Römer 9-11 im Schnelldurchlauf (Teil 1): Ganz Israel wird gerettet werden

Römer 9-11 im Schnelldurchlauf (Teil 1): Ganz Israel wird gerettet werden

Für Juden ist es ein Privileg, die Tora, die Weisungen Gottes, zu besitzen. Foto: edelmar | Canva

Von Pastor Tobias Krämer

Paulus kann viel aushalten. Aber eine Frage macht ihm wirklich zu schaffen: Warum findet das Evangelium so wenig Anklang im jüdischen Volk? Wie ist es nur möglich, dass Israel am Messias Jesus vorbeigeht? Hat Gott sein Volk am Ende gar aufgegeben und wendet sich nun den Heiden zu? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach zu finden. Sie erfordern gründliche Arbeit mit der jüdischen Bibel (dem sogