In Änne Osterbergs zweiteiligem Werk geht es um die seelischen Auswirkungen des Dritten Reiches, die Ersatztheologie, die jüdischen Glaubenswurzeln und das Verhältnis von Christen zu Israel. Bei der Entstehung des Buches hat Gott eine große Rolle gespielt. Darüber und warum es Osterberg um die Herzen ihrer Leser geht, hat der Theologe Tobias Krämer mit der Autorin gesprochen.
Tobias Krämer: Dass Sie dieses Buch geschrieben haben, ist kein Zufall. Was hat Sie dazu bewogen?
Änne Osterberg: Ja, Gott hatte das Schreiben dieses Buches von langer Hand vorbereitet, lange bevor ich Seinen Plan erkennen konnte. Es war vor allem Dreierlei, wodurch Er mir wichtige Denkanstöße gab: Zuerst war es der Dienst an Demenzkranken. Ich spürte, dass sie viele seelische Lasten mit sich herumtrugen. Daraufhin – und auch angeregt durch das Buch von Jobst Bittner, „Die Decke des Schweigens“ – habe ich mich mit der eigenen Familien-geschichte beschäftigt. Mich bewegte dabei die Frage, ob es auch in meiner Herkunftsfamilie verschwiegene Altlasten aus der Zeit des Dritten Reiches, geben könnte. Und schließlich kam ich – diesmal durch das Buch eines säkularen Psychotherapeuten – zu der erschreckenden Erkenntnis: Auch ich selbst bin als Christliche Beraterin zu einer „Komplizin des Schweigens“ geworden! Das war der entscheidende Anstoß dazu, meine Gedanken schriftlich festzuhalten.
Wie sind Sie an das Thema rangegangen?
Das Thema ist sehr vielschichtig und enthält mehrere große Themenkomplexe. Als mir diese Fülle so richtig bewusst wurde, war ich nahe daran, zu kapitulieren. Ich hatte immer dann, wenn mir ein Gedanke durch den Kopf ging, der mir sehr wichtig erschien, schnell nebenbei Notizen gemacht. Ein Zettelberg (genau 555!) hatte sich angesammelt. Aber schnell aufgeben oder halbe Sachen machen ist nicht meine Art. Ich habe also die Zettel sortiert und über eine Gliederung nachgedacht. Als diese schließlich grob fertig war, begann ich zu schreiben. Im Vorfeld hatte ich sehr viele Bücher zum Thema gelesen und konnte viele Zitate daraus als Belege einarbeiten. Am wichtigsten war mir, dass ich nicht schreibe, ohne dass Jesus mich führt. Ich habe an keinem Tag geschrieben, ohne vorher zu beten. In der ganzen Entstehungszeit haben mich liebe Menschen begleitet. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ihr Buch ist im wahrsten Sinn des Wortes ein „großes Werk“. Was erwartet den Leser inhaltlich?
Wie schon gesagt, ist es ein viel-schichtiges Thema, ich spanne damit einen großen Bogen. Zuerst lasse ich die Leser ein wenig daran teilnehmen, wie Gott mich an das Thema herangeführt hat. Ich hoffe, dass viele Leser dadurch „Aha“-Erlebnisse haben. Oft spricht Gott leise und geduldig, lange bevor wir es bewusst bemerken. In den vielen Beispielen in den nächsten Kapiteln geht es des-halb vor allem um Bewusstwerden: In den meisten Familien in unserem Land gibt es verschwiegene Schuld – und Leiderfahrungen aus der Zeit des Dritten Reiches, die sich bis in die heutigen Generationen auswirken. Sie zeigen sich häufig in psychischen Problemen oder gar Erkrankungen. Wie gehen wir nun damit um? Am Ende des ersten Teils gebe ich Antworten darauf aus biblischer Sicht.
Von den inneren und äußeren Veränderungen, die dann folgen, schreibe ich im zweiten Teil. Ich gehe darin zunächst weit zurück in die kirchengeschichtlichen und theologischen Hintergründe von Hitlers Reich. Dann gehe ich darauf ein, wie ein neues Glaubensverständnis aus-sehen kann. Und zuletzt beschreibe ich ein verändertes Verhalten, vor allem gegenüber Juden und Israel.
