Ein Blick in die Bibel: Was können wir von Christus erwarten?

Ein Blick in die Bibel: Was können wir von Christus erwarten?

Tora-Lesung in einer Synagoge.
Tora-Lesung in einer Synagoge. Foto: Roy Lindman/Wikipedia

Jesus hat seinen Dienstplan auf Erden aus den Schriften Israels abgelesen. „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“, sagt er nachdem er Jesaja 61 in der Synagoge gelesen hat (Lukas 4,16-22). Das Neue Testament schildert darum seinen Lebensweg als die Erfüllung des Weges Israels. Aber vieles von dem, was die Propheten vom Messias gesagt haben, muss noch geschehen. Sogar Jesu eigene Auslegung von Jesaja 61 sieht aus nach mehr. Das neutestamentliche Zeugnis hinsichtlich Christus kennt also zwei Pole: Erfüllung und Erwartung. Doch was können wir von Christus erwarten?

Von: Kees de Vreugd, Christenen voor Israël

Erfüllung

Jesus kam zur Erfüllung des Gesetzes und der Propheten (Matthäus 5). Das heißt, dass er das Gesetz und die Propheten nicht aufhebt oder entkräftet, sondern bestätigt. Das in Matthäus 5,17 und vielen anderen Stellen verwendete Wort „erfüllen“ bedeutet „ausführen“ oder „verwirklichen“, also tun. Es bedeutet in diesem Zusammenhang auch: Die Tora richtig erklären. Tora bedeutet Lehre. Es handelt sich in den Geboten um Gottes Richtlinien für ein Leben mit ihm. Eines der Dinge, die Israel vom Messias erwartet, ist, dass er das Volk in der Tora unterrichtet und die richtige, entscheidende Auslegung der Gebote vermittelt. In Matthäus 5 sehen wir, dass Jesus seine Auslegung im Rahmen der jüdischen Auslegungstradition, der mündlichen Lehre gibt. Er diskutiert mit Pharisäern, Schriftgelehrten und anderen Leitern Israels. Viele seiner Zuhörer erkennen in seinem Reden eine messianische Autorität wieder.

Messias-Erwartungen

Was erwartet Israel vom Messias? Der große jüdische Gelehrte Maimonides (Cordoba 1138 – Kairo 1204) hat dies in ein paar Punkten zusammengefasst: Der Messias wird das Königtum Davids wiederherstellen, er wird den Tempel wiederaufbauen und die Exilanten Israels sammeln. Dies behaupten nicht nur die Propheten, sondern wir finden diese Aussagen auch bei Mose. In 5. Mose 30 lesen wir: „Dann wird der HERR, dein Gott, dein Geschick wenden und sich über dich erbarmen. Und er wird dich wieder sammeln aus all den Völkern, wohin der HERR, dein Gott, dich zerstreut hat. Wenn deine Verstoßenen am Ende des Himmels wären, selbst von dort wird der HERR, dein Gott, dich sammeln, und von dort wird er dich holen. Und der HERR, dein Gott, wird dich in das Land bringen, das deine Väter in Besitz genommen haben, und du wirst es in Besitz nehmen. Und er wird dir Gutes tun und dich zahlreicher werden lassen als deine Väter“ (Vers 3-5).

Auch in der bekannten Stelle aus 4. Mose 24,17-18 hören wir eine Ankündigung des messianischen Königs: „Es tritt hervor ein Stern aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel“, und dieser König wird alle Feindschaft gegen Israel vernichten. Der Messias wird also die Israeliten aus der Zerstreuung ins Land Israel zurückführen und Israel von seinen Feinden befreien. Außerdem wird der messianische König Israel im Leben vorangehen – gemäß der Tora. Denn das ist die Essenz der Existenz Israels.

Aber der Messias hat auch in der jüdischen Erwartung eine universale Bedeutung. Er wird, so Maimonides, die Welt bessern und alle Völker dazu bringen, dass sie Gott dienen. Der Prophet Zephanja redet davon (3,9): „Dann aber werde ich den Völkern andere, reine Lippen geben, damit sie alle den Namen des HERRN anrufen und ihm einmütig dienen“. Das Christentum hat Maimonides zufolge auf jeden Fall bewirkt, dass über die ganze Welt vom Messias und der Tora geredet wird. All diese Punkte finden wir in den Evangelien zusammengefasst, wo die Geburt Jesu angesagt wird. Jesus wird auf immer König sein über das Haus Jakobs (Lukas 1,33). „Haus Jakobs“ ist ein Synonym für (ganz) Israel. Ganz Israel wird vom Messias wiederhergestellt werden.

Prophetie erfüllt?

