Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, hat mit seiner Bemerkung zum Holocaust Empörung in Deutschland und Israel hervorgerufen. Am Dienstag behauptete der Fatah-Politiker bei einer Pressekonferenz in Berlin im Beisein des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), Israel habe seit 1947 „50 Holocausts“ gegen die Palästinenser verübt. Damit antwortete er auf die Frage eines Journalisten, ob er sich für den palästinensischen Terrorakt bei den Olympischen Spielen 1972 entschuldigen wolle.
Wörtlich sagte Abbas laut Übersetzung der Bundesregierung: „Seit 1947 bis zum heutigen Tage hat Israel 50 Massaker in 50 palästinensischen Dörfern und Städten begangen, in Deir Jassin, Tantura, Kafr Kassem und vielen weiteren, 50 Massaker, 50 Holocausts. Bis zum heutigen Tag haben wir tagtäglich Tote, die von der israelischen Armee getötet werden. Unsere Forderung ist: Stopp, es reicht! Lasst uns bitte zum Frieden finden! Lasst uns bitte zusammen nach vorn schauen, für Sicherheit, für Stabilität!“
Der israelische Regierungschef Jair Lapid (Jesch Atid) sprach von einer „monströsen Lüge“ und einer „moralischen Schande“. Er hob den Aspekt hervor, dass Abbas den Vorwurf der „50 Holocausts“ gegen Israel auf deutschem Boden erhob. „Die Geschichte wird ihm niemals vergeben.“
Lapids Amtsvorgänger, Ersatzpremier Naftali Bennett, sieht sich aufgrund der Aussage von Abbas in seiner Haltung gegenüber Abbas bestätigt. Während seiner einjährigen Amtszeit bis Juni 2022 habe er sich trotz internationalen Drucks nicht mit Abbas getroffen, um diplomatische Verhandlungen anzugehen. „Ein ‚Partner‘, der den Holocaust leugnet, Soldaten beim Internationalen Strafgerichtshof verfolgt und Stipendien an Terroristen zahlt, ist kein Partner.“
Lieberman: Abbas gefährlicher als Hamas
Finanzminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) wählte noch drastischere Worte: Abbas sei ein „eingeschworener Feind des Staates Israel“. Als „Terrorist, der diplomatischen Terrorismus betreibt“ sei er noch gefährlicher als die Terroristen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad.
Der Leiter der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dajan, sprach von „ekelhaften“ Worten. Er appellierte an die Bundesregierung, darauf „angemessen“ zu reagieren; was er unter „angemessen“ versteht, sagte er indes nicht.
Der designierte israelische Botschafter in Berlin, Ron Prosor, sprach von „Scham und Schande“. Er ging auch auf die Anfang der 1980er Jahre in Moskau verfasste Doktorarbeit von Abbas ein, in der dieser den Holocaust leugnete. „Nichtsdestotrotz sollten Sie verstehen, dass Versöhnung zwischen Menschen nicht auf Lügen und Verzerrungen beruhen kann. Es muss Null Toleranz für die Holocaust-Leugnung von Mahmud Abbas auf deutschem Boden geben.“
Mit dem letzten Satz meinte Prosor womöglich die Reaktion von Olaf Scholz. Dieser schwieg nach der Bemerkung von Abbas. Noch vor besagter Frage des Journalisten hatte der Leiter der Pressekonferenz deren Ende angekündigt. Nachdem Abbas mit seinen Ausführungen fertig war, reichte Scholz ihm die Hand und beide verließen den Bereich der Pressekonferenz.
Erst im Nachhinein äußerte sich Scholz zu Abbas‘ Bemerkungen. Gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte er: „Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel.“ Auf Twitter schrieb er am Mittwoch: „Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas.“ Den Tweet ließ er auch ins Englische und Hebräische übersetzen.
Graf Lambsdorff: Öffentlichkeit erfährt, wie Palästinenser drauf sind
Für Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat Scholz bei der Pressekonferenz unangemessen reagiert: „Der Bundeskanzler hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen!“, schrieb er auf Twitter. Der frühere Unions-Kanzlerkandidat und jetzige Bundestagsabgeordnete Armin Laschet sprach von der „schlimmsten Entgleisung, die je im Kanzleramt zu hören war“. Als Bundestagsabgeordneter bemüht sich Laschet inzwischen um eine Rolle Deutschlands bei den Abraham-Abkommen zwischen Israel und arabischen Ländern.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, stellte einen anderen Aspekt in den Vordergrund: „Eine breite Öffentlichkeit erfährt endlich, wie die Palästinenser und Abbas – Israels angebliche ‚Partner‘ – drauf sind. Das ist wichtiger als Kritik am Bundeskanzler, dessen Empörung klar sichtbar war.“ Graf Lambsdorff war zuletzt auch Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag.
Mehreren Beobachtern ist indes aufgefallen, dass der Vorgang im Kanzleramt in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien am Abend kein Thema war. Weder das ZDF noch die ARD erwähnten das Thema in ihren Abendnachrichten.
Schweigen in Ramallah
Auch die deutsche Vertretung bei den Palästinensern äußerte sich bislang nicht dazu. Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, brachte hingegen seinen Unmut zum Ausdruck: „Besonders für uns Deutsche ist jegliche Relativierung der Singularität des Holocaust intolerabel und inakzeptabel. Ich verurteile jeglichen Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.“
Indes ist es nicht das erste Mal, dass Abbas mit Äußerungen zum Holocaust für breite Empörung sorgt. Im Jahr 2018 behauptete er, Juden hätten eine Mitschuld. Im Jahr 2021 sagte der hochrangige palästinensische Politiker Dschibril Radschub von Abbas’ Fatah-Partei, Israel verübe einen „zweiten Holocaust“ an den Palästinensern.