„Ohne euch wäre unsere Ernte verloren“: Ein Tag als Erntehelferin in Südisrael

„Ohne euch wäre unsere Ernte verloren“: Ein Tag als Erntehelferin in Südisrael

Freiwilligeneinsatz bei der Clementinen-Ernte: CSI-Redaktionsleiterin Dana Nowak (r.) mit Julie aus den USA. Foto: privat

In ganz Israel fehlen seit dem 7. Oktober 2023 Arbeiter in der Landwirtschaft. Felder und Gewächshäuser liegen brach. Doch es ist die Zeit der Ernte – es gibt reichlich Clementinen, Orangen, Zitronen, Erdbeeren, Blumenkohl und anderes Obst und Gemüse. Die Hoffnung der Farmer ruht auf den vielen Freiwilligen aus aller Welt, die kommen, um Israel in dieser schweren Zeit zu helfen. Auch unsere Redaktionsleiterin Dana Nowak ist in Israel, um verschiedene Hilfsprojekte zu unterstützen. An dieser Stelle berichtet sie von ihrem Einsatz als Erntehelferin. 

Bevor ich mich mit meinem Mietauto auf den Weg nach Südisrael mache, lese ich mir noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen des israelischen Heimatschutzes bei Raketenalarm durch: „Halten Sie am Straßenrand, verlassen Sie das Fahrzeug und begeben Sie sich in einen Schutzraum oder das Treppenhaus eines nahegelegenen Gebäudes. Wenn Sie innerhalb der möglichen Zeit keinen Schutzraum erreichen können, verlassen Sie Ihr Fahrzeug, entfernen Sie sich davon, legen Sie sich auf den Boden und schützen Sie Ihren Kopf mit Ihren Händen.“

Seit Monaten gibt es fast täglich Raketenalarm. Im Norden wird Israel von der schiitischen  Hisbollah-Miliz aus dem Libanon beschossen, im Süden von der Hamas aus dem Gazastreifen. Nach drei Monaten Krieg verfügt die dort regierende Terror-Organisation offensichtlich noch immer über ein beachtliches Raketenarsenal.

Je näher ich dem Grenzgebiet zum Gazastreifen kommen, desto schlechter werden die Straßen. Die Panzer und schweren Militärfahrzeuge, die hier in den vergangenen Wochen unterwegs waren, haben tiefe Furchen im Asphalt hinterlassen.

Nach knapp zwei Stunden Fahrt von Jerusalem komme ich pünktlich um 8:30 Uhr am verabredeten Treffpunkt in Talmei Yosef an. Der Moschav am Rande der Negev-Wüste befindet sich rund acht Kilometer von der ägyptischen Grenze und etwas mehr als sieben Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt – und damit in Reichweite der palästinensischen Kassam-Raketen. Seit dem 7. Oktober 2023 ist der kleine Ort fast menschenleer, viele der 90 Familien wurden evakuiert. Einige Landwirte sind geblieben, für sie steht ihre Existenz auf dem Spiel. 

„Gut zu hören, dass wir solche Freunde haben“

„Wohin möchtest du?“, fragen mich die Reservisten, die den Eingang des Moschavs bewachen. „Ich bin mit Uri verabredet, der den Freiwilligeneinsatz in der Landwirtschaft koordiniert“, antworte ich. „Du kannst hier bei uns warten, möchtest du Kaffee? Woher kommst du?“ Als die drei Wachmänner hören, dass ich aus Deutschland komme und hier bin, um Israel in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen, sind sie berührt. „Bist du jüdisch?“, fragen sie und staunen, als ich erkläre, dass ich Christin bin und für eine Organisation arbeite, die an der Seite Israels steht und viele Projekte im Land unterstützt. „Wow, vielen Dank! Danke, dass du das machst, das tut gut zu hören, dass wir solche Freunde haben. Pass auf dich auf!“ Dann kommt Uri und wir fahren ein paar Hundert Meter weiter zu einem großen Gewächshaus, wo wir auf die anderen freiwilligen Helfer warten. 

„Der Bus ist in einer Minute da“, sagt Uri, nachdem er den Busfahrer angerufen hat. Ich frage ihn, wie es ihm nach dem 7. Oktober geht. „Ich bin ok. Aber 20 meiner Freunde sind tot. Sie haben sie in ihren Häusern abgeschlachtet“, erzählt Uri und zündet sich die x-te Zigarette an. Die aktuelle Situation nimmt ihn sichtlich mit. Zehn Minuten später ruft er wieder den Busfahrer an. „In einer Minute sind sie da.“ Diesmal stimmt es. Kurz darauf trifft ein Bus ein und etwa acht Freiwillige steigen aus. Sie kommen aus Schweden, den USA und Israel. Die meisten der Männer und Frauen sind Juden und extra nach Israel gekommen, um zu helfen. 

