Trauer, Schmerz, Sorge, dazu das Gefühl im eigenen Land nicht mehr sicher zu sein – das ist für viele Israelis derzeit das alles überwältigende, bedrückende Lebensgefühl. Was es bedeutet, gerade jetzt als Christ an der Seite Israels zu stehen, schildert Dana Nowak, Kommunikationsleiterin von CSI, in diesem Interview. Sie war im Januar mehrere Wochen in Israel unterwegs. Die Fragen stellte Anja Weippert.
Anja Weippert: Am 3. Januar dieses Jahres bist du in ein Flugzeug gestiegen und für drei Wochen nach Israel geflogen. Warum?
Dana Nowak: In den Wochen nach dem brutalen Hamas-Überfall am 7. Oktober hatte ich immer wieder den Wunsch in Israel zu sein. Zu helfen, zu trösten, den Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Ich habe das aber bei CSI nicht angesprochen, weil wir einfach auch durch den Krieg extrem viel zu tun hatten. Dann rief mich eines Tages unser Vorsitzender Luca Hezel an und sagte: „Dana, ich weiß, du hast gerade extrem viel zu tun, aber könntest du dir vorstellen, für eine Weile nach Israel zu gehen und von dort aus zu arbeiten?“ Damit war die Entscheidung gefallen. CSI hatte seit dem Massaker immer wieder Mitarbeiter vor Ort, bis heute. Wir wollen nicht nur in guten Zeiten für Israel da sein, sondern auch in den schweren.
Hattest du keine Bedenken, in ein Land zu reisen, das gerade in einen Krieg verwickelt ist?
Natürlich habe ich darüber nachgedacht und war mir der Gefahr bewusst. Das Risiko von Terroranschlägen besteht letztlich auch täglich und überall. Die Situation an der Nordgrenze hätte eskalieren können. Aber Angst hatte ich nicht. Als im Jahr 2000 die sogenannte zweite Intifada ausbrach, und palästinensische Terroristen unzählige Selbstmordanschläge verübten, war ich gerade für ein Jahr in Israel. Die Situation war mir also nicht ganz fremd. Die Menschen in Israel müssen auch damit zurechtkommen und letztlich lernt man, damit zu leben.
Wie hat es sich vor Ort angefühlt – was hast du vom Kriegsgeschehen mitbekommen?
Ich habe in Jerusalem gelebt, war aber für Tageseinsätze auch immer mal wieder im Süden an der Grenze zum Gazastreifen oder im Norden unterwegs. In Jerusalem war es recht ruhig, es gab keinen Raketenalarm. In Südisrael war ich instruiert worden, wie ich mich bei Raketenalarm zu verhalte habe. Hier hat man natürlich die Explosionen aus dem Gaza streifen gehört. Ich hatte die Raketenwarn-App auf meinem Handy installiert. Hier gab es täglich mehrfach Alarm wegen Raketen-Angriffen aus dem Libanon oder dem Gaza streifen oder aufgrund der Infiltration durch Terroristen.
Wie haben die Israelis, denen du begegnet bist, deine Anwesenheit aufgenommen?
Die Menschen waren unglaublich dankbar und gerührt. Fremde Menschen haben mich mit Tränen in den Augen in den Arm genommen, als ich ihnen sagte, ich sei da, um Israel zu unterstützen. Ich muss sagen, das hat mich überwältigt. Ich habe erst vor Ort wirklich erkannt, wie viel es den Israelis bedeutet, wenn man zu dieser Zeit des Krieges vor Ort an ihrer Seite steht. Das hat ihnen Hoffnung gegeben, das hat ein kleines Licht in der Dunkelheit angezündet. Ein Verkäufer in einem kleinen Supermarkt sagte mir, er wollte aufgrund der Geschichte nie nach Deutschland. Aber nach dem 7. Oktober habe Deutschland gezeigt, dass es wirklich hinter Israel stehe. Und nun lerne er Deutsche kennen, die extra herkommen, um Israel zu unterstützen. Nun möchte er dieses Land doch einmal kennenlernen.
Wie hast du die Stimmung im Land erlebt?
Tatsächlich habe ich Israel noch nie so tief verwundet erlebt. Schmerz, Verzweiflung und Sorge waren allgegenwärtig. Jeder, den man trifft hat einen Sohn, eine Tochter, einen Enkel oder eine Nichte, die gerade im Gazastreifen kämpfen müssen. Ich komme seit mehr als 20 Jahren immer wieder nach Israel und habe das Land als sehr stark und zuversichtlich erlebt. Das war dieses Mal anders. Immer wieder habe ich Fragen wie diese gehört: „Warum hassen sie uns so? Wir sind es gewohnt, zu kämpfen, Mann gegen Mann. Aber dieser Hass vom 7. Oktober ist nicht auszuhalten. Es reicht nicht mehr, uns einfach zu töten – man muss uns bis zur Unkenntlichkeit zerstückeln, selbst unsere Kinder verbrennen, unsere Identität zerstören.“
Viele Menschen, die vorher an Koexistenz geglaubt haben, haben ihre Hoffnung auf Frieden verloren. Eine Mutter in einem Souvenirgeschäft erzählte mir von ihrer Angst. Ihr Sohn sei 19 und müsse nun in den Krieg ziehen, einen Krieg, den Israel nie gewollt hat. Ich habe selbst einen Sohn in dem Alter und kann ihre Sorgen nur zu gut nachvollziehen. Dann zeigte sie mir die Pistole unter ihrem Pullover. „Ich wollte nie eine Waffe tragen, aber ich habe einfach Angst, jederzeit kann ein Terrorist auftauchen, um meine Kinder oder mich zu töten.“
Die internationale Politik diskutiert aktuell die Lage in Gaza sowie Wege aus dem Konflikt und Möglichkeiten zu seiner Befriedung – sind das Fragen, die auch die Israelis gerade bewegen?
