Jesaja, der Jesus-Prophet

Jesaja, der Jesus-Prophet

„Denn uns wurde ein Kind geboren, uns wurde ein Sohn geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft.“ (Jesaja 9,5) Foto: Canva

Jesaja ist ein besonderer Prophet. Nicht nur, weil sein Buch einen gewaltigen Umfang hat. Es hat auch inhaltlich eine enorme Bandbreite und führt direkten Weges zu Jesus hin. Das zeichnet diesen Propheten aus und lohnt ein genaueres Hinschauen.

Die Propheten des Alten Testaments sind in der Regel zu Israel gesandt. Sie benennen konkret, wo Sünde vorliegt, und rufen zur Umkehr. Unter strichen wird diese Botschaft durch Ankündigungen von Strafandrohungen (Gericht). Diese wiederum sind nicht Gottes letztes Wort. Deshalb geben die Propheten häufig auch Heilsverheißungen weiter. Am Ende, darin sind sich die Propheten einig, steht Gottes Heil für Israel – eine bemerkenswerte Perspektive.

Einige der Propheten kommen am Rande auch auf die Völker zu sprechen. Bei Jesaja aber ist die Völkerperspektive stark ausgeprägt; der Prophet hat einen globalen Horizont. Das gibt dem Buch seine Weite und Größe. Doch findet sich noch ein anderer Schwerpunkt. Auffallend häufig spricht der Prophet von einer kommenden Person, die Gott in ganz besonderer Weise gebrauchen wird. Es handelt sich um einen Gesalbten, einen Retter, einen Gottesknecht, ja einen Stellvertreter Gottes. Die entsprechenden Texte werden häufig messianisch ausgelegt. Das tut auch das Neue Testament und bezieht jene Texte auf Jesus. Aus christlicher Sicht ist dies offensichtlich; für Juden ist die Frage, wer gemeint ist, jedoch offen. Auf einige dieser Texte möchte ich eingehen. Sie erschließen die Person und das Wirken Jesu in einzigartiger Weise.

Ein Kind wird uns geboren

Die Evangelien des Neuen Testaments berichten alle vom Wirken Jesu in Israel. Zwei Evangelisten – Matthäus und Lukas – kommen aber auch auf Jesu Kindheit, Geburt und Zeugung zu sprechen. Dabei wird deutlich: Jesus ist kein gewöhnlicher Mensch. Davon spricht bereits Jesaja.

Seht! Die Jungfrau wird ein Kind erwarten! Sie wird einem Sohn das Leben schenken und er wird Immanuel genannt werden. Das heißt: Gott ist mit uns. (Jesaja 7,14)

In Jesaja 7,14 wird ein besonderes, ja einzigartiges Kind erwartet: eines, das von einer Jungfrau geboren wird. Das hebräische Wort für Jungfrau (calmah) ist nicht ganz eindeutig. Es kann Jungfrau oder junge Frau heißen. Doch bereits die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die Septuaginta, entscheidet sich für „Jungfrau“ (griech. parthénos) und in dieser Form wird der Vers bei Matthäus aufgegriffen und auf Jesus bezogen (Matthäus 1,23). Das heißt: Die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria wird als Erfüllung von Jesaja 7,14 verstanden.

Das Besondere dieses Kindes besteht jedoch nicht nur in seiner Geburt, sondern vor allem in seinem Namen: Immanuel. Dieser Name ist Programm und bedeutet: Gott mit uns. Jesus ist dieser Immanuel. Durch ihn ist Gott tatsächlich „mit uns“. Jesus sorgt dafür, dass aus Gottlosen Gotteskinder werden und dass uns der ferne Gott zum persönlichen Vater wird. Die Botschaft: „Komm zu Jesus, dann kommst du zu Gott.“ Denn Jesus ist der Weg zum Vater (Johannes 14,6). Das macht Jesus aus.

Denn uns wurde ein Kind geboren, uns wurde ein Sohn geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft. Er heißt: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Seine Herrschaft ist groß und der Frieden auf dem Thron Davids und in seinem Reich wird endlos sein. (Jesaja 9,5-6)

Von dem Neugeborenen aus Jesaja 7 spricht auch Jesaja 9,5-6. Jener kleine Bub wird dort als Gottesgeschenk gesehen, denn er hat die Herrschaft inne. Nicht eine Herrschaft, sondern die Herrschaft, also die Herrschaft Gottes. Auch das kann man an Jesus sehen. Nicht umsonst ist Jesus Repräsentant der Gottesherrschaft; und das Reich Gottes, das durch Jesus anbricht, gehört zu den großen Themen Jesu. Die Perspektive ist gewaltig: ewiger Friede, in Israel wie auch weltweit. Entsprechend eindrücklich sind die Namen, die jenem Kind beigelegt werden: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Diese Namen bringen Jesu Einzigartigkeit zum Ausdruck. Doch ist auch etwas über seine Herkunft bekannt?

