Ein Jahr nach dem Terrormassaker: Im Schatten des 7. Oktober

Ein Jahr nach dem Terrormassaker: Im Schatten des 7. Oktober

Gedenkstätte Nova Festival
Es bleibt nur das Gedenken: Beim Terrormassaker am 7. Oktober wurden knapp 1200 Israelis ermordet. Foto: Relspas | CC BY-SA 4.0 International

Das Terrormassaker ist auch das Ergebnis anti-israelischer Indoktrination. Greift diese weiter um sich, laufen Friedensbemühungen ins Leere. Ein Kommentar von Daniel Frick, Israelnetz

Das Grauen, das Israel am 7. Oktober 2023 erlebt hat, spottet jeder Beschreibung. Auch die Art, wie große Teile der Welt darauf reagiert haben, lässt einen fassungslos zurück. Hemmungslos sind Masken gefallen, viele Akteure zeigten ihr antisemitisches Gesicht, von Studenten bis hin zur Spitze der Vereinten Nationen.

Auch nach einem Jahr stellt sich noch immer die Frage nach der Bedeutung dieses Terrormassakers – sie wird sich erst im Lauf der Jahre zeigen. Eine damit verbundene Frage steht ebenfalls im Raum: Selbst wenn das Massaker positive Folgen nach sich zöge, ließen sich diese als „gut“ ansehen? Sie wären aus einem Tag geboren, der von Horror geprägt war. Für alles „Gute“ als Folge des 7. Oktober scheint der Preis von Anfang an zu hoch.

Und doch mag eine Folge als „gut“ gelten: Wenn das Wirklichkeit würde, was der Theologe Klaus Wengst einmal lange vor dem 7. Oktober auf den Punkt gebracht hatte. Er bezog sich auf einen anderen Horror, den Juden erlebten, nämlich den Holocaust. In einem Vortrag aus dem Jahr 2011 nimmt er sich als Konsequenz daraus in die Pflicht, „dazu beizutragen, dass es diesem Volk gegeben sei, befreit aus der Hand seiner Feinde ohne Furcht in eigener Identität leben zu können“.

Nach dem 7. Oktober sollte dieser Appell noch viel mehr gelten und sich an alle Christen richten – Wengst hatte bei seiner Formulierung den Lobgesang des Zacharias (Lukas 1,73–75) im Blick – und an Menschen in politischer Verantwortung. Es würde bedeuten, dass Israel nach Jahrzehnten der Anfeindung in einer neuen Realität lebt: keine Angriffe aus dem Norden, Osten, Süden oder Westen, kein Terror im Innern, keine Androhungen der Auslöschung.

Verhallte Warnungen

Die Wahrheit ist: Schon vor dem Terrormassaker bewegte sich die Weltgemeinschaft weit weg von diesem Anspruch. In den Monaten danach hat sie sich noch weiter davon entfernt. Die gegen Israel gerichtete Querfront von Linken und Islamisten ist geeint wie nie, und große Teile des Westens knicken in einer Mischung aus kolonialem Schuldkomplex und Naivität davor ein.

Die Pro-Hamas-Demonstrationen an vielen Universitäten sind ein Auswuchs dieser Entwicklung. Die amerikanische Schauspielerin Mayim Bialik hatte drei Wochen nach dem Massaker ein Video veröffentlicht, in dem sie sich entsetzt zeigte über den Antisemitismus, auch und gerade an den Hochschulen ihres Landes. Bialik, die sich als links-liberal versteht und etwa auch für einen palästinensischen Staat eintritt, gestand in diesem Video zu, dass Antisemitismus auch vor Leuten mit ihrer Haltung keinen Halt macht.

Das allein war schon bemerkenswert. Interessanter war allerdings eine Reaktion von Sheila Nazarian. Die Plastikchirurgin aus Los Angeles, wie Bialik eine Jüdin, ist hierzulande nicht so bekannt; in Amerika hatte sie aber eine Sendung, die für den Emmy nominiert war. Ihre Antwort, in der sie mit Bialik hart ins Gericht ging, hatte auf der Plattform X mehr als eine Million Aufrufe.

Nazarian hielt Bialik vor, jahrelange Warnungen ignoriert zu haben: „Ich verstehe nicht, warum es so lange gedauert hat, damit Leute begreifen, was viele von uns in den vergangenen vier Jahren herausgeschrien haben … Viele von uns, die aus sozialistischen Ländern geflohen sind, haben den gleichen Geruch seit Jahren hier in Amerika gerochen. Und wir haben versucht, es euch zu sagen. Warum habt ihr nicht zugehört? … Warum bedurfte es eines Massakers an unserem Volk, damit ihr zuhört?“

Nazarian gibt selbst die Antwort: Sie wirft „progressiven“ Juden vor, bei linksextremen Organisationen wie „Black Lives Matter“ (BLM) mitzumachen – um „dazuzugehören“ oder „sich gut zu fühlen“. Dabei hätten sie jedoch die antisemitischen Tendenzen bei BLM ignoriert: Nach dem 7. Oktober hatte BLM das Terrormassaker bejubelt und dieses als „Widerstand“ bezeichnet. Schon in den Jahren zuvor hatte die Organisation Israel des „Genozids“ an den Palästinensern bezichtigt.

Fragwürdiges Narrativ

Der Aufschwung derartiger Denkweisen hat in den vergangenen Jahren an Fahrt gewonnen. Eine Rolle spielt dabei der Gedanke der „Intersektionalität“: Unterschiedliche Gruppen schreiben sich eine Gemeinsamkeit zu, in diesem Fall die Auffassung, „unterdrückt“ zu sein. In dieser Sicht teilen Schwarze in den USA das Schicksal der Palästinenser in Nahost.

Gerade bei jungen Menschen findet dieses Denken Anklang. Filmschnipsel auf Sozialen Medien wie TikTok haben dabei ihre Wirkung: Israel steht als „Unterdrücker“ da. Ausgeblendet bleiben Fakten, die das Narrativ stören, wie der Abzug Israels aus dem Gazastreifen im Jahr 2005. Auf Basis dieser Verzerrungen verlor der jüdische Staat mehr und mehr an Sympathien.

Wie in der Frage von Nazarian anklingt, stehen Juden und Nicht-Juden im Bann dieses Denkens. Die Idee ist dabei, dass Palästinenser nur einen Staat brauchten, damit der Friede kommt, da Palästinenser dann endlich „befreit“ seien.

Die Geschichte des Gazastreifen zeigt aber, dass die Probleme tiefer liegen. Mit besagtem Abzug vertrat auch die israelische Regierung die Hoffnung, Frieden zu bekommen. Als Dank erhielten die Israelis Jahre des Terrors, der 7. Oktober stellt dabei nur den dramatischen Tiefpunkt dar.

Bildung als Chance

Einen Hinweis auf eines der „tieferliegenden“ Probleme hat der israelische Premier Benjamin Netanjahu bereits vor knapp 30 Jahren gegeben. Als er 1996 frisch ins Amt gewählt war, besuchte er Bill Clinton im Weißen Haus. Es ging damals um die Frage der Fortführung der Oslo-Abkommen. Netanjahu forderte jedoch auch eine Erziehung zu Demokratie und Frieden, zur Akzeptanz Israels. „Das wird vermutlich mehr bringen als all die Vereinbarungen, die wir zu erreichen suchen.“

Fast drei Jahrzehnte später scheint es angebracht, es mit dieser These noch einmal zu versuchen. Der Hass gegen Israel ist auch das Ergebnis des palästinensischen Bildungssystems. Schon im Kindergarten vermitteln Erzieher Judenhass und Judenmord. In Lehrbüchern des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (­UNRWA) lernen Schüler, dass Israel keine Daseinsberechtigung habe. Anstatt ein kritisches Auge darauf zu werfen, haben westliche Länder diese Zustände ignoriert und sogar gefördert. Deutschland hat unter der Regierung von CDU und SPD die Förderung der UNRWA sogar massiv aufgestockt – und damit neue Schuld auf sich geladen.

Zu nötigen „guten“ Folgen aus dem Terrormassaker gehört ein militärischer Sieg gegen die Feinde Israels, dann aber auch der Kampf gegen den Hass in den Köpfen. Andernfalls wird der 7. Oktober nur ein Tag schier bodenlosen Unheils gewesen sein. (Daniel Frick | Israelnetz)

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