Seit Beginn des Krieges in der Ukraine Ende Februar 2022 sind viele ukrainische Juden nach jahrtausendelanger Diaspora in ihre historische Heimat Israel zurückgekehrt. Tausende konnte CSI auf diesem Weg begleiten und unterstützen, darunter auch Holocaust-Überlebende und Senioren, die in der Ukraine über das CSI-Patenschaftsprogramm versorgt worden waren. Nun scheint ihnen der Krieg nach Israel gefolgt zu sein. Wie gehen sie damit um?
Den 5. Oktober hatte ich mir fest im Kalender eingetragen – Ludmilas 100. Geburtstag! Ludmila lebt seit gut einem Jahr in Israel an der Küste. Inzwischen sind vier Generationen ihrer Familie im Heiligen Land. Lange hatte sie gezögert, obwohl die Enkelin und Urenkelin schon fünf Jahre in Netanya auf sie warteten. Doch als im Frühjahr vergangenen Jahres die ersten russischen Raketen in ihrem Heimatort Kirowograd einschlugen, sagte sie zu ihrer Tochter Larissa: „Was immer wir jetzt tun müssen – ich bin bereit.“ Unser Team in der Ukraine hatte die beiden an der Wohnungstür abgeholt und bis zum Flughafen begleitet.
Vier Generationen vereint in der alt-neuen Heimat
Larissa ist glücklich über meinen Anruf; begeistert erzählt sie mir, wie die Familie vor nur wenigen Wochen den großen Geburtstag ihrer Mutter im Seniorenheim gefeiert hat. Als ich sie frage, wie es ihr mit den jüngsten Ereignissen geht, verdüstert sich ihre Stimme hörbar.
„Das ist so schlimm, was hier passiert“, sagt Larissa. „Ich bin eine einfache Frau, ich verstehe nicht alles. Eine Freundin von mir ist vor dem Krieg aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, in eine Kleinstadt, wo sehr viele Menschen aus arabischen Ländern wohnen. Jetzt schreibt sie mir, wie ihr Kind in der Schule drangsaliert wird. Der Islam ist überall.“
Es tröstet Larissa zu wissen, dass viele Christen jetzt für sie beten. „Ja, wir können nur beten“, fügt sie hinzu. „Ich bete zu Gott am liebsten mit meinen eigenen Worten und oft kommt mir ein, zwei Tage später ein Gedanke und ich weiß, das ist eine Antwort. Es ist so gut, wenn wir aneinander denken. Ich denke, das bewirkt etwas.“
Ende des Jahres beginnt Larissas Enkelin – Ludmilas Urenkelin – ihren Armeedienst bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften. „Katja und meine Tochter Marina haben Israel von Anfang an geliebt, aber jetzt umso mehr“, sagt Larissa. „Israel steht an erster Stelle für sie. ‚Mama, das ist unser Land, das ist unser Zuhause‘, sagen sie mir immer wieder.“
Zwischen Zitronenhainen und der libanesischen Bergkette
„Nirgendwo in Israel ist es so schön wie bei uns!“ Das sagte die Tochter von Anatoly, als wir sie Anfang des Jahres in Schlomi besuchten, wohin sie gerade auf abenteuerlichem Weg und mit CSI-Hilfe ihre gebrechlichen Eltern aus dem ukrainischen Dnepropetrowsk geholt hatte. Anatoly hatte es auf die Titelseite unserer Zeitung geschafft, wie er sich, auf zwei Krücken gestützt, über die ukrainisch-moldawische Grenze schleppt. Wir konnten nicht anders, als Tochter Ludmila beizupflichten, während unser Blick von den üppig tragenden Zitronenbäumen zu den grünen Berghängen des Libanon wanderte. Keine zwei Kilometer trennt die blühende Kleinstadt Schlomi von der Nordgrenze Israels.
„Mein Sohn wohnt noch näher an der Grenze, mit Frau und drei kleinen Kindern“, berichtet Ludmila. „Es hat nicht lange gedauert nach dem 7. Oktober, da flogen die ersten Raketen. Er ist mit der Familie nach Afula geflohen. Sie wollten, dass wir auch kommen, aber ich habe ihnen gesagt: ‚Fahrt ihr mal; wir kennen das alles schon, wir haben das schon in der Ukraine erlebt. Wir warten noch ab.‘“
Doch binnen kurzem kam die offizielle Anordnung zur Evakuierung des Ortes. Einige Male fuhr Ludmila zwischen Eltern, Kindern und Haus hin und her, um nach dem Rechten zu sehen. „Ich bin nach ein paar Tagen mit Papa wieder zurückgefahren“, erzählt Ludmila weiter. „Dann war morgens in aller Frühe wieder Raketenalarm. Ich musste dringend in die Apotheke, aber ich habe mir gesagt, ich lasse Papa jetzt nicht allein.“ Kurz nachdem Ludmila mit ihrem Vater zusammen den Ort verlassen hatte, schlugen mehrere Raketen in Schlomi ein. Inzwischen hat die Familie in Haifa ein temporäres Quartier gefunden.
„Nicht jeder schafft es, drei Kriege zu überleben“
„Ich versuche mein Bestes, Papa zu beruhigen und aufzumuntern“, sagt Ludmila. „Ich habe zu ihm gesagt: Nicht jeder schafft es, drei Kriege zu überleben!“ 1941 floh der vier Jahre alte Anatoly mit seiner Mutter vor den Nazis aufs Dorf. Seine großen Brüder fielen, seine Schwester verhungerte. Anatoly überlebte, wurde mit 60 Dienstjahren „Held der Arbeit“. Im Frühjahr 2022 musste er mit seinen 85 Jahren ein zweites Mal fliehen, diesmal vor seinen Quasi-Landsleuten. Und nun kämpft sein alt-neues Heimatland gegen das abgrundtief Böse. Ludmilas Neffen wurden alle drei zum Armeedienst eingezogen.
„Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt Ludmila. „Ich sitze abends mit Papa draußen und wir schauen auf den Himmel … Als wir nochmal nach Schlomi zurückgekehrt sind und schon fast alle unsere Nachbarn weg waren, habe ich in einem Haus Licht brennen gesehen. Da habe ich einfach gesagt: Danke Gott, dass wir nicht allein sind. Und als ich angefangen habe, dafür zu danken, ist es mir leichter geworden ums Herz.“
Und noch ein Wort von Ludmila an die Menschen, die diesen Bericht lesen: „Danke euch, dass ihr uns mit so viel Liebe und Wärme umgebt; danke, dass ihr uns nicht vergesst!“
Als Christen an der Seite Israels arbeiten wir eng mit unseren jüdischen Partnern Keren Hayesod und der Jewish Agency zusammen, um nach dem Großangriff der Hamas in Israel schnelle Hilfe leisten zu können. Wie Sie Israel in dieser schweren Zeit unterstützen können, erfahren Sie hier!