Die 13 Middot Gottes: Der Name des Ewigen und Gottes vielseitige Barmherzigkeit

Die 13 Middot Gottes: Der Name des Ewigen und Gottes vielseitige Barmherzigkeit

Foto: Mick Haupt/Unsplash

Von Kees de Vreugd, Übersetzung Marie-Louise Weissenböck

Das hebräische Wort Middah (Plural Middot) bedeutet im Grunde „Maß“. Die jüdische Überlieferung spricht von den 13 Middot Gottes, die sie 2. Mose 34,6-7 entnommen hat. Gemeint sind damit die „Eigenschaften“ Gottes, besser könnte man sagen: die gnädigen Beziehungen Gottes zum Menschen. In dieser Reihe betrachten wir diese 13 Gottesbeziehungen.

1. Der Name des Ewigen

„Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand …“ (2. Mose 34,6-7a)

Ein beeindruckender Text aus einer ebenso beeindruckenden Geschichte. Mose will Gottes Herrlichkeit sehen, aber niemand kann Gott sehen und am Leben bleiben. Dennoch sagt Gott, dass er „all Seine Güte“ an Mose vorbeiziehen lassen und dann den Namen des HERRN ausrufen wird. „Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ (2. Mose 33,19ff). In 2. Mose 34 geschieht es dann.

Diese schönen Worte aus 2. Mose 34,6 und 7a bilden einen wiederkehrenden Höhepunkt in der Liturgie des Großen Versöhnungstages. In vielfältigster Weise bekennt Israel in der Liturgie Sünde und Schuld. Und jedes Mal wird es mit diesem göttlichen Ausruf der Barmherzigkeit beantwortet.

Die jüdische Tradition hat in diesen Versen 13 „Eigenschaften“ Gottes aufgezählt (13 Middot). Die wichtigste Bedeutung des hebräischen Wortes, welches mit „Eigenschaft“ übersetzt ist, ist „Maß“. Hier kommen mir die Worte des Paulus in den Sinn: Damit wir zusammen mit allen Heiligen die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe der Fülle Gottes voll erfassen. (Epheser 3,18) Die erste „Eigenschaft“ ist der Name selbst, HERR. Es handelt sich um den heiligen Namen, der mit den hebräischen Buchstaben JHWH gebildet wird, der Name, den die Juden nicht aussprechen, heute nicht, aber auch zur Zeit des Zweiten Tempels nicht. Stattdessen sagen sie in den gemeinsamen Gebeten und beim Lesen der Bibel „Adonai“, Herr. Im Griechischen heißt es Kyrios, und so lesen wir es auch im Neuen Testament.

Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90
Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90

Gleichzeitig ist es auch der intimste Name Gottes, der die einzigartige Beziehung Gottes zu Israel zum Ausdruck bringt: „Gott sprach zu Mose: Ich bin, der ich bin (Ich werde sein, der Ich sein werde) …“ oder: „Ich bin da“, wie Martin Buber übersetzt hat (2. Mose 3,14). Für Israel bedeutet diese Aussage Gottes unter anderem: So wie Gott Israels Hilferuf in Ägypten gehört hat, so wird er Israel auch im künftigen Exil nahe sein, sei es in Babylon oder in Rom. Dieser Name ist mit dem Aspekt der Barmherzigkeit und Gnade Gottes verbunden, während der Name Elohim, „Gott“, den Aspekt Gottes als Richter ausdrückt. Wir können dies in der Schöpfungsgeschichte sehen. Die Schöpfung gründet sich auf Gottes Recht (1. Mose 1: Gott schuf), existiert aber aufgrund von Gottes Barmherzigkeit (1. Mose 2: Gott, der Herr, machte).

2. Barmherzigkeit

Der Name Gottes (JHWH) wird im Judentum als Ausdruck des gnädigen Erbarmens Gottes verstanden. Wir sehen aber auch, wenn wir 2. Mose 34,6-7, genau lesen, dass es zwei Seiten gibt: Gottes Barmherzigkeit und Gottes Gerechtigkeit. Wie verhalten sich diese beiden Seiten zueinander? Bemerkenswert ist, dass der Herr, wenn er an Mose vorbeigeht, zweimal seinen eigenen Namen ausruft: Herr, Herr (2. Mose 34,6). Die meisten Ausleger meinen, dass es sich um einen doppelten und damit verstärkten Ausruf handelt: „HERR, HERR“, so wie der Engel des Herrn auch „Abraham, Abraham“ rief (1. Mose 22,11). Dass es Gott selbst ist, der seinen Namen ausruft, ist weithin bekannt.

Der Talmud hat eine eigene Auslegung für den doppelten Ausruf: Im Traktat Rosch Haschana wird gelehrt, dass Gott damit aussagen will: „Ich bin, bevor der Mensch sündigt, und ich bin, nachdem der Mensch gesündigt und Buße getan hat, Gott, barmherzig und gnädig.“ Mit anderen Worten: Gott ist dem Menschen barmherzig bevor er sündigt, und er ist barmherzig, wenn der Mensch bereut.

Im Text von 2. Mose 34,6 folgt in unserer Übersetzung nach dem doppelten Ausruf „Herr, Herr“ das Wort „Gott“. Im Hebräischen heißt es hier nicht Elohim, sondern El. Wir kennen den Ausdruck El Schaddai (oft als allmächtiger Gott übersetzt) und Eli aus „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ („Eli, Eli, …“, Psalm 22,2 vgl. Matthäus 27,46) Gerade dieses Psalmwort, so sagten die Rabbiner, weist darauf hin, dass das Wort (oder der Name) El auch mit dem Aspekt der Barmherzigkeit Gottes verbunden ist. So wird auf vielfältige Weise die Barmherzigkeit Gottes besungen.

Auf derselben Seite im Traktat Rosch Haschana wird gesagt: „R. Jehuda sagte: Es ist ein geschlossenes Bündnis, dass die dreizehn Eigenschaften [Gottes] nicht erfolglos bleiben, denn es heißt: ‚Siehe, ich schließe ein Bündnis‘ (2. Mose 34,10).“ Das heißt, dass Israel als Bundesvolk (siehe auch 2. Mose 34,10) sich in seinen Bitten auf die dreizehn Eigenschaften Gottes berufen soll. Dann werden diese Gebete (Bitten) sicher nicht unbeantwortet bleiben.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 134. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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