Die 13 Middot Gottes (Teil 3): Reich an Güte und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden

Die 13 Middot Gottes (Teil 3): Reich an Güte und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden

Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90
Beziehung mit Gott leben: Ein Jude betet am Toten Meer. Foto: Mendy Hechtman/Flash90

Von Kees de Vreugd, Übersetzung Marie-Louise Weissenböck

Das hebräische Wort Middah (Plural Middot) bedeutet im Grunde „Maß“. Die jüdische Überlieferung spricht von den 13 Middot Gottes, die sie 2. Mose 34,6-7 entnommen hat. Gemeint sind damit die „Eigenschaften“ Gottes, besser könnte man sagen: die gnädigen Beziehungen Gottes zum Menschen. In dieser Reihe betrachten wir zwei weitere dieser 13 Gottesbeziehungen.

1. Reich an Güte und Treue

Aus der Quelle des Namens Gottes, der seine erhabene Gegenwart und Nähe zum Ausdruck bringt, entspringt eine Fülle von Güte und Treue. Es sind zwei Eigenschaften Gottes (wenn man das so sagen darf), die auch in der Bibel immer wieder in einem Atemzug genannt werden. Sie ergänzen sich und offenbaren eine neue, noch tiefere „Schicht“ im Umgang Gottes mit seinem Volk: „Güte und Treue begegnen einander.“ (Psalm 85,11)

Gott ist ganz anders, als wir Menschen uns oft gegenüberstehen. Davon singt David immer wieder: „Gott, es erheben sich die Stolzen gegen mich und eine Rotte von Gewalttätern trachtet mir nach dem Leben und haben dich nicht vor Augen. Du aber, Herr, Gott, bist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.“ (Psalm 86,14-15)

Nächstenliebe heißt auf Hebräisch chesed. Chesed hat mit Liebe, Barmherzigkeit und Loyalität zu tun. Der deutsche Rabbiner Samson Raphael Hirsch gibt im 19. Jahrhundert eine wunderbare Beschreibung dieses Konzepts: Chesed ist völlige Hingabe an die andere Person. Er verwendet das deutsche Wort Hingebung. Darin steckt auch etwas von Opferbereitschaft. Chesed ist Hingabe, die sich selbst aufopfert. Von chesed leitet sich auch das Wort Chassid ab, das fromm, treu, selbstlos bedeutet.

Dieser Begriff der Treue spiegelt sich in dem anderen Teil dieses Wortpaares wider: dem hebräischen emèt. Wir übersetzen es gewöhnlich mit Wahrheit. Aber es ist eine Wahrheit, die sich selbst und dem anderen treu bleibt, wie Rabbi Hirsch es ausdrückt. Gott ist treu und vertrauenswürdig in der überfließenden Fülle seiner Liebe, die er grenzenlos verschenkt. Das Wort emèt ist mit dem Wort Amen verwandt: Es wird wahr und sicher sein – es ist beständig und zuverlässig. Eine andere Bedeutung dieses Wortstammes ist erziehen, ausbilden und im modernen Hebräisch: trainieren. Es handelt sich um Gottes Umgang mit seinem Volk. Die dreizehn Middot, göttliche Charaktereigenschaften, werden an einem Tiefpunkt in Israels Geschichte offenbart: nach der Sünde mit dem goldenen Kalb. Und doch fährt der Ewige genau an diesem Punkt fort, Israel tiefer darin einzuweihen, wie er wirklich ist: voller chesed und emèt – voller absoluter Wahrheit, die nicht kalt urteilend, sondern liebevoll involviert ist.

2. Der Gnade bewahrt an Tausenden (von Generationen)

Diese Stelle in 2. Mose 34,7 – im Hebräischen besteht der Satz nur aus drei Worten – wird auf verschiedene Arten übersetzt. Neben der oben zitierten Elberfelder Übersetzung seien hier einige genannt. Die Gute Nachricht übersetzt: „Ich erweise Güte über Tausende von Generationen.“ Die Schlachter- und Lutherbibel 2017 übersetzen ähnlich wie die Elberfelder: „Der Tausenden Gnade bewahrt“, und in Hoffnung für Alle steht: „Ich lasse Menschen meine Liebe erfahren über Tausende von Generationen“. Das Hebräische lässt sich auch übersetzen als: „Der Freundschaft bewahrt für Tausende.“

Behüten im Sinne von bewahren, beschützen, bewachen wird im Hebräischen durch die Wurzeln שמרׁ šmr und נצר nzr ausgedrückt (bewahren = nozir). Das Wort Güte (chesed) haben wir oben betrachtet: Chesed ist die völlige Hingabe und Selbsthingabe an den anderen – die höchste Form der Liebe – des Menschen, aber vor allem Gottes selbst, wie wir von Rabbi Samson Raphael Hirsch erfahren haben. Gott also – denn vergessen wir nicht, dass der Herr selbst hier noch seinen Namen nennt – Gott sagt, dass er über die chesed wacht.

Nun kann man sich darüber streiten, wer es ist, der hier chesed beweist. Die Übersetzungen gehen davon aus, dass es Gottes chesed ist: Gott bleibt treu, bewahrt die Freundschaft. Viele jüdische Ausleger sagen stattdessen, dass hier die chesed des Menschen gemeint ist und dass Gott sie für Tausende bewahrt. Mit anderen Worten, dass chesed durch Tausende wirkt. Aber warum sollte nicht beides wahr sein?

„Und ein Spross wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.“ Jesaja 11,1. Foto: wal_172619/Pixabay

Es gibt ein weiteres hebräisches Wort mit der Wurzel נצר nzr: das Wort nezer. Das ist das Wort für Spross, also ein junger Trieb an einer Pflanze (vergleiche Jesaja 11,1: „Und ein Spross wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.“). Rabbi Hirsch greift diese Assoziation in seiner Erklärung dieser Worte auf: chesed, eine Wurzel, aus der chesed tausendfach keimt.

Gott beschränkt seine Liebe nicht auf den Einzelnen, sondern segnet in demjenigen, der seine Liebe empfängt, die Gemeinschaft, mit der dieser begabte Mensch verbunden ist. Und die Liebe, die ein Mensch zeigt, wird von Gott bewahrt und über Tausende von Generationen hinweg aufrechterhalten.

Das ist atemberaubend. Und doch sollten wir darüber nachdenken, ob der Segen, den wir empfangen, auch auf Generationen vor uns zurückgeführt werden kann, die Gottes Liebe empfangen und in ihr gelebt haben. Und es ist ein Aufruf, wie alle diese Worte auch ein Aufruf sind, selbst in dieser Liebe zu leben.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 136. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

Teil 1 der Serie erschien in Ausgabe 134 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.
Teil 2 der Serie erschien in Ausgabe 135 von „Israelaktuell“, hier können Sie ihn nachlesen.

Teilen:

Drucken:

Informiert bleiben.

Weitere Artikel

25. Sep. 2024
Mit einer Rekordbeteiligung ist der diesjährige Israelkongress auf dem Schönblick zu Ende gegangen. In Vorträgen, Diskussionen und ...
20. Sep. 2024
Das Vaterunser ist das einzige Gebet, das Jesus Christus seine Jünger selbst gelehrt hat. In zwei Evangelien ...
12. Aug. 2024
Tischa BeAv ist ein Tag der Trauer, des Fastens und des Gedenkens an die tragischen Ereignisse in ...
09. Aug. 2024
Im letzten Jahr hat Christen an der Seite Israels (CSI) die Israel-Akademie gegründet. Ab September läuft die ...
28. Jun. 2024
Die rote Kuh gehört zu den ungewöhnlichen Elementen der alttestamentlichen Glaubenswelt. Sie wird in 4. Mose 19 ...
24. Jun. 2024
Das hebräische Wort Middah (Plural Middot) bedeutet im Grunde „Maß“. Die jüdische Überlieferung spricht von den 13 ...

Suche

Informiert bleiben

Name*
Datenschutz*