Die Israelis beschäftigt in erster Linie das Schicksal der Geiseln und die Frage, was der Staat tun kann, damit Juden wieder sicher in ihrem eigenen Land leben können. Die Infrastruktur der Hamas komplett auszuschalten, damit die radikal-islamische Organisation handlungsunfähig ist, ist oberstes Ziel. Zugleich treibt viele Israelis die Frage um, wann eskaliert die Situation im Norden? Es geht nicht mehr darum ob, sondern wann. Diese Sorge scheint mir für viele im Land die größte. Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon ist von der Schlagkraft her eine andere Kategorie als die Hamas im Gazastreifen.
Was hat es mit dir gemacht, Menschen zu begegnen, die direkt vom Hamas-Terror betroffen sind?
Das waren tatsächlich die schwersten Begegnungen. Zum Teil haben sie mich sprachlos gemacht. Ich habe unter anderen Simona Steinbrecher getroffen. Ihre Tochter Doron wird als Geisel im Gazastreifen festgehalten. Was sagst du einer Mutter, deren Tochter – eine schöne junge Frau – in den Händen brutaler Mörder und Vergewaltiger ist, für die jüdisches Leben nichts zählt? Wie kann ich Dudi Hoffnung geben, dessen Tochter auf dem Nova-Festival unter den Leichen ihrer Freunde überlebt hat, aber innerlich tot ist? Von solchen Begegnungen gab es so viele, so viel Schmerz. Das hat mich zutiefst traurig gemacht und ich war dankbar für Kollegen, Familie und Freunde, mit denen ich mich abends nach solchen Treffen austauschen konnte, um auch wieder Kraft zu tanken.
Gab es Erlebnisse, die dir Hoffnung gemacht haben, an die du besonders gerne zurückdenkst?
Ja, da gab es einige. Freude und Schmerz lagen in diesen drei Wochen sehr eng beieinander. Zusammen mit meiner Kollegin Delly war ich bei einer modern-orthodoxen Familie zum Schabbat-Essen eingeladen. Die Begegnung kam über einen Freund zustande, der die ultra-orthodoxe Gemeinschaft verlassen hat. Delly und ich waren von der Gastfreundschaft überwältigt – die Familie kannte uns ja gar nicht und hat uns so herzlich empfangen. Neben uns waren noch Freunde der Familie sowie der Bruder der Hausherrin geladen. Letzterer lebt mit seiner Familie streng ultra-orthodox.
In der Regel meiden diese Juden Kontakte zu Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaft. Seine Frau war so aufgeregt uns kennenzulernen, Christen und dann noch Deutsche. Sie habe schon einmal gehört, dass es irgendwo Christen geben soll, die Israel unterstützen, aber solche Menschen nun einmal persönlich kennenzulernen, das war für sie etwas Besonderes. Am Ende hat sie uns für unseren nächsten Israel-Besuch zum Schabbat zu sich nach Hause eingeladen. Diese Begegnung und die Einladung haben mich sehr berührt, weil es eben kaum möglich ist, mit ultra-orthodoxen Juden so ins Gespräch zu kommen. Hier als Christin mit unserer Kirchengeschichte und als Deutsche mit unserer Vergangenheit so ein positives Zeichen setzen zu können, das hat mich sehr bewegt.
Seit ein paar Wochen bist du nun schon wieder zurück in Deutschland. Was ist dein Fazit dieser drei Wochen? Wie geht es dir jetzt mit dem Erlebten?
Es war gar nicht so einfach, hier in Deutschland wieder richtig anzukommen und ich denke viel an die Menschen, die ich in Israel kenne, an ihre Sorgen und Nöte. Viele Alltags-Probleme hier in Deutschland wirken dagegen so banal. Auf jeden Fall habe ich es als Privileg empfunden, in dieser schweren Zeit vor Ort ganz praktisch an der Seite Israels stehen zu dürfen. Selten habe ich es so klar erlebt, als Christ einfach durch meine Gegenwart ein Licht sein zu dürfen. Israel braucht Menschen, die ihm jetzt zu Seite stehen, die auch ganz praktisch im Land da mit anpacken, wo überall Arbeitskräfte fehlen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 136. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.