„Ich bin nicht allein“ – Trost und Hilfe für Holocaust-Überlebende und Bedürftige in Moldawien

„Ich bin nicht allein“ – Trost und Hilfe für Holocaust-Überlebende und Bedürftige in Moldawien

Serafima hat das Stalin-Regime und den Holocaust überlebt – allein. Foto: CSI

Serafima hat in ihrem Leben unter zwei Diktaturen gelitten. Stalin nahm ihr die Eltern, Hitler nahm ihr die Kindheit. Unsere Mitarbeiterin Anemone Rüger hat Serafima mit Kollegin Alina aus der Ukraine im Norden Moldawiens besucht und eine Frau mit einer bemerkenswerten Ausstrahlung angetroffen.

Serafima ist ganz allein. Mit einem Kopftuch hat sie streng die Haare nach hinten gebunden, doch ihr Blick ist ganz klar. „Ich bin nicht allein“, sagt sie, als ich mich neben sie setze und ihre Hand ergreife. „Gott und ich wohnen hier.“

1934 ist sie in einem kleinen Dorf bei Witebsk in Weißrussland geboren. Das Dorf habe nicht mal einen Namen gehabt, so klein sei es gewesen, sagt Serafima. Die Informationen über ihre Herkunftsfamilie sind dünn. „Sie wurden ausgesiedelt, als ich noch klein war,“ sagt Serafima, als wir sie nach ihren Eltern fragen. „Sie hatten anscheinend etwas mehr als andere, eine Kuh oder einen kleinen Hof. Ich weiß nicht genau, was es war.“

Erst auf Nachfrage bestätigt Serafima die schlimme Vermutung: Ja, sie wurden „repressiert“. Sprich: Stalins Schergen holten sie ab und verschleppten sie in einen Gulag, aus dem sie nie zurückkehrten. Zunächst war Serafima bei der Oma. Als diese starb, kam sie ins Waisenhaus. Über diese Zeit möchte sie lieber nichts erzählen. Vielleicht hat sie auch immer noch Angst, das Falsche zu sagen.

„Urteilt selbst“, sagt sie vorsichtig, „wie wir behandelt wurden. Ich war sieben, als der Krieg begann. Sie haben uns evakuiert. Alle in einen Waggon, stehend. Es war kein Platz, um sich hinzusetzen, um zu schlafen. So sind wir zwei Monate gefahren. Urteilt selbst… Unterwegs wurde unser Zug immer wieder angegriffen. Sie haben uns aus dem Waggon geschubst, dann haben sich die Erzieher über uns geworfen, um uns zu schützen.“

Bei Abfahrt waren es 75 Kinder, die in den Osten der riesigen Sowjetunion evakuiert wurden. Unterwegs hielt der Zug immer wieder, um noch weitere Waisen mitzunehmen. Am Schluss waren es mehr als 200. „Gehungert haben wir, das ist in meiner Erinnerung immer da“, erinnert sich Serafima. „Wir haben nach Priorität Essen bekommen. Erst haben die Kinder etwas bekommen, die dem Verhungern nahe waren. Die Stärkeren kamen später dran.“

Nach der Ankunft in der Fremde wurden die Kinder in einem Dorf bei Tschkalow ausgesetzt. „Geholfen hat uns niemand“, sagt Serafima. „Es gab ja keine Männer. Alle waren an der Front. Man hat uns dort ein Stück Land gegeben und gesagt: ‚Hier, macht etwas draus.‘ Mit sieben Jahren musste ich schon hart arbeiten, so wie auch die anderen Kinder. Manche haben es nicht geschafft.“

Serafima mit einem Waffelherz aus Deutschland. Foto: CSI

Als der Krieg vorbei war, verschwand der Direktor des Kinderheims. „Uns haben sie dort gelassen“, berichtet Serafima. „Jeder war auf sich gestellt. Dann bin ich dort dem Kombinat für Leinenverarbeitung zugewiesen worden. Das war eine Art Strafarbeit. Ich habe mich mein ganzes Leben durchgeschlagen, habe immer wieder etwas Besseres gesucht. So bin ich nach Belz gekommen.“

Nach weiteren Angehörigen gefragt, muss Serafima passen. „Opa und Oma habe ich nie gekannt. Sie sind auch im Gulag verschwunden, da sie etwas Besitz hatten. Ich habe weder Großeltern noch sonst irgendwelche Verwandten gekannt. Ich war wie ein abgeschnittener Finger, wie abgerissenes Blatt im Wind. Wer weiß, was ich ohne Gott gemacht hätte. Er hat mir immer geholfen. Ich bin später Köchin geworden, hier in Belz, und habe auch geheiratet. Jetzt bin ich ganz allein übriggeblieben.“

Wir wickeln Serafima in einen schönen Schal und sprechen ihr die Prophetenworte aus Jesaja 62,3 zu: „Und du wirst sein eine schöne Krone in der Hand des HERRN und ein königlicher Reif in der Hand deines Gottes.“

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