Aus dem Stumpf Isais wird ein Spross hervorgehen – ein neuer Zweig aus seinen Wurzeln wird Frucht tragen. Auf ihm wird der Geist des HERRN ruhen – der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Macht, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. (Jesaja 11,1-2)

Eine weitere messianische Weissagung findet sich in Jesaja 11,1-2. Dort wird der Messias auf Isai, den Vater Davids, die Wurzel des größten Königs Israels, zurückgeführt. Isai ist hier allerdings nur ein „Stumpf“, kein mächtiger Baum. Dies trifft historisch tatsächlich zu. Denn in den Jahrhunderten vor Jesus ist von dem Königsgeschlecht Davids kaum etwas übrig. Doch der Stumpf lebt! Und er bringt Jesus hervor: einen Zweig, der Frucht tragen wird, und was für eine Frucht! Auf Jesus ruht der Geist des Herrn. Er ist von Gottes Geist erfüllt, er wirkt aus diesem Geist heraus und gibt ihn nach Pfingsten weiter. Aus christlicher Sicht ist es Jesus, der jener Nachkomme Davids ist und der den Geist in seiner ganzen Fülle hat. S mit ist auch Jesaja 11,1-2 ein Hinweis auf Jesus.

Nazareth ist für seine christliche Geschichte bekannt. Hier hielt Jesus vor rund 2000 Jahren seine „Antrittspredigt“. Heute ist die Stadt mehrheitlich muslimisch. Foto: Canva

Der Messias kommt

Bei Jesaja ist noch nicht ausdrücklich vom Messias die Rede. Denn die Erwartung eines Messias entsteht erst in der Zeit zwischen den Testamenten. Die Weissagungen, die zur Messias-Erwartung hinführen, finden sich aber bereits im ersten Teil der Bibel und bilden deren Substanz. Eine hochinteressante Stelle ist in diesem Zusammenhang Jesaja 40,3-5. Dieser Text wird in allen vier Evangelien als Weissagung auf Johannes den Täufer verstanden (Matthäus 3,3; Markus 1,3; Lukas 3,4; Johannes 1,23). Aus neutestamentlicher Sicht wird also nicht nur Jesus prophetisch vorhergesagt, sondern auch der Täufer Johannes – und zwar von Jesaja, dem größten Propheten Israels! Das mag überraschen, doch als Wegbereiter Jesu hat Johannes eine absolute Sonderstellung.

Dies ist aber noch nicht alles. Sogar die Taufe Jesu findet sich bei Jesaja. In Jesaja 42,1 heißt es: „Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.“ Auf diese Stelle bezieht sich Gott, als er im Zuge der Taufe über Jesus sagt, dass er an ihm „Wohlgefallen“ hat (vergleiche Markus 1,11 und Parallelen). Das Wort Wohlgefallen bildet eine Stichwortverbindung.

Gott selbst zeigt also an, dass das, was in der Taufe Jesu geschieht, Jesaja 42,1 entspricht. Und was passiert dort? Gottes Auserwählter bekommt Gottes Geist („ich habe ihm meinen Geist gegeben“); er bekommt eine Geistsalbung, eine Geistausrüstung beziehungsweise Ausstattung mit Heiligem Geist, die einzigartig ist. Genau das ist es, was bei Jesu Taufe geschieht: Jesus empfängt den Geist Gottes, der in Form einer Taube auf ihn herabkommt. Es handelt sich um die Salbung Jesu zum Messias, die Geistausstattung zum messianischen Dienst. Deshalb geht Jesus nach der Taufe nicht mehr zurück in seinen Beruf, sondern beginnt, als Messias zu wirken. Erstaunlich ist, dass schon Jesaja von dieser Geistausstattung, von dieser einzigartigen Geistsalbung spricht. Angesichts dessen überrascht es wenig, dass auch das messianische Wirken Jesu bei Jesaja zu finden ist.

Der Geist des HERRN ruht auf mir, denn der HERR hat mich gesalbt, um den Armen eine gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, um die zu heilen, die ein gebrochenes Herz haben, und zu verkündigen, dass die Gefangenen freigelassen und die Gefesselten befreit werden. (Jesaja 61,1)

Diese Worte sind bekannt. Jesus zitiert sie bei seiner „Antrittspredigt“ in der Synagoge von Nazareth, wo er die Ehre hat, aus der Schrift vor lesen zu dürfen (Lukas 4,16-21). Jesus lässt sich die Jesaja-Rolle reichen und rollt diese bis zu Jesaja 61 auf (das sind mehrere Meter Pergament). Dann liest er: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.“ Genau das ist bei der Taufe Jesu geschehen! Jesus wird mit Heiligem Geist gesalbt und folglich ruht Gottes Geist (die Messias-Salbung) auf ihm. Deshalb kann Jesus unmissverständlich sagen: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren“ (Lukas 4,21). Im Früh-judentum gibt es keine einheitliche Sicht über den Messias. Für Jesus ist jedoch klar, dass Jesaja 61,1 das Programm enthält, das für ihn maßgeblich ist. Entsprechend sieht sein Wirken aus. Was das aber letztendlich bedeutet, ist unfassbar und führt zum Tiefpunkt des Weges Jesu.

