Einblicke in das frühe Christentum: Vom Schabbat über den Herrentag zum Sonntag

Einblicke in das frühe Christentum: Vom Schabbat über den Herrentag zum Sonntag

Kirchendächer in der Altstadt von Jerusalem. In Israel begehen Juden ihren Ruhetag am Samstag, Christen am Sonntag und Muslime am Freitag. Foto: Canva

Den siebten Tag der Woche hat Gott zum Ruhetag erklärt. Jesus als Jude und die frühen Christen hielten diesen Tag am Schabbat – wie es die Schrift gebot. Dann rückte ein weiterer Tag in den Fokus, der Herrentag, und irgendwann löste unter den Christen der Sonntag den Schabbat ab. Doch wie kam es zu dieser Entwicklung und wie ist sie einzuordnen?

Jesus hielt den Schabbat, denn das tut jeder fromme Jude. Wo es in den Evangelien Diskussionen um den Schabbat gibt, geht es nicht darum, ob man ihn hält, sondern wie. Wenn Jesus den Schabbat hielt, dann taten dies auch seine Jünger. Von daher kann man davon ausgehen, dass auch die Jerusalemer „Urgemeinde“ (die messianische Bewegung nach Ostern) den Schabbat hielt, da sie ja aus Juden bestand und in Jerusalem lebte. Die an Jesus glaubenden Juden, die sogenannten messianischen Juden, hielten über Jahrhunderte an der jüdischen Lebensweise fest und achteten somit auch den Schabbat. Nicht wenige tun dies bis heute.

Anders die sogenannten Heidenchristen, die Gläubigen aus den Völkern. Paulus hat dafür gekämpft, die nichtjüdischen Christusgläubigen nicht beschneiden zu müssen. Mit der Beschneidung entfiel die Verpflichtung, jüdisch zu leben und dies betraf prinzipiell auch den Schabbat. Allerdings unterhielten viele Christen engen Kontakt zur örtlichen Synagoge und übernahmen Elemente der jüdischen Lebensweise – die einen mehr, die anderen weniger. Bis ins 4. Jahrhundert hinein war dies verbreitet der Fall und so wurde in der frühen Christenheit häufig der Schabbat gehalten.

Schabbat und Herrentag

Von früher Zeit an rückte unter den Christusgläubigen ein weiterer Tag in den Fokus, nämlich der Tag nach dem Schabbat, der erste Tag der Woche. Dieser Tag war so bedeutungsvoll, weil dies der Auferstehungstag Jesu war (Mt 28,1; Mk 16,1- 2; Lk 24,1; Joh 20,1). Schon bald feierte man diesen Tag und nannte ihn den „Tag des Herrn“, den „Herrentag“ (Offb 1,10; Didache 14,1). Man traf sich wahrscheinlich zunächst zu Beginn dieses Tages, also am Samstagabend (vgl. Apg 20,7; 1 Kor 16,2), da im Judentum der Tag am Abend beginnt; man hielt Gottesdienste, nahm das Abendmahl und feierte die Auferstehung Jesu.

Für die Judenchristen passte dies gut, denn sie feierten tagsüber Schabbat in der Synagoge und abends den Herrentag im Kreis der Messiasgläubigen. Ähnlich taten es Heidenchristen, die engen Kontakt zur Synagoge pflegten. Andere Heidenchristen feierten nur den Herrentag. Dies galt auch für messianische Juden, die die jüdische Lebensweise ablegten, von der Synagoge ausgeschlossen wurden (vgl. Joh 16,2) oder von Heidenchristen gedrängt wurden, dem Judentum abzusagen. Bereits hier deutet sich die Trennung von Christen und Juden, von Kirche und Synagoge an.

Challa heißt das besondere Brot, das an Schabbat und anderen jüdischen Feiertagen gereicht wird. Foto: Unsplash

Noch im 4. Jahrhundert gab es christliche Stimmen, die den Schabbat schätzten. In den „Apostolischen Konstitutionen“ (um 380) heißt es: „Den Schabbat und den Herrentag verbringt in Festfreude, weil der eine das Gedenken an die Schöpfung, der andere das an die Auferstehung ist“ (VII 23,3). Doch gab es zunehmend auch das Gegenteil. Bereits im Barnabasbrief (2. Jahrhundert) wird der Schabbat verworfen. Dies geschieht dort durch eine falsche Anwendung von Jesaja 1,13, wo Gott sagt. „Eure Neumonde und Schabbate ertrage ich nicht.“ Gott sprach hier nicht gegen den Schabbat, sondern wendete sich gegen die Art, wie er begangen wurde. Der Barnabasbrief aber nutzt diese Stelle, um gegen den Schabbat zu argumentieren, und gelangt so zu seinem Ziel: „Deshalb begehen wir den achten Tag …“, also den Herrentag (Barn 15,8f), anstatt des Schabbat.

Bis ins 4. Jahrhundert hinein polemisierten Kirchenfürsten und Bischöfe wie zum Beispiel Origenes oder Chrysostomos gegen das Feiern von jüdischen Festen und das Begehen des Schabbats. Daran kann man erkennen, dass dies in der Christenheit noch verbreitete Praxis war. Zugleich gab es einen starken Trend, sich gegen das Judentum abzugrenzen, die eigene Religion (das Christentum) zu entwickeln und sich gegen die Juden zu positionieren. Das heißt: Die einen pflegten die Verwurzelung im Judentum, die anderen betrieben die Ablösung davon.