Sie haben Ihr Werk in zwei Teile unterteilt, einen psychologisch-seelsorgerlichen und einen biblisch-theologischen. Wie kam es dazu und worin besteht der Zusammenhang?
Von Menschen, denen ich erzählt habe, dass ich an einem Buch arbeite, wurde ich natürlich gefragt: Worum geht es in deinem Buch? Wenn ich dann in etwa antwortete, es ginge um die seelischen Auswirkungen des Dritten Reiches, um die Ersatztheologie, um unsere jüdischen Glaubenswurzeln und unser Verhältnis zu Israel, kam oft die nächste Frage: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Das ist eine wichtige Frage! Doch allein schon, dass sie gestellt wird, zeigt das ganze Dilemma: Es fällt uns noch schwer, zu denken oder fällt uns gar nicht ein, dass der Nationalsozialismus, der Holocaust und sogar der aktuell rasant wiedererstarkende Antisemitismus etwas mit dem Christentum zu tun haben könnten. Im ersten Teil zeige ich erst einmal auf, dass wir bis heute ein häufig krankmachendes seelisch-geistliches Erbe in uns tragen. Dass es überhaupt in unserm christlich geprägten Kulturvolk zu solch unvergleichlicher Schuld kommen konnte, hat eine tiefere Ursache und eine Vorgeschichte! Mit dieser Vorgeschichte aus theologischen Irrtümern und schuld-beladener Kirchengeschichte, die in der Schoah gipfelte, beginnt der zweite Teil. Ich zeige dann aber auch, wie wir die alten Irrwege geistlich und praktisch verlassen können.
Der Titel sagt aus, dass es Ihnen um die Herzen Ihrer Leser geht. Wenn man sich Ihre Ausführungen zu Herzen nimmt – was kann dann geschehen und wo „landet“ man?
Als Christliche Beraterin hatte ich mir einen Leitspruch (aus Hesekiel 36,26) gewählt, der in der Kurzfassung lautet: „Ich gebe euch ein neu-es Herz.“ Dieses große Versprechen Gottes an Sein Volk Israel gilt auch in anderen Völkern jedem, der Israels Gott vertraut. Konkret auf mein Anliegen in diesem Buch bezogen kann das zunächst bedeuten, dass Leser rückschauend entdecken: „Ich und meine Familie sind unweigerlich ein-gebunden in die schuldhafte Geschichte unseres Volkes; die Nazis waren nicht nur die anderen. Auf das eigene Herz schauend kann das er-schreckend sein: Sogar in mir selbst sind Gedanken und Voraussetzungen zu ähnlichem Verhalten. Vielleicht ist daraus sogar schon schuldhaftes Ver-halten geworden. Daher rühren meine Probleme!“ Wer mit all dem zu Jesus geht und Seine Gnade annimmt, kann Erstaunliches erleben. Ein von Ihm geheiltes Herz zeigt sich dann beispielsweise darin, dass das sogenannte Alte Testament ganz neu lebendig, wichtig, verständlich und aktuell wird. Mit solch neuem Herzen kann man entdecken, dass Jesus uns Christen nicht von Seinem Volk trennen und zu Feinden des jüdischen Volkes machen wollte, sondern dass Er uns aufnimmt in Seinen ewigen Bund mit Israel. Paulus sagt das bildlich, in-dem er uns Nichtisraeliten als unedle Zweige beschreibt, die in den edlen Ölbaum Israel eingepfropft werden, von dem Jesus die Wurzel und der Stamm ist. Es ist also am Ende möglich, durch Jesus zum Überwinder von Trennung, Schuld und Leid zu werden.
Wenn Sie Ihre Mission, Ihren Herzenswunsch in einem Satz ausdrücken könnten, wie würde dieser Satz dann lauten?
Ich hoffe, dass noch viele Herzen von den Lasten unserer Vergangenheit heilen durch die Heimkehr zu unserem jüdischen Messias Jesus und zu Seinem ganzen Wort, damit Er uns wieder fest verbinden und zusammenwachsen lassen kann mit Seinem Volk.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Bücher von Änne Osterberg sowie weitere spannende Veröffentlichungen zum Thema Israel und Judentum finden Sie in unserem Shop!
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 126. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen: https://csi-aktuell.de/israelaktuell. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.