Israels Botschafter Prosor im Interview: „Die Diplomatie hat sich verändert“

Israels Botschafter Prosor im Interview: „Die Diplomatie hat sich verändert“

Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor (M.), mit dem CSI-Leiter für den Bereich Politik und Gesellschaft, Josias Terschüren (l.), und CSI-Redaktionsleiterin Dana Nowak. Foto: CSI

Seit mehr als einem Jahr ist Ron Prosor Israels Botschafter in Deutschland. Christen an der Seite Israels (CSI) hat mit ihm über die Bedrohung durch den Iran, den wachsenden Antisemitismus auf Deutschlands Straßen und die jüngsten Angriffe auf Christen in Israel gesprochen. Im Interview erzählt der Spitzendiplomat außerdem, warum er stolz auf die jüngsten Demonstrationen in Israel ist und wieso er die Bundesrepublik bereits gut kennt. Die Fragen stellten Dana Nowak und Josias Terschüren.

CSI: Herr Botschafter, Sie sind jetzt seit rund einem Jahr als israelischer Botschafter in Berlin. Sind Sie mit Ihrer Familie gut in Deutschland angekommen? Wie lautet Ihr Resümee dieses Jahres?

Ron Prosor: Die deutsch-israelischen Beziehungen liegen mir sehr am Herzen. Nach den USA ist Deutschland der zweitwichtigste Partner Israels! Mein Vater und meine Großeltern lebten in Berlin. Mein Großvater war ein dekorierter preußischer Offizier, er sah sich als Deutscher. Meine Großeltern sind Ende 1933 aus Deutschland ins damalige Palästina geflohen. Ich hatte immer den Wunsch, einmal Botschafter in Deutschland zu sein. Meinen ersten Posten hatte ich hier von 1988 bis 1992 in Bonn. Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, war ich für die fünf neuen Bundesländer zuständig.

Wenn ich jetzt die einzelnen Bundesländer besuche und mit eigenen Augen sehe, was die Deutschen geschafft haben, dann kann ich sagen, sie können stolz sein. Von den 16 Bundesländern habe ich seit Amtsanritt schon acht besucht und ich mache weiter. Die Beziehungen zwischen den Bundesländern und Israel sind mir sehr wichtig. Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und den Jugendaustausch und die Verbindungen zum Mittelstand fördern. Wenn deutsche Jugendliche in Israel die Fähigkeit kennen und schätzen lernen, „outside the box“ zu denken, sind sie sicherlich offener dafür, mit Israelis zusammenzuarbeiten. Israelische Jugendliche werden mit Deutschland ein Land kennenlernen, das wie kein zweites durch den Mittelstand geprägt ist und die Deutschen werden ihnen vormachen „inside the box“ zu arbeiten. Wenn man die jeweiligen Stärken und Schwächen unserer Länder kombiniert, profitieren am Ende alle Beteiligten.

Sie haben unter verschiedenen israelischen Regierungen als Botschafter gedient und sind von der israelischen Vorgängerregierung eingesetzt worden. Die neue Regierung unter Benjamin Netanjahu wird in Deutschland ja durchaus kritisch betrachtet. Macht die Zusammensetzung der Regierung einen Unterschied für Sie und Ihre Arbeit?

Ich vertrete den Staat und das Volk Israel und habe unter verschiedenen Premierministern gearbeitet. Ich habe diese Arbeit seit fast 35 Jahren im Auftrag verschiedener Regierungen getan. Gerade haben wir in Israel viele Themen, die auch im Ausland wahrgenommen werden und die man ansprechen muss. Zum Beispiel die Demonstrationen gegen die Justizreform. Ich bin stolz auf unsere Demokratie in Israel und die Demonstrationen. Jeder kann sehen, dass die Proteste unter israelischer Flagge stattfinden, Demonstranten identifizieren sich mit dem Staat Israel. Außerdem wird durch die Demonstrationen deutlich, wie stark die demokratischen Strukturen in Israel sind. Wir brauchen keine Zeigefinger von außerhalb.

Die Rolle von Botschaftern und Diplomaten ist seit Twitter & Co viel mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt und wird auch in Deutschland seit US- Botschafter Richard Grenell oder dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyik durchaus selbstbewusst, zuweilen gar konfrontativ gelebt. Als oberster israelischer Diplomat in Deutschland beschreiten auch Sie manchmal offen „undiplomatische“ Wege im Umgang mit etablierten „Israelkritikern“ wie etwa Dr. Muriel Asseburg. Können Sie uns einen Einblick in diesen Mentalitätswechsel geben?

Vor drei Jahren habe ich ein Buch veröffentlicht: „Undiplomatically speaking“ (Anm. d. Red.: Undiplomatisch gesagt). Die englische Version wird voraussichtlich im September erscheinen. Ich bin der Meinung, dass sich die Diplomatie verändert hat. Früher hat man Telegramme geschrieben und alle drei Monate nachgefragt: „Ist der Botschafter noch am Leben?“ Heute ist die Zeit schnelllebiger. Wer etwas bewirken will, muss schnell reagieren. Israel zu kritisieren ist legitim. Ich bin offen für Kritik, das ist Teil meiner Kultur, Teil eines demokratischen Staates. Aber Kritik ist keine Einbahnstraße. Wenn jemand das in der Öffentlichkeit tut, dann habe auch ich das Recht, diese Kritik zu kritisieren.

Die mediale Berichterstattung in Deutschland zum Thema Israel steht in der Kritik, vielfach ein einseitiges und ideell vorgefärbtes Bild des Landes zu vermitteln. Was ist zu tun? Wie kann dem begegnet werden?