Er nahm unsere Krankheiten auf sich und trug unsere Schmerzen. Und wir dachten, er wäre von Gott geächtet, geschlagen und erniedrigt! Doch wegen unserer Vergehen wurde er durchbohrt, wegen unserer Übertretungen zerschlagen. Er wurde gestraft, damit wir Frieden haben. Durch seine Wunden wurden wir geheilt! (Jesaja 53,4-5)

Selbst das Herzstück der messianischen Sendung Jesu wird von Jesaja thematisiert: Jesu stellvertretendes Sterben am Kreuz. Jesu Tod ist nicht nur ein Justizirrtum. Er geschieht für uns, für unsere Erlösung. Am Kreuz trägt Jesus unsere Krankheiten und unsere Schmerzen, auf ihm liegen unsere Vergehen und Übertretungen, er übernimmt unsere Strafe. Was uns plagt, nimmt er auf sich. Er – für uns. Uns bringt dies Frieden und Rettung; ihm bringt es den Tod. Hier zeigt sich die größte Liebe, die man sich nur denken kann. Sie gilt aber nicht nur Israel, sondern der ganzen Welt (Johannes 3,16). Auch davon spricht Jesaja.

Es genügt nicht, dass du mein Diener bist, nur um die Stämme Israels wieder aufzurichten und Israel zur Umkehr zu führen. Ich mache dich auch zum Licht für die Völker und zur Rettung für die ganze Welt. (Jesaja 49,6)

Auf den ersten Blick scheint dieser Text im Widerspruch zum Selbstverständnis Jesu zu stehen. Denn Jesus sagt unmissverständlich: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Matthäus 15,24). Jesus konzentriert sich auf Israel und lässt die Heiden gewissermaßen links liegen. Was Jesus aber am Kreuz getan hat, gilt nicht nur Israel – es gilt allen Menschen! Sosehr sich Jesus in seinen Erdentagen auf Israel fokussiert hat, sosehr wirkt das Evangelium unter allen Völkern der Welt. Es ist Jesus, der – wie Jesaja 49,6 es ausdrückt – „Licht für die Völker“ und „Rettung für die ganze Welt“ ist. Das ist inzwischen millionenfach erwiesen. Allerdings gibt es hier ein Problem: Wie erfahren die Völker von Jesus?

Einige der Geretteten schicke ich als Botschafter zu den Völkern, die von meinem Ruhm noch nicht gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Dort werden sie den Völkern meine Herrlichkeit verkündigen. (Jesaja 66,19)

Es ist von jeher jüdische Praxis, sich von der Welt abzusondern, um Gott dienen zu können. In der messianischen Zeit muss sich dies aber ändern. Denn wie sollen die Völker von Gott und seinem Messias erfahren, wenn kein Jude zu ihnen kommt und berichtet? Wie sollen die Heiden zum Glauben ans Evangelium kommen, wenn es ihnen nicht verkündigt wird? Auch daran denkt Gott und kündigt bei Jesaja seinen Plan an. Gott schickt „Botschafter zu den Völkern“, die von ihm erzählen: von Gott selbst und was er durch den Messias Jesus getan hat. Paulus sieht sich als so einen Botschafter an. Unter Einsatz seines Lebens bringt er das Evangelium zu den Völkern. Seither läuft es um den Erdkreis und gelangte bis zu Ihnen und zu mir.

Ein Blick in die Zukunft

Bleibt noch, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Auch das tut Jesaja, wo er von einem ewigen Friedensreich, einer neuen Erde, der Vernichtung des Todes und von der zukünftigen Herrlichkeit Israels spricht (Jesaja 2; 9; 11; 25; 49,60-61; 65-66). Diese Verheißungen lassen sich gut mit der Wiederkehr Jesu verbinden (vergleiche Römer 8; 1. Korinther 15) und zeigen, welche Zukunft Gott vorbereitet hat. Jesaja lässt einfach nichts aus. Seine Ausführungen reichen bis in die Ewigkeit hinein. Was an Weihnachten begann, wird zur Zukunft der Welt und war schon Jahrhunderte vorher verheißen. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man als Christ Jesaja liest. Nichts kann uns mehr Hoffnung geben als die Botschaften dieses Ausnahme-Propheten.

In diesem Sinn: frohe Weihnachten!

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 135. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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