Es wird manchmal gesagt, dass diese und andere Prophetien die von der Rückkehr reden, erfüllt wurden, als die Juden aus Babel zurückkehrten. Das ist nur zum Teil wahr. Es stimmt, dass der Tempel damals wieder aufgebaut wurde. Auch durfte ein Nachfahre Davids, Serubbabel, eine Zeitlang das Volk führen (siehe die Prophetien Sacharjas). Ein Königtum auf ewig sowie eine Wiederherstellung von ganz Israel ist das nie gewesen. Es kommt auch darauf an, welche Vorstellung man von einer „Erfüllung“ der Prophetie hat. Außerdem: Was verstehen wir unter Prophetie? Kann eine Prophetie nur ein einziges Mal erfüllt werden oder sind auch mehrere Erfüllungen möglich? Handelt es sich bei Prophetie (nur) um die Zukunft? Oder sollten wir viel mehr den Einfluss beachten, den Gottes Wort im Hier und Heute ausübt? Prophetie ist beides. Es ist Gottes Wort in der Aktualität, oft scharf und kritisch – zugleich aber appellierend, Hoffnung gebend. Die Propheten Israels zeugen von der passionierten Anteilnahme Gottes an Israels Existenz. Durch ihr Reden erinnert Israel sich der großen Taten Gottes in der Geschichte und schöpft daraus Hoffnung für die Zukunft. Eine jede Erfüllung erzeugt deshalb neue Erwartung. Deshalb ist das prophetische Wort auch in jeder Zeit wieder neu und findet es immer wieder neue Anwendung. Im Neuen Testament wird die Prophetie aus Sacharja 12,10 bei der Kreuzigung (Johannes 19,37) und bei der Wiederkunft Christi (Offenbarung 1,7) angeführt. Gerichtsprophetien aber sind erst wirklich erfüllt, wenn sie durch Reue und Buße, die sie bewirkt haben, nicht ausgeführt werden müssen, zum Beispiel bei Jona!

Ein Modell von Jerusalem mit dem Zweiten Tempel stellt das Stadtbild im Jahr 66 nach Christus dar. Der Tempel war wieder aufgebaut, doch ein Königtum auf ewig sowie eine Wiederherstellung von ganz Israel ist das nie gewesen. Foto: Dana Nowak

Was können wir noch erwarten?

Ich kehre zurück zu Maimonides und die jüdische Messias-Erwartung. Unmissverständlich stellt Maimonides fest, dass das, wovon Mose und die Propheten reden, noch nicht stattgefunden hat. Israels Exil ist noch nicht vorbei und das Königtum Davids ist noch nicht wiederhergestellt. Wir hören die Frage der Jünger in der Apostelgeschichte 1,6: „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“ Und das Zeugnis des Petrus in der Apostelgeschichte 3,21: „Den muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von denen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat“. Der griechische Ausdruck, der hier mit „Wiederherstellung aller Dinge“ übersetzt wurde, steht immer im Zusammenhang mit der Rückkehr des Volkes ins Land Israel. Wiederum führt uns Petrus zu dem Punkt wo die Propheten ihre Erwartung aussprechen. Christus – der Messias – wird gemäß den Schriften die Exilanten Israels, die über die ganze Welt zerstreut sind, wieder zurückführen. Er wird Israel vorangehen auf dem Weg der Tora, auf eine solche Art und Weise, dass im Herzen kein Zwiespalt ist und Israel spontan und von Herzen die Gebote befolgen wird, aus Liebe zu Gott. Diese Liebe zu Gott zeigen sie durch ihren Gehorsam an ihn.

In 5. Mose 30 ist die Rede von einer Umkehr zu Gott und Rückkehr ins Land, in einer einzigen Bewegung. Es gibt keine Reihenfolge in der geistigen und physischen Wiederherstellung. Es bildet eine Einheit. Auch ist die Rede von der Beschneidung des Herzens. Die Propheten Jeremia und Hesekiel nehmen diese prophetischen Worte aus der Tora zum Anlass für ihre eigene Prophetie über den neuen Bund (Jeremia 31) und die geistliche Wiederherstellung Israels (Hesekiel 36). Der Messias wird als König über Israel herrschen. Seine Herrschaft wird sich zu den Völkern hin erstrecken. Dann werden die Völker sich mit Israel vereinen, damit sie den Einen, den Gott Israels anbeten, ihm Lob singen und auf Seinen Wegen gehen. „Und er wird richten zwischen den Nationen und für viele Völker Recht sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. Haus Jakob, kommt, lasst uns im Licht des HERRN leben!“ (Jesaja 2,4-5).

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 127. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen: https://csi-aktuell.de/israelaktuell. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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