Zunächst muss man sagen, dass die deutschen Medien ein hohes Niveau und hohe journalistische Standards haben. Ich habe aber ein Problem damit, wenn Hintergrundinformationen fehlen oder Schlagzeilen nicht klar sind. Wenn es beispielsweiseheißt „Auto fährt in Menschenmenge“ – war es etwa ein alleinfahrendes Auto? Hier muss klar gesagt werden, dass ein Terrorist gefahren ist. Ich reagiere unter anderem über Twitter auf irreführende Schlagzeilen und manchmal werden diese dann korrigiert. Mein Appell an alle Leserinnen und Leser: Reagieren Sie über Social Media, wenn Ihnen etwas auffällt.

Ron Prosor ist seit August 2022 Israels Botschafter in Deutschland. Foto: Boaz Arad

In letzter Zeit gab es vermehrt Meldungen von Angriffen gegen Christen und Kirchen in Israel. Pater Nikodemus spricht davon „praktisch täglich angespuckt zu werden“ und auch evangelikale Christen berichten jüngst von ähnlichen Erfahrungen. Als christliche Freunde Israels stellt uns die Situation vor ein Dilemma, wir sehen Israel einerseits als Leuchtturm der Freiheit für Christen im Nahen Osten, andererseits sind Angriffe gegen Christen selbstverständlich inakzeptabel. Wie schätzen Sie die Lage in Israel ein und was unternimmt die israelische Regierung, um Christen zu schützen und den Angriffen zu begegnen?

Ich verurteile ohne Wenn und Aber jegliche Angriffe gegen Christen im Heiligen Land. Das hat auch unser Präsident Jitzchak Herzog getan. Solche Angriffe sind nicht der Weg des Judentums. In Israel steht die Religionsfreiheit an erster Stelle – und zwar für alle, als einziger Staat im Nahen Osten, da wir als Juden in dieser Hinsicht in der Vergangenheit sehr gelitten haben. Die christliche Gemeinde in Israel ist außerdem die einzige im Nahen Osten, die wächst. Das müssen wir ganz klar unterstützen, indem wir das Problem erkennen und die Angriffe auf Christen hart bestrafen werden.

Der Iran steht kurz davor, eine Atombombe nicht nur bauen, sondern auch mit Raketen großer Reichweite einsetzen zu können. Dennoch verhandelt der Westen unter Leitung der USA momentan über Sanktionserleichterungen für ein Einfrieren des Atomprogramms. Für Israel ist das eine Existenzfrage. Was erwarten Sie von Deutschland?

Zunächst möchte ich betonen, dass Israel nichts gegen das iranische Volk hat. Im Iran gibt es eine sehr diverse Gesellschaft, innerhalb der übrigens auch die Frauen eine starke Position haben. Wir haben ein echtes Problem mit den Mullahs und Ajatollahs. Iranische Raketen und Drohnen sieht man heute in Russland und in der Ukraine. Ich glaube, dass es mittlerweile in Deutschland und Europa ein besseres Verständnis dafür gibt, wovor wir bereits vor 20 Jahren gewarnt haben. Wir sehen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die die Revolutionsgarde als Terror-Organisation einstufen wollen. Das ist positiv zu bewerten, aber jetzt muss gehandelt werden. Der Iran spricht öffentlich von der Vernichtung des Staates Israel. Hier vermisse ich ein öffentliches Aufbegehren Deutschlands und der EU-Staaten dagegen.

Wir erleben in Deutschland, aber auch weltweit eine ständige Zunahme des Antisemitismus. Mittlerweile findet sich auch hier bei uns wieder offen propagierter Juden und Israelhass, etwa auf Berliner Straßen. Sie waren zuletzt persönlich in der Sonnenallee zu Besuch, nachdem dort antisemitische Aufkleber entdeckt worden waren. Der Bund und die Bundesländer haben Antisemitismusbeauftragte eingesetzt. Vieles ist schon unternommen und versucht worden. Was könnte noch helfen?

Zunächst möchte ich betonen, dass die Bundesregierung auf dieser Ebne wirklich eine gute Arbeit macht. Sie nimmt das Thema sehr ernst. Nehmen wir als Beispiel Neukölln, weil ich diesen Bezirk erst vor kurzem mit dem Bürgermeister besucht habe. Die meisten Menschen, die dort leben sind anständige Leute, doch dann gibt es die Mitglieder von Samidoun, die mitten in Berlin „Tod Israel“ und „Tod den Juden“ schreien. Samidoun nutzt und missbraucht die deutsche Demokratie wie ein trojanisches Pferd! (Anm. d. Red.: Samidoun ist ein Netzwerk, das von Mitgliedern der „Volksfront zur Befreiung Palästinas”, PFLP, gegründet wurde). Dass jede jüdische Schule oder Synagoge geschützt werden muss – nicht nur hier in Deutschland, auch in Großbritannien und anderen Ländern – diese Anomalitäten werden allmählich normal. Dinge, die wir in der Vergangenheit am Rande wahrgenommen haben, sind plötzlich salonfähig geworden. Wir müssen einerseits durch Bildung aufklären und andererseits die Dinge angehen und strafrechtlich verfolgen.

Stellen Sie sich vor, die Antwort auf die letzte Frage würden alle Christen in Deutschland hören und lesen: Was wäre Ihre Botschaft?

Meine Botschaft ist: Besuchen Sie das Heilige Land! Kommen Sie, um mit eigenen Augen das Land zu erleben, diesen wirklich einzigartigen Schmelztiegel von Kulturen, von Religionen. Durch die Straßen und Gassen in Jerusalem zu gehen, das ist ein besonderes Gefühl, auch für mich als säkularer Jude. Man fühlt sich, als ob man auf den Schultern von Riesen geht, wenn man darüber nachdenkt, wer dort schon alles unterwegs war. Besuchen Sie das Heilige Land!

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 134. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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