Die 13 Middot Gottes (Teil 2): Der barmherzige, gnädige und geduldige Gott

Die 13 Middot Gottes (Teil 2): Der barmherzige, gnädige und geduldige Gott

Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90
Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90

Von Kees de Vreugd, Übersetzung Marie-Louise Weissenböck

Das hebräische Wort Middah (Plural Middot) bedeutet im Grunde „Maß“. Die jüdische Überlieferung spricht von den 13 Middot Gottes, die sie 2. Mose 34,6-7 entnommen hat. Gemeint sind damit die „Eigenschaften“ Gottes, besser könnte man sagen: die gnädigen Beziehungen Gottes zum Menschen. In dieser Reihe betrachten wir zwei weitere dieser 13 Gottesbeziehungen.

1. Barmherzig und gnädig

Die Worte, die der Herr ausruft, wenn er an Mose vorbeigeht, tauchen im Alten Testament immer wieder auf, vor allem in den Psalmen, aber auch bei den Propheten und in anderen Schriften. Sie drücken eine wesentliche Erfahrung Israels aus. So zeigt sich Gott immer wieder im Leben Israels und Israel vertraut darauf. Was das im Blick auf Sünde und Schuld bedeutet, zeigt David in Psalm 103: „Barmherzig und gnädig ist der HERR, langsam zum Zorn und groß an Gnade. Er wird nicht immer rechten, nicht ewig zürnen.“ (Psalm 103,8-9)

Auch Jona wusste das, ob wohl es bei ihm fast wie ein Vorwurf klingt: „Denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langsam zum Zorn und groß an Güte, und einer, der sich das Unheil gereuen lässt.“ (Jona 4,2) Der Prophet Joel plädiert dafür in seinem ergreifenden Appell an das Volk: „Und zerreißt euer Herz und nicht eure Kleider und kehrt um zum HERRN, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Gnade, und lässt sich das Unheil gereuen.“ (Joel 2,13) Und auch Nehemia erinnert an Gottes Barmherzigkeit und Gnade zur Zeit des Aufenthalts Israels in der Wüste (Nehemia 9,17).

Was also ist barmherzig? Das Wort bedeutet eigentlich „mit einem warmen Herzen“. Das hebräische Wort rachum (barmherzig) ist verwandt mit dem Wort rechem (Gebärmutter). Es geht also um den Schutz und die Wärme der Mutter. „Barmherzig“ kommt von dem hebräischen Wort chen (Gnade); darin klingen alle auch im Deutschen bekannten Bedeutungen an, vor allem aber: gratis und umsonst. Eine jüdische Erklärung (Adèret Eliahu) sagt, dass in Gottes Hand Vergebung und Barmherzigkeit liegen. Als der Herr, wie in 2. Mose 34,6 beschrieben, an Mose vorüberging, war dies auch die Antwort auf Israels Gebet um die Rückkehr von Gottes Gegenwart nach der Sünde der Anbetung des goldenen Kalbes.

Gottes Gunst ist ein kostenloses Geschenk, wie er selbst sagt: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ (2. Mose 33,19) Gott schenkt sie, ohne dass seine Diener sie sich verdienen müssen. So ist Gott barmherzig gegenüber den Schuldigen, indem er die Strafe, die sie eigentlich verdienen, zuweilen sogar mildert, und er hat Mitleid mit den Bedrängten. „Wenn die Gerechten schreien, so hört der HERR und errettet sie aus all ihrer Not.“ (Psalm 34,18)

2. Geduldig

In älteren Bibelübersetzungen heißt es „langmütig“ statt „geduldig“. Darin steckt das Wort lang: „lang im Gemüt“. Und dieses lang gibt es auch im Hebräischen: lang im Zorn. Das bedeutet nicht, dass Gott lange zornig ist, sondern dass er lange braucht, um seinem Zorn Taten folgen zu lassen. Mose appelliert an die Geduld Gottes, der sich als „langsam zum Zorn“ offenbart, als wolle er Gott bitten: „Schieb deinen Zorn über die Sünde des Volkes auf, damit die Barmherzigkeit überwiegt.“ Im Targum, einer alten aramäischen Übersetzung des Tanach, heißt es: Gott ist langmütig, fern vom Zorn und nahe in der Barmherzigkeit.

Gott ist nicht nur langmütig gegenüber den Gerechten, sondern auch gegenüber den Bösen. Daher wird diese Eigenschaft in der jüdischen mystischen Tradition zweimal in der Liste der 13 Middot, der Eigenschaften Gottes, gezählt. Die rabbinische Bibelauslegung Midrasch berichtet, dass Mose sah, wie Gott schrieb: „Der Herr ist geduldig.“ Mose ergänzte: „Für die Gerechten.“ Daraufhin sagte Gott zu ihm: „Auch für die Bösen.“ Daraufhin sagte Mose: „Die Gottlosen mögen zugrunde gehen.“ Gott antwortete: „Du wirst es noch brauchen, wenn Israel sündigt.“ Als Israel in der Geschichte mit dem goldenen Kalb und den Kundschaftern sündigte, berief sich Mose in seinem Gebet auf die Langmut Gottes. Gott sagte zu ihm: „Hast du nicht zu mir gesagt: nur für die Gerechten?“ Mose antwortete: „Aber hast du nicht zu mir gesagt: Auch für die Gottlosen? Doch lass die Macht des Herrn groß sein, indem du dein Wort erfüllst.“

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 135. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

Teil 1 der Serie erschien in Ausgabe 134 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.

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