„Ohne Freiwillige wie euch wären wir verloren“

Dann begrüßt uns Bauer Yuval. Er hat keine Arbeiter mehr auf seinem Hof. Die Gastarbeiter aus den Philippinen und aus Thailand haben das Land verlassen. Palästinenser aus dem Gazastreifen kommen nach dem 7. Oktober nicht mehr als Arbeiter in Frage. „Danke, dass ihr da seid – ohne Freiwillige wie euch wären wir verloren“, sagt er und erklärt, was zu tun ist. Die abgestorbenen Tomatenpflanzen müssen mit den Wurzeln herausgerissen werden, damit die Gewächshäuser neu bestellt werden können. Da hier seit Monaten niemand gearbeitet hat, steht das Unkraut meterhoch. Wir kämpfen uns also durch diesen Dschungel und reißen aus dem staubtrockenen Boden die verdorrten Pflanzen heraus. Die Arbeit ist schweißtreibend und anstrengend. Nachdem Yuval die Tröpfchenbewässerung aufgedreht hat, geht es etwas besser. 

Wir schaffen das halbe Gewächshaus, dann wird einigen aus der Gruppe die Arbeit doch zu anstrengend; sie geht schon auf den Rücken. Und so wechseln wir nach drei Stunden den Einsatzort und fahren zur Clementinen-Ernte in den nur wenige Kilometer entfernten Moschav Yesha. Andere Volontäre werden unsere Arbeit übernehmen.

Ich freue mich über den Wechsel – hatte ich doch darauf gehofft, beim Ernten von Früchten helfen zu können. Aber es fehlen eben überall in der Landwirtschaft Arbeiter und den Einsatzort erfahren die Helfer meist erst vor Ort. Wer den Landwirten wirklich helfen will, sollte nicht wählerisch sein. 

Clementinen-Ernte am Rande des Kriegsgebietes

In dem riesigen Clementinen-Hain nimmt uns eine junge Frau in Empfang, Yael. Hier sind schon jede Menge Freiwillige fleißig bei der Ernte. Jeder von uns Neuankömmlingen bekommt eine kleine Gartenschere und eine Umhängetasche. „Den Stiel müsst ihr ganz dicht an der Frucht abknipsen, damit beim Transport keine anderen Früchte beschädigt werden“, erklärt Yael. Dann machen wir uns an die Arbeit. Die Bäume hängen voller reifer Früchte und ich leere eine Tasche nach der anderen in die riesige Sammelkiste. Hin und wieder stärke ich mich an dem kleinen Stand, der zur Versorgung der Volontäre aufgebaut wurde. Hier gibt es Kaffee, Tee, Wasser, Kekse und natürlich Clementinen. In einer Kiste befinden sich Gehörschutzstöpsel. Wir hören in unregelmäßigen Abständen die donnernden Bombeneinschläge aus dem Gazastreifen. „Keine Angst, das sind unsere“, sagt Yael. 

Yael, die den Einsatz koordiniert, und Landwirt Elad.

Zwischendurch kommt Elad, der Besitzer der Farm vorbei. Er bedankt sich gerührt für die Hilfe. „Ohne euch Volontäre wäre unsere Ernte verloren. Ich habe fast keine Arbeiter mehr, aber Hunderte Bäume voller reifer Früchte. Wir bauen hier sieben verschiedene Sorten Clementinen an“, erzählt er. In seinen mehr als 100 Gewächshäusern liegt die Arbeit brach, da sei schon Vieles verloren, sagt Elad. Seine Familie geht durch schwere Zeiten – wie so viele Menschen in Israel. Am 7. Oktober haben Terroristen seine Schwiegereltern ermordet. Seine Schwester, Shiri Bibas, befindet sich mit ihrem Mann und den zwei kleinen Kindern noch immer in den Händen der Hamas im Gazastreifen. Von ihnen fehlt bisher jedes Lebenszeichen.

Die Ernte ist reich, doch es gibt zu wenig Arbeiter.

Kurz nach 15 Uhr ruft Yael die Freiwilligen zusammen. Der Bus steht für die Rückfahrt bereit. Mit Juden aus Großbritannien und Schweden stehe ich vor dem letzten Baum, der noch abgeerntet werden muss. Wir wollten nicht eher gehen, bis wir die ganze uns zugeordnete Reihe geschafft haben. Aber der Busfahrer drängt und so müssen wir schweren Herzens die Arbeit niederlegen. „Danke, dass du in dieser Zeit nach Israel gekommen bist. Danke, dass ihr an unserer Seite steht. Pass auf dich auf“, verabschiedet sich Salomon aus Schweden von mir und steigt in den Bus. Ich steige in mein Auto. Ich möchte dem Bus folgen, sonst verirre ich mich womöglich noch auf dem riesigen Hain von 300.000 Quadratmetern Fläche. Plötzlich kommt Salomon noch einmal zurück. Er schenkt mir einen Anstecker in Form einer kleinen gelben Schleife – das Symbol für Solidarität und Unterstützung. Zur Zeit wird es in Israel zu Ehren der von der Hamas verschleppten Geiseln getragen. Ich mache mich die mehr als 140 Kilometer auf den Heimweg nach Jerusalem. Es war ein anstrengender Tag, aber jede Mühe wert und ich wäre gerne noch länger geblieben. Als ich in meiner Wohnung ankomme, meldet sich auf meinem Handy doch noch die Warn-App „Zeva Adom“: Raketen in Richtung Mefalsim, Südisrael.

Die App „Red Alert“ (Roter Alarm) warnt vor Raketenangriffen und Terrorgefahr. Foto: Handy-Screenshot Dana Nowak
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