Vertrieben aus dem Paradies – Besuch bei Freunden

Vertrieben aus dem Paradies – Besuch bei Freunden

Delly Hezel mit Ofer und Rony
Delly Hezel (M.) mit ihren Freunden Ofer (l.) und Rony in deren improvisiertem Zuhause am Rande der Negev-Wüste. Alle Fotos: privat

Es ist noch nicht lange her, da war Kerem Shalom, der südlichste Kibbutz am Gazastreifen, ein kleines Paradies. Der Hamas-Terror des 7. Oktober verschonte auch diese Ortschaft nicht. Was wurde aus diesem so friedlichen Kibbutz? Wie sieht das Leben hier nach dem schrecklichen Massaker aus? CSI-Mitarbeiterin Delly Hezel berichtet von ihren Freunden Ofer und Rony.

Eigentlich sollte die große Mauer, das Markenzeichen für Kerem Shalom, die Bewohner schützen. Schützen vor einem Überfall von Terroristen aus Gaza. Etwas mehr als dreißig Familien lebten in Kerem Shalom, säkulare und religiöse Juden nebeneinander. Ihr gutes Miteinander war ein Vorbild, es war geprägt von gegenseitiger Achtung und Respekt.

Das schreckliche Massaker vom 7. Oktober hat auch vor Kerem Shalom nicht Halt gemacht. Am 6. Oktober, zum Beginn des Shabbats und zum Fest der Torafreude Simchat Tora, war man noch gemeinsam in der Synagoge. Die Atmosphäre war erfüllt von Freude und Fröhlichkeit. Es wurde gefeiert, gesungen und getanzt. Keiner hätte es je für möglich gehalten, dass schon am nächsten Morgen die Welt eine vollkommen andere sein würde.

Als kurz nach dem Massaker mit Ofer telefonierte und ihn fragte, wie es ihnen ginge, konnte er kaum sprechen, so mitgenommen war er. Er berichtete, sie als Kibbutz hätten ein großes Wunder erlebt; schon vor dem Chanukka-Fest hätten sie ein echtes Chanukka-Wunder erlebt. Am Tag nach dem Massaker fanden sie die Leichen von 100 Terroristen in und um Kerem Shalom herum. Wie leicht hätten diese Angreifer die kleine Gemeinschaft vollständig auslöschen können. Es gelang ihnen nicht.

Und doch hat Kerem Shalom seinen Preis bezahlt. Zwei Einwohner, Yedidia Raziel und Amichai Israel, haben den Kampf um den Kibbutz mit ihrem Leben bezahlt. Zwei weitere, Yair Weisner und Amichai Schindler, wurden schwer verletzt. Alle vier sind Familienväter mit drei bis sechs Kindern.

Schwierige Rückkehr in den Alltag

Der gesamte Kibbutz wurde nach Eilat evakuiert. Für drei Monate waren alle Bewohner in einem Hotel untergebracht. Es war ein schönes Hotel und für einen Urlaub sicher eine großartige Adresse. Anders fühlt es sich jedoch an, wenn man als Familie mit mehreren Kindern ein Zimmer teilt und der Alltag in dieser Ausnahmesituation Einzug hält. Ganz zu schweigen von dem, was es zu verarbeiten gilt.

Jeder ist auf seine Weise traumatisiert. Ja, sie haben überlebt, aber so viele ihrer Angehörigen und Freunde, Spiekameraden, Schulfreunde und Lehrer nicht. Manche Freunde sind als Geiseln in Gaza, wieder andere konnten noch nicht einmal identifiziert werden.

Die ersten Tage waren geprägt von all den schrecklichen Nachrichten, die nicht mehr zu ertragen waren und doch nicht enden wollten. Sie waren als ganzer Kibbutz zusammen und haben diese schweren Momente gemeinsam erlebt. Das erfahrene Leid wurde dadurch nicht weniger, aber das Zusammengehörigkeitsgefühl ungemein gestärkt. In Eilat versuchten sie, wieder ein Stück in den Alltag zurückzufinden, auch wenn das nicht leicht war.

Rony zeigt Delly ein Zelt, wo Waschmaschinen für die Evakuierten aufgestellt wurden.

Inzwischen wurde die Kibbutz-Gemeinschaft wieder evakuiert, diesmal nach Ashalim, einem Moshav in der Nähe von Be‘er Sheva. Das Leben hat sich auf das Nötigste reduziert. Die Familien haben nun kleine Wohneinheiten, es ähnelt wieder mehr dem Leben in einem Kibbutz. Das Zusammenleben ist nicht leicht, die Nerven liegen blank und erst so langsam wird die Tragweite dieses Massakers realisiert. Wie kann es weitergehen? Gibt es für Kerem Shalom eine Zukunft? Wann beginnt sie und wie wird sie aussehen? Viele Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt.

Hoffnung macht ein Versprechen, das die Kibbutz-Gemeinschaft schon kurze Zeit nach diesem schrecklichen Massaker abgab. Der Magnet, den Rony mir einst geschenkt hat, hängt an meinem Kühlschrank: „Kerem Shalom, wir werden zurückkehren und dich wieder zum Wachsen und Blühen bringen!”

Anfang 2022 war Ofer im Rahmen des CSI-Hilfsprogramms für Terror-Opfer zur Erholung in Deutschland. Hier lesen Sie ein Interview, das wir damals mit ihm geführt haben.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 136. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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