Mit Pelzmütze gegen die Kälte in der Wohnung – Besuche bei Holocaust-Überlebenden in der Ukraine und in Israel

Mit Pelzmütze gegen die Kälte in der Wohnung – Besuche bei Holocaust-Überlebenden in der Ukraine und in Israel

Ein zerstörtes Hotel in Nikolajew
Ein zerstörtes Hotel in Nikolajew; noch vor wenigen Jahren haben CSI-Mitarbeiter hier übernachtet. Foto: Christians for Israel Ukraine

Am 24. Februar hat sich der russische Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal gejährt. 730 Tage Krieg; unzählige Gefallene, Verkrüppelte, Gebrochene, Geängstigte – und kein Ende in Sicht. Die jüdische Gemeinschaft in Nikolajew wird seit Jahren von Christen an der Seite Israels unterstützt. Nun waren unsere Ukraine-Mitarbeiter zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder vor Ort in der Stadt am Schwarzen Meer.

„Es ist schon lange, viel zu lange her, dass wir das letzte Mal unsere jüdischen Freunde in Nikolajew besucht haben“, sagt Alina, während sie ihren Koffer packt, um zusammen mit Fahrer Igor die Holocaust-Überlebenden und jüdischen Senioren im Patenschaftsprogramm von Christen an der Seite Israels (CSI) im Süden der Ukraine zu besuchen.

Seit Ausbruch des Ukrainekrieges ist der Zugang zur Stadt begrenzt. Nikolajew liegt am Schwarzen Meer zwischen Odessa im Westen und der täglich angegriffenen Stadt Cherson im Osten. Je weiter östlich man kommt, desto gefährlicher wird es. In den letzten zwei Jahren wurden die Bedürftigen in Nikolajew von Jelena besucht, einer mutigen Frau aus der jüdischen Gemeinde, die viele Angebote von Freunden aus dem Ausland ausgeschlagen hat, das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Jetzt wollen auch die CSI-Mitarbeiter in Nikolajew wieder einmal persönlich nach den jüdischen Senioren sehen, die nun im doppelten Sinne Überlebende sind, und ihnen etwas Hilfe und Hoffnung bringen.

„Man sieht so viele zerstörte Gebäude, wenn man durch die Stadt fährt; viele Häuser ohne Fenster“, berichtet Alina. „Das ist so deprimierend. Ich weiß nicht, wie es die Leute hier aushalten. Wir sind an einem Hotel vorbeigefahren, wo wir vor ein paar Jahren übernachtet haben – jetzt ist es eine Ruine.“

Serafima ist nach vielen Luftangriffen in einem 30-Parteien-Wohnblock fast ganz allein übriggeblieben. Foto: privat

Eine der älteren Damen, die Besuch bekommen, ist die 86-jährige Serafima. Sie und ein älterer Mann sind seit einem schweren Luftangriff die einzigen, die noch in ihrem 30-Parteien-Haus wohnen. „Serafima war so berührt, so glücklich, dass wir gekommen sind und sie in ihrer Einsamkeit besucht haben“, sagt Alina. „Ihr Fenster wurde bei dem Angriff zerstört. Inzwischen ist es repariert. Doch das, was sie durch die neue Scheibe sieht, ist nicht gerade beruhigend: das zerstörte Gebäude der Regionalverwaltung über die Straße und ein Panzer unter ihrem Fenster. Aber sie will trotzdem nicht weg aus ihrer vertrauten Wohnung. Sie hat ihre Pelzmütze auf, um sich gegen die Kälte zu schützen – die Heizung funktioniert in der Stadt nur noch an wenigen Stellen. Wir haben sie mit einem großen Lebensmittelpaket beschenkt – und mit unserer Zeit. Das war das Wichtigste für sie.“

Wiedersehen in Israel

Zwei Meere und 3000 Kilometer weiter südlich wartet Larissa auf unseren Besuch. Der Ukrainekrieg hat sie ins Verheißene Land gespült. Als sie uns erblickt, bricht Larissa in Tränen aus. „Das sind Freudentränen – ich freue mich so, euch zu sehen!“ sagt sie zu ihrer Rechtfertigung. Larissa ist das zweite Mal in ihrem Leben vor einem Krieg geflohen. Das erste Mal war sie drei Jahre alt. „Mama hat uns damals in dem Güterwaggon in Kissen eingepackt, um uns zu schützen. Dann wurden wir angegriffen. Zwei Waggons wurden zerstört, unserer blieb heil.“ Die ganze Familie ihres Vaters wurde in der Schoah ermordet; die Familie ihrer Mutter war schon bei einem Pogrom 1919 umgekommen. Larissa ist verwitwet, so wie auch ihre Tochter, mit der sie sich jetzt ein Zimmer bei Verwandten in Hadera teilt. Der einzige Enkel kam bei einem Unfall ums Leben. So viel Leid in einer einzigen Biografie … Umso mehr schätzt Larissa jede Zuwendung.

Larissa hat in Israel Zuflucht gesucht. Über den Besuch aus der alten Heimat ist sie so glücklich, dass sie gleich ein Gedicht geschrieben hat. Foto: privat

Über Zoom bleibt sie mit der jüdischen Gemeinde in Nikolajew verbunden, wo wöchentlich verschiedene Seminare angeboten werden. Um sich zu beschäftigen, strickt Larissa. Doch neue Wolle ist teuer. Deshalb nimmt sie alte Textilien, trennt sie auf und arbeitet mit dem neuen Rohmaterial. Nun erfährt sie, dass Alina direkt vor ihrem Abflug nach Israel in Nikolajew war und die betagten Mitglieder der jüdischen Gemeinde besucht hat. Bild für Bild nimmt Alina sie per Handy-Galerie mit in ihre alte Heimatstadt.

Dann möchte Larissa etwas vortragen. Unser Besuch bedeutet ihr so viel, dass sie aus diesem Anlass ein Gedicht geschrieben hat. „Meine lieben Mädchen, wie freue ich mich über unser Treffen! Dass es noch gute Menschen auf der Welt gibt … Die Jahre sind vergangen, aber ihr habt mich gefunden. Eure Hilfe ist ein heiliges Werk …“

Jeden unserer Besuche hat sich Larissa genau mit Datum notiert. Inzwischen haben wir Unterstützung bekommen – Golda, eine Mitarbeiterin von Rabbiner Cohen aus Mariupol, besucht Larissa nun regelmäßig mit einem Geschenkpaket im Namen von CSI.

Trotz der Schwierigkeiten und Gefahren, die der Krieg mit sich bringt, läuft unser Patenschaftsprogramm in der Ukraine unvermindert weiter. Die Not vor Ort wird eher größer als kleiner. Gern können Sie einen bedürftigen jüdischen Senior mit einer Patenschaft langfristig unterstützen oder mit einer Einmalspende „SOS Ukraine“ mithelfen, Lebensmittelpakete zu finanzieren.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 136. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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