Israelische Ärztin: Kinder durften in Geiselhaft nicht duschen

Israelische Ärztin: Kinder durften in Geiselhaft nicht duschen

Kinderärztin Bron-Harlev kennt keine Präzendenzfälle für das, was die Geiseln der Hamas durchgemacht haben.
inderärztin Bron-Harlev kennt keine Präzendenzfälle für das, was die Geiseln der Hamas durchgemacht haben. Foto: i24news; Screenshot Israelnetz

Die ehemaligen Geiseln haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Vor allem bei Kindern stößt das medizinische Personal an seine Grenzen.

Ärzte tun sich schwer, eine passende Behandlungsmethode für die aus der Geiselhaft entlassenen Kinder zu finden. Denn das Massaker vom 7. Oktober und die anschließende Entführung durch die Hamas sei ein beispielloses Ereignis. Das sagte die Direktorin des Schneider-Kinderkrankenhauses in Petach Tikva, Efrat Bron-Harlev, am Montag vor Journalisten im Büro des Premierministers.

Die Ärzte hätten alles Mögliche über Kinder gelesen, die mit oder ohne Familie in Gefangenschaft waren. Aber das helfe ihnen in der aktuellen Situation nicht weiter. Bron-Harlev selbst hat jedes einzelne Kind persönlich im Hubschrauber begrüßt, das nach der Geiselhaft in ihr Krankenhaus gebracht wurde. „Sie sahen aus wie Schatten von Kindern, nicht wie Kinder.“

    „Darf ich aus dem Fenster schauen?“

    Am ersten Tag hätten die Jungen und Mädchen überhaupt nicht gesprochen oder nur geflüstert. Sie hätten sehr leise gefragt: „Dürfen wir aus dem Fenster schauen?“ oder „Darf ich die Tür öffnen?“. Mit Tränen in den Augen kommentierte die Ärztin diese Fragen: „Es ist deine Tür, Schatz. Es ist dein Bett. Du darfst jede Tür öffnen.“

    Auch die Frage „Darf ich duschen?“ sei immer wieder gestellt worden. Denn während der wochenlangen Geiselhaft hätten die Kinder entweder überhaupt nicht duschen können – oder, „wenn sie Glück hatten“, mit einem Eimer kalten Wassers.

    Nach 24 oder auch nach 48 Stunden hätten die Kinder dann zum ersten Mal gelächelt. Dieses Lächeln gebe den Ärzten viel Hoffnung – darauf, dass die ehemaligen Geiseln gemeinsam mit dem medizinischen Personal ihre furchtbaren Erlebnisse bewältigen könnten. Auf das Lächeln folgten Fragen – und die Geschichten der kleinen Patienten.

    „Ich dachte, dass jeder mich vergessen hat“

    Bron-Harlev nannte ein Beispiel von einem Mädchen. Die 13-Jährige erzählte: „Ich dachte wirklich, dass jeder mich vergessen hat. Warum dachte ich das? Weil die Hamas-Entführer mir das erzählt haben.“ Die Terroristen hätten ihr gesagt, dass sich niemand um sie kümmere, niemand sie zurückhaben wolle.

    „Du kannst die Bomben um uns herum hören. Sie wollen nur dich und uns zusammen töten“, habe die Geisel 50 Tage lang gehört. Nun müsse sie neu Vertrauen lernen, das sei nicht in ein oder zwei Tagen möglich: „Zuerst einmal muss sie glauben, dass wir nach ihr gesucht haben. Dass ihre Eltern nach ihr gesucht haben. Dass wir uns um sie gesorgt haben.“

    Sie selbst habe Erinnerungen an Kindheitserlebnisse im Alter von drei oder vier Jahren, sagte die Ärztin – an gute und schlechte Dinge. Das Team im Schneider-Kinderkrankenhaus wolle erreichen, dass die Erinnerung an die Geiselhaft die freigelassenen Jungen und Mädchen zu besseren und stärkeren Menschen macht und nicht ihr Leben ruiniert. Das sei die wichtigste Aufgabe der Therapie.

    Bron-Harlev ging auch auf Bilder ein, auf denen das Wiedersehen von Geiseln mit ihren Familien zu sehen war. Das Kind lächele dabei in die Kamera. „Dies ist ein apathisches Kind mit einem Lächeln, mit Hoffnung, mit einer Zukunft. Aber was diese Kinder durchgemacht haben, ist schlicht unvorstellbar.“

    Auch der Direktor des Safra-Kinderkrankenhauses in Tel HaSchomer bei Tel Aviv, Itai Pessach, äußerte sich vor der Presse. Er habe das Bedürfnis, das Schreien der freigelassenen Kinder hörbar zu machen, sagte er laut der Onlinezeitung „Times of Israel“. „Die Welt muss wissen, wie böse und grausam das Verhalten der Hamas ist.“ Die Berichte der ehemaligen Geiseln seien schwer zu ertragen.

    Geiseln vor Freilassung unter Medikamente gesetzt

    Unterdessen sagte ein Onkel des zwölfjährigen Jagil und des 16-jährigen Or Ja’akov, die beiden Brüder hätten vor ihrer Freilassung Beruhigungsmittel erhalten. Janiv Ja’akov äußerte sich am Montag bei einer Veranstaltung mit Außenminister Eli Cohen (Likud) in Nordmazedonien.

    Seine Darstellung bestätigte eine Mitarbeiterin des israelischen Gesundheitsministeriums am Dienstag. Die Leiterin der Ernährungsabteilung, Ronit Endevelt, sagte vor dem Gesundheitsausschuss der Knesset, die Geiseln hätten ruhig, froh und euphorisch wirken sollen. Sie nannte Clonazepam, das in Israel als Clonex bekannt ist. In anderen Ländern ist das Mittel als Klonopin und Rivotril auf dem Markt. Es dient zur Vorbeugung und Behandlung unter anderem von Angststörungen, Krampfanfällen, Psychosen und Zwangsneurosen.

    Der Onkel der beiden Jungen erzählte zudem, Terroristen hätten die Jungen nach der Geiselnahme mit dem Auspuffrohr eines Motorrades gebrandmarkt. Im Falle einer Flucht wollte die Hamas sie mittels der Brandwunde am Bein finden können.

    Eine Tante der 21-jährigen Mia Schem, die am Donnerstag freikam, sprach über die Erlebnisse ihrer Nichte. Diese war vom Nova-Musikfestival verschleppt worden. Offenbar wurde ihr dabei in den Arm geschossen. Ein palästinensischer Tierarzt habe sie im Gazastreifen am Arm operiert. Die Nichte habe dann eigenständig eine Physiotherapie gemacht, sagte Vivian Hadar. (Israelnetz)

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