Die 13 Middot Gottes (Teil 4): Der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt

Die 13 Middot Gottes (Teil 4): Der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt

Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90
Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90

Von Kees de Vreugd, Übersetzung Marie-Louise Weissenböck

Das hebräische Wort Middah (Plural Middot) bedeutet im Grunde „Maß“. Die jüdische Überlieferung spricht von den 13 Middot Gottes, die sie 2. Mose 34,6-7 entnommen hat. Gemeint sind damit die „Eigenschaften“ Gottes, besser könnte man sagen: die gnädigen Beziehungen Gottes zum Menschen. In der letzten Folge dieser Reihe betrachten wir zwei weitere dieser 13 Gottesbeziehungen.

„Der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt“

Es kommen drei Wörter zum Einsatz, die sich überschneiden, aber auch unterschiedliche Nuancen vermitteln. Das Wort, das mit Ungerechtigkeit übersetzt wird, kann auch mit Schuld übersetzt werden. Nach dem großen mittelalterlichen jüdischen Interpreten Raschi handelt es sich dabei um Sünden, die vorsätzlich begangen wurden, nicht zufällig oder unwissentlich. Ibn Ezra, ein weiterer mittelalterlicher Ausleger, betont, dass es sich um einen aktiven Akt handelt. Das Wort Übertretung bezieht sich auf einen Akt der Rebellion gegen Gott, ein „sich bewusst von Gottes Autorität Entziehen“.

Das dritte Wort, Sünde, ist ein allgemeiner Begriff, aber nach Ibn Esra steht es im Gegensatz zur Ungerechtigkeit: Es geht nicht um die Tat, sondern um das Denken, um den Geist – zum Beispiel den Unglauben. Rabbiner S.R. Hirsch stellt es als Leichtsinn dar. So befindet sich der Mensch in bewusstem und tätigem Widerstand gegen Gott. Und doch vergibt Gott demjenigen, der Buße tut, der Versöhnung sucht, der zu ihm zurückkehren will.

Gott vergibt. Das hebräische Verb dazu bedeutet nehmen oder tragen. Gott nimmt die Ungerechtigkeit, die Übertretung, die Sünde weg. Man kann aber auch sagen: Gott übernimmt sie. Gott nimmt diese vorsätzliche Sünde von dem reuigen Sünder und übernimmt sie. Damit ist die Sünde aufgehoben. Das gleiche Verb, aber auf Griechisch, wird von Johannes dem Täufer verwendet, wenn er auf Jesus als das Lamm Gottes hinweist, das die Sünden der Welt hinwegnimmt.

Die Sünde löst eine Kettenreaktion von Ursache und Wirkung aus, die, wenn sie nicht durch Bekenntnis der Schuld und Vergebung durchbrochen wird, ihre verheerende Auswirkung auch auf die nächsten Generationen hat; jedoch nicht über die vierte Generation hinaus. Wenn Gott die Sünde aufhebt, geschieht etwas anderes. Die Kette der Folgen ist durchbrochen. Gott überlässt den Menschen nicht den Folgen seines Handelns, auch wenn er nicht alles ungestraft lässt.

Das Schlüsselwort ist die Bekehrung. Der Weg der Bekehrung steht dem Sünder immer offen. Die nächste Generation muss nicht die Konsequenzen tragen, wenn sie den Weg Gottes geht und nicht den sündigen Weg der Väter (vergleiche Hesekiel 18).

Gott ist die Quelle aller Güte

In dieser Beitragsserie haben wir uns mit Gottes Offenbarung an Mose in 2. Mose 34,6 und 7 beschäftigt. Die jüdische Tradition erkennt in ihr 13 göttliche Eigenschaften der Barmherzigkeit, man könnte auch sagen: 13 Arten, wie Gott sich barmherzig zum Menschen verhält. Immer wieder durften die Juden erleben, dass diese göttlichen Eigenschaften Erlösung und Vergebung brachten, durch alle Generationen hindurch. Auf der Webseite der jüdischen Organisation Chabad heißt es dazu: „Es war ein Bund geschlossen worden bezüglich der dreizehn Eigenschaften der Barmherzigkeit – dass sie nie leer zurückkehren würden“, sagt Rabbi Yehuda im Talmud. Der Talmud gibt eine gewisse Anordnung dieser Beziehungen, während die jüdische Mystik sie manchmal etwas anders einteilt. In den Überlegungen bin ich nicht so sehr darauf eingegangen, aber habe sie zusammengefügt.

Die jüdische Mystik sieht in Micha 7,18-20 noch einmal 13 Middot: „Wer ist ein Gott wie du, der die Sünde vergibt und dem Überrest seines Erbteils die Übertretung erlässt, der seinen Zorn nicht allezeit festhält, sondern Lust an der Gnade hat? Er wird sich wieder über uns erbarmen, unsere Missetaten bezwingen. Ja, du wirst alle ihre Sünden in die Tiefe des Meeres werfen! Du wirst Jakob Treue erweisen und an Abraham Gnade üben, wie du unseren Vätern von den Tagen der Vorzeit her geschworen hast.“ Diese Worte sind fast noch ehrfurchtgebietender als die in 2. Mose 34, weil sie keine Spur von Verurteilung oder Strenge enthalten.

13 – eine besondere Zahl

Schlussendlich hat die Zahl 13 eine besondere Bedeutung. Zwölf ist die Zahl der Ordnung und der Begrenzung: Es gibt zwölf Monate im Jahr und zum Beispiel auch zwölf Tierkreiszeichen. 13 geht noch einen Schritt weiter und symbolisiert Grenzenlosigkeit und Unermesslichkeit.

Die Tatsache, dass es 13 Eigenschaften gibt, lehrt, dass Gott, wenn er Barmherzigkeit zeigt, dies reichlich und grenzenlos tut. Der Unterschied zwischen zwölf und 13 ist eins. Das hebräische Wort für eins, echad, hat den Zahlenwert 13! Dies deutet auf die Einzigartigkeit Gottes in der Welt hin; er ist über allen Maßen und Grenzen erhaben. Vor allem aber ist der Gott Israels die Quelle des Heils – welches das Ziel seiner mannigfaltigen Güte ist.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 137. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

Teil 1 der Serie erschien in Ausgabe 134 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.
Teil 2 der Serie erschien in Ausgabe 135 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.
Teil 3 der Serie erschien in Ausgabe 136 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.

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