Flucht aus der Hölle von Mariupol

Flucht aus der Hölle von Mariupol

CSI-Mitarbeiterin Alina (r.) mit Sofia. Alle Fotos: CSI

Ende März erreichte eine Nachricht aus Saporosche unsere Notunterkunft in der Westukraine: In den nächsten Tagen sei ein Bus mit Flüchtlingen zu erwarten – die Hälfte aus Saporosche, die andere Hälfte aus Mariupol. Flüchtlinge aus Mariupol! Fast wie ein Lebenszeichen aus dem Totenreich mutete diese Nachricht an. Wochenlang hatten unsere Mitarbeiter auf eine Nachricht von der jüdischen Gemeinden dort gewartet. Die Bewohner der eingekesselten Stadt waren durch den Stromausfall komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Dann gelang es doch den ersten, mit dem eigenen PKW zu entkommen. Viele suchten in der nächstgrößeren Stadt Saporosche Zuflucht. Die jüdische Gemeinde dort nahm Kontakt mit unserem Team auf. Nach 600 Kilometern Fahrt und 30 Kontrollposten konnten die jüdischen Flüchtlinge in unserer Unterkunft aufatmen.

Eine von ihnen war Sofia aus Mariupol, die seit Jahren über unser Patenschaftsprogramm unterstützt wird. Eine von so vielen jüdischen Senioren, deren Eltern einen großen Teil ihrer Familie im Holocaust verloren haben und die in den letzten Wochen Unsägliches durchgemacht haben.

„Unser Sohn lebt im Ausland. Er hat schon lange gesagt, ‚Mama, Papa, es gibt Krieg! Ihr müsst weg!‘ Mein Mann hat immer gesagt: ‚Ach was. Mach dir keine Sorgen. Es wird schon nichts passieren.‘ Sie haben sich am Telefon ernsthaft über Politik gestritten“, erzählt Sofia einer unserer Mitarbeiterinnen in der Unterkunft. „Und dann fing der Krieg an. Zwei Wochen haben wir im Luftschutzkeller gesessen, im Dreck. Es kamen immer mehr Leute dazu, die ihr Zuhause schon verloren hatten. Wir haben uns ab und zu eine Schüssel Haferbrei geteilt – für jeden einen Löffel. Dann ist das Gebäude von einer Bombe getroffen worden. Es haben aber alle überlebt. Alle – bis auf meine Mann. Er hatte chronische Bronchitis. Als alle nach draußen rannten, ist er zusammengebrochen. Einfach so, zu meinen Füßen. Alles hat gebrannt, schwarzer Rauch, sie haben noch weiter bombardiert, auf uns geschossen. Wir haben uns auf den Boden geworfen. Dann bin ich nochmal zurück, um meine Papiere zu holen. Irgendwann habe ich jemanden gefunden, der mir geholfen hat, die Leiche meines Mannes in ein kleines Zimmerchen zu zerren. So habe ich mich von ihm verabschiedet: ‚Wowa, verzeih mir, dass ich dich nicht beerdigen kann…‘.“

Inzwischen ist Sofia in Sicherheit, getröstet durch unsere Mitarbeiter und versorgt dank Ihre Spenden. Inzwischen sind Evakuierungsflüge auch von der moldawischen Hauptstadt Kischinew aus möglich, wo die israelische Einwanderungsorganisation Jewish Agency die jüdischen Flüchtlinge für die Einreisevorbereitungen nach Israel übernimmt.

Lebensmittel für Czernowitz

Fast am anderen Ende der Ukraine, in Czernowitz im Südwesten des Landes, ist es vergleichsweise ruhig. Es gibt immer wieder Alarm, aber ansonsten ist die Stadt unversehrt. Die Senioren der jüdischen Gemeinde sind weiterhin auf Hilfe von außen angewiesen, und inzwischen sind viele Flüchtlinge aus dem östlichen Teil des Landes angekommen, die in der jüdischem Gemeinde Hilfe suchen. Mit unserer Sonderspende konnten die Mitarbeiter des jüdischen Sozialwerks dort für beide Gruppen Lebensmittel einkaufen. Verteilt wurden die Pakete in der historischen Synagoge, die viele von Ihnen von den Begegnungsreisen der vergangenen Jahre kennen werden. „Ein großes Dankeschön für eure Unterstützung!“, schreibt Ilja, der die Hilfsaktion vor Ort organisiert hat. „Danke für die praktische Hilfe, und danke auch für die Ermutigung, die ihr uns damit gebt!“

Hinweis zum Patenschaftsprogramm: In fast allen Städten läuft das Programm aktuell weiter, wenn auch vielerorts unter enorm erschwerten Bedingungen und Gefahren. Ihre Spenden kommen an, und sie werden mehr denn je benötigt! Sollte sich etwas am Status eines von Ihnen unterstützten Bedürftigen ändern, informieren wir Sie umgehend.

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