Anschlagswelle: Breit gestreuter Terror

Anschlagswelle: Breit gestreuter Terror

Helfer der Rettungsorganisation ZAKA sind bei Terroranschlägen oder Unfällen oft als erste zur Stelle. Foto: ZAKA, Twitter

Anschläge im israelischen Staatsgebiet waren zuletzt zurückgegangen. Umso mehr überrascht die jüngste Terrorwelle. Für die Sicherheitskräfte stellen sich besondere Herausforderungen.

Be’er Scheva, Hadera, Bnei Brak, Tel Aviv, Ariel, Elad: In sechs Städten haben Terroristen innerhalb von 44 Tagen 19 Israelis getötet – Zivilisten und Sicherheitskräfte. Bei Razzien, die Israel in der Folge in der Terrorhochburg Dschenin durchführte, kam es immer wieder zu heftigen Häuserkämpfen, bei denen Dutzende Palästinenser starben. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Tod einer palästinensisch-amerikanischen Journalistin, die in einem dieser Gefechte von einer Kugel tödlich getroffen wurde; auf israelischer Seite verlor ein Grenzpolizist sein Leben.

Die Anschläge gaben dem israelischen Sicherheitsapparat einige Rätsel auf, denn sie sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Nicht immer, aber doch oft, war die „Verteidigung“ der Al-Aqsa-­Moschee der Anlass zur Tat. Unruhen auf dem Areal des Tempelbergs während des Fastenmonats Ramadan von Anfang April bis Anfang Mai hatten alle erwartet – und die Erwartungen wurden leider erfüllt.

Besondere Brisanz erzeugte der Umstand, dass in diese Zeit das christliche Osterfest sowie das jüdische Pessach fiel. Palästinenser bewarfen Busse, die Juden zum Tempelberg brachten, mit Steinen. Umgekehrt wollte eine kleine Gruppe radikalerer Juden eine Ziege auf dem Tempelberg opfern; dies unterbanden aber die israelischen Sicherheitskräfte.

Über den gesamten Ramadan hinweg randalierten palästinensische Aufrüher während der muslimischen Gebete: Sie zündeten Feuerwerkskörper und warfen Steine auf die Polizeiwache sowie auf den Platz vor der Klagemauer, wo sich Juden aufhielten.

Ein schmaler Grat

Die Sicherheitskräfte sahen sich dabei in der misslichen Lage, einerseits für Ruhe sorgen zu müssen und andererseits die Randalierer nicht noch weiter zu „provozieren“ – denn genau darauf hatten diese es abgesehen. Die israelische Regierung erklärte wiederholt, der Einsatz der Sicherheitskräfte diene dem Anliegen, die Religionsfreiheit aller Glaubensgruppen zu schützen. Zum Teil warteten die Sicherheitskräfte, bis die Gläubigen ihr Gebet beendet hatten, und griffen erst dann ein.

Bei den Unruhen waren auch friedliche Gläubige die Leidtragenden. Auf einem Video war ein älterer Muslim zu sehen, der die Jugendlichen für ihr Verhalten schalt, aber mit seinem Anliegen nicht durchdrang. Ein weiteres Video zeigt, wie die Randalierer einer Muslima den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee verweigerten. Mitunter konnten einige Muslime das Areal nur unter israelischem Polizeischutz verlassen – aus Furcht vor den Gewaltaktionen. Missfallen haben dürfte den Gläubigen auch, dass die Randalierer in der Al-Aqsa-Moschee Fußball spielten oder das Gebäude als Rückzugsort während ihrer Aufstände missbrauchten.

Ausrufung eines Religionskriegs

In einer Hinsicht haben die Randalierer jedenfalls „geliefert“: So gaben sie einen weiteren Vorwand für anti-israelische Hetze der Hamas, deren Fahnen sie fortwährend schwenkten – und Bildmaterial. Der Gaza-Chef der Terror-Organisation Jahja Sinwar wusste beides zu nutzen: Kurz vor Ende des Ramadans hielt er eine Rede. Es war die erste seit knapp einem Jahr. Dabei stand er vor einem großen Bild, das israelische Sicherheitskräfte in der Al-Aqsa-Moschee zeigte. „Wir werden Synagogen in aller Welt entweihen, wenn die Al-Aqsa-Moschee entweiht wird“, sagte er dazu. Die Hamas wünsche sich keinen religiösen Krieg, aber das sei es, was Israel wolle. „Wir nehmen die Herausforderung an.“

Dazu rief er Araber in Israel auf, mit Schusswaffen, Messern und Äxten gegen die „Besatzung“ vorzugehen – mit dem Begriff war wohlgemerkt das israelische Staatsgebiet gemeint. Zu diesem Zeitpunkt hatte es bereits fünf Anschläge gegeben. Ein weiterer folgte nur wenige Tage nach der Rede: Am israelischen Unabhängigkeitstag griffen zwei Palästinenser aus der Region Dschenin mit Axt und Messer in Elad Passanten an und töteten drei Familienväter. Es war der vorläufig letzte Anschlag dieser Gewaltwelle.

Wenig Resonanz

Die zeitliche Nähe zwischen der Rede Sinwars und dem Anschlag legt zwar nahe, dass die Hamas zu Terror in Israel bis hin zur Waffenwahl motivieren kann. Doch während sie mit ihrer Hetze bezüglich der Al-Aqsa-Moschee erfolgreich war – schon seit Beginn des Jahres hatte sie vor einem israelischen „Sturm“ auf die Al-Aqsa-Moschee gewarnt –, stieß der Aufruf an israelische Araber auf kein Gehör. Anschläge oder auch nur ein Aufstand infolge der Rede blieben jedenfalls aus.

Sicherheitskreise sind somit auch zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei sämtlichen Terroristen um „einsame Wölfe“ handelte: Sie verübten die Anschläge auf Eigeninitiative, auch wenn die diversen Terror-Organisationen diese später für sich reklamierten. Zu einer Welle kam es wohl, weil die Terroraktionen den ein oder anderen Gewaltbereiten in seinem Vorhaben bestärkten.

Bei den ersten beiden Anschlägen in Be’er Scheva und Hadera handelte es sich um Sympathisanten des Islamischen Staates (IS). Die Terror-Organisation begrüßte zwar im Nachhinein die Taten, aber eine Anweisung dazu hatte es zuvor nicht gegeben. Abgesehen davon gehört Israel nicht zu den Prioritäten des IS; umgekehrt hat er dort sowie im Westjordanland und im Gazastreifen wenig Zulauf. Den Attentäter von Bnei Brak zählte die Fatah zu den eigenen Reihen. Den Anschlag von Ariel reklamierten die mit der Fatah verbundenen Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden für sich, aber ebenso die Isadin-al-Qassam-Brigaden der Hamas. Der Terrorist von Tel Aviv hatte laut dem Inlandsgeheimdienst Schabak keinerlei Verbindung zu einer Palästinenser-Organisation.

Komplizierte Bekämpfung

Diese Vielfalt an Hintergründen ist nicht nur ein Nebenaspekt des Geschehens. Sie erklärt auch, warum Israel Probleme hatte, die Anschläge zu verhindern. „Der Terrorwelle fehlt jegliche politische Zuordnung, und genau deshalb fällt es Israel schwer, sie zurückzudrängen“, meint der Sicherheitsexperte Doron Matza.

Tatsächlich war bei der Bewertung der Sicherheitslage oft das Wort „Verlegenheit“ zu lesen; auch die Frage nach dem Vertrauen der Israelis in den Sicherheitsapparat kam auf. Der Terrorist von Bnei Brak schlüpfte etwa durch den Sicherheitszaun, der seit Jahren Löcher aufweist. Der Attentäter von Be’er Scheva hatte bereits wegen seiner IS-Sympathien im Gefängnis gesessen; der Inlandsgeheimdienst Schabak sah in ihm keine Gefahr mehr und ließ ihn frei. Nur eine Woche nach diesem Anschlag konnten sich die Täter von Hadera unbehelligt eine Menge Munition besorgen. Die israelische Regierung und der Sicherheitsapparat werden aus diesen Versäumnissen lernen müssen, um das Sicherheitsgefühl der Israelis wieder zu stärken.

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