der UNO. Ich habe sie sehr geliebt. Sie ist gestorben, als wir in der High School waren. Das ist etwa 20 Jahre her. Mein Großvater stammte aus Heidelberg. Er war auch Anwalt. Er ist gegangen, als sie ihn nicht befördert haben, weil er Jude war. Er hat den Brief sein Leben lang aufbewahrt, in dem stand, dass er nicht in der Anwaltskanzlei arbeiten darf, weil er Jude war. Weil unsere Großmutter nichts Schlechtes an Deutschland fand, haben wir alle unsere deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und behalten.

Danke, dass Sie uns von ihrer Großmutter erzählt haben. Sie muss eine erstaunliche Frau gewesen sein. Nach allem, was sie durchgemacht hat, war sie bereit, zu vergeben und Brücken zu bauen.

Ja, das ist sehr bewegend. Sie war eine erstaunliche Frau. Ich fühle mich ihr in allem plötzlich so nahe, weil wir nun in Deutschland waren. Ich hätte nie gedacht, dass unsere deutsche Staatsbürgerschaft einmal so wichtig sein würde. Wir sind deutsche Staatsbürger, aber wir leben alle in Israel. Und jetzt spüre ich diese Verbindung zum ersten Mal. Als wir nach Deutschland kamen und die Regierung uns wirklich wie Bürger behandelte und uns ernst nahm und dann beim Gedenken an die Pogromnacht dabei zu sein, das war sehr bewegend. Ich denke immer wieder an meine Großmutter und was sie zu alldem sagen würde, das jetzt gerade passiert.

Als Christen an der Seite Israels stehen wir an der Seite des jüdischen Staates, an der Seite des jüdischen Volkes, an Ihrer Seite. Was können wir als Christen, als einzelne Bürger für die Geiseln tun?

Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es sich um ein globales Problem handelt, um eine humanitäre Frage, um eine Frage der Werte. Es geht nicht nur um Israel und nicht nur um das jüdische Volk. Es ist wichtig, Menschen wie Sie zu haben, die sagen: Wir sind Christen und wir unterstützen Israel in dieser Sache; und wir tun dies, weil unsere Werte als Christen uns vorgeben, dass so etwas nicht passieren darf. Ich kann mich an nichts Vergleichbares erinnern, wo mehr als 200 Frauen und Kinder einfach aus ihren Häusern entführt wurden. Das ist eine neue Form des Terrors. Sie kann sich überall durchsetzen, wenn wir uns nicht entschieden dagegen wehren, nicht nur in Israel. Die Menschen können ihre Stimme erheben. Sie können dafür sorgen, dass die Geschichte der Geiseln in den Nachrichten ganz oben steht. Wir wollen dieses Thema nicht vergessen. Wenn die Leute über humanitäre Hilfe im Gazastreifen sprechen, müssen wir sicherstellen, dass sie die Geiseln mit einbeziehen und nicht nur über humanitäre Hilfe für eine Seite sprechen.

Hamas-Terroristen haben wahllos 240 Israelis in den Gazastreifen verschleppt. Die jüngste Geisel ist neun Monate alt, die älteste wohl 85 Jahre. Foto: bringthemhomenow.net

Was gibt Ihnen in dieser furchtbaren Zeit Halt und Trost?

Ich sehe so viele Menschen, die helfen wollen. Es tut so gut zu sehen, wie sehr Sie sich kümmern, wie sehr die Menschen in Deutschland, die wir getroffen haben, sich kümmern. Ich bekomme den ganzen Tag Anrufe und Nachrichten von Leuten, die ich vor 15 Jahren in den Vereinigten Staaten kannte. Und natürlich von Leuten in Israel und in Deutschland, von Freunden meiner Großmutter, mit denen ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe. Das gibt so viel Kraft. Man hat das Gefühl, nicht allein zu sein. Denn das ist unsere größte Sorge: mit dieser schrecklichen Geschichte allein gelassen zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Kraft für Sie! Wir hoffen und beten, dass Yarden und die anderen Geiseln bald freikommen.

Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews am 14. November laufen die Bemühungen um die Freilassung der mehr als 230 israelischen Geiseln auf Hochtouren. Verschiedenen Medienberichten zufolge steht ein Deal in Aussicht bei dem etwa 70 Frauen und Kinder freikommen könnten. Hier erfahren Sie, wie Sie Maya Romann bei ihrem Einsatz für die Freilassung von Yarden und der anderen Geiseln unterstützen können: www.bringyardenhome.com.

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“ Ausgabe 135. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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