Schabbat, Herrentag und Sonntag

Ein neues Stadium der Entwicklung wurde im 4. Jahrhundert erreicht. Im Jahr 321 erließ Kaiser Konstantin zwei Erlasse, in denen er den Sonnentag (den dies solis = Tag der Sonne) zum Ruhetag im Römischen Reich erklärte. Der Sonnentag war der erste Tag der Woche, also der christliche Herrentag. Dies hat sich sprachlich ausgewirkt. In den romanischen Sprachen heißt der erste Wochentag „Herrentag“ (lat. dies dominica, von dominus = Herr, franz. dimanche, ital. domenica), während andere Sprachen an der römischen Sonnentradition anknüpfen (engl. sunday, niederl. zondag, dt. Sonntag). Christliche Theologen verbanden beide Traditionen miteinander, indem sie betonen, dass der Herr zugleich das Licht der Welt (die Sonne) ist.

Konstantins Sonnentag und der christliche Herrentag fügten sich somit problemlos zusammen – Staat und Kirche gaben sich die Hand. Die Kirche reagierte auf diese Situation, indem sie dem Sonntag einen theologischen Wert gab und verlangte, dass er geheiligt werden sollte – wie im Alten Testament der Schabbat. Die Arbeitsruhe am Sonntag wurde nun mit dem alttestamentlichen Schabbatgebot begründet. Später wurde die Entheiligung des Sonntags sogar unter Strafe gestellt. Eusebius stellt treffend fest, dass das Wesentliche des Schabbat auf den Sonntag übergegangen sei. Damit war der jüdische Schabbat endgültig abgelöst und durch den christlich-römischen Ruhetag ersetzt worden.

Abschließende Überlegungen

Ist diese Entwicklung als Segen oder als Fluch zu bewerten? Dass Konstantin einen Ruhetag eingeführt hat und dieser von der Kirche geistlich gefüllt wurde, ist für alle, die ihn halten, zweifellos ein Segen. Schmerzlich hingegen ist, dass dieser freie Tag nicht auf den Schabbat, sondern auf den Sonntag gefallen ist. Auf diese Weise löst der Sonntag den Schabbat ab. Darin liegt auch ein antijüdisches Moment. Dieser Vorgang passt in die Entwicklung der vorkonstantinischen Zeit – weg von den jüdischen Wurzeln, hin zur Ersatztheologie.

Natürlich wird es nicht möglich sein, das Rad zurückzudrehen. Als Israelfreunde werden wir weder die Kirchen noch die Regierungen bewegen können, vom Sonntag zurück auf den Samstag zu gehen. Und das ist auch nicht unbedingt nötig. Es macht nämlich durchaus Sinn, den Juden ihren Schabbat zu lassen. Denn eine wichtige Funktion des Schabbat liegt im Alten Testament darin, das Volk der Juden von den Nationen der Welt zu unterscheiden. Der weltweite christliche Sonntag macht es den Juden möglich, den Schabbat weiterhin als Unterscheidungsmerkmal zu nutzen.

Dr. Tobias Krämer verantwortet den Arbeitsbereich Theologie und Gemeinde bei CSI. Foto: CSI

Ein weiteres Argument: Der Schabbat ist nach 1. Mose 2,1-4 bereits in der Schöpfung verankert. Denn Gott selbst bestimmte den siebten Tag als Ruhetag für die Menschheit. Interessant ist nun, dass Adam und Eva am sechsten Tag geschaffen wurden und sogleich auf den Ruhetag stießen, der ja am selben Abend begann. Für sie lag der Ruhetag also am Beginn ihrer Woche, am ersten Tag. Ist die Wahl des Sonntags dann doch in Ordnung? Ich möchte so sagen: Dass wir durch Konstantin weltweit den Sonntag als Ruhetag haben, ist ein Kulturgut, für das wir dankbar sein können. Der Rhythmus von sieben Tagen scheint mir dabei wichtiger zu sein als die Wahl des Wochentags, und den Gottesdienst auf diesen Tag zu legen, macht durchaus Sinn. In dieser Perspektive könnte vielleicht auch das Halten des Sonntags heute als „Schabbatheiligung“ zählen – als Aussonderung des siebten Tags für den Herrn. Ich persönlich würde jedenfalls eher für die Erhaltung des Sonntags kämpfen als für die Verlegung auf den Samstag.

An dieser Stelle fällt nun allerdings auf, dass viele Nationen nicht nur einen Ruhetag haben, sondern zwei: Samstag und Sonntag. Es ist heute also durchaus möglich, am Samstag Schabbat zu feiern, am Herrentag aber den Gottesdienst zu besuchen – ähnlich wie viele messianische Juden es im 1. Jahrhundert taten. Dies ist eine Option, die von einigen Israelfreunden mit Gewinn genutzt wird.

Wie auch immer, der Ruhetag ist eine Gabe Gottes, und ihn geistlich zu begehen, gereicht uns zum Segen. Beides – die Gabe und den Segen – sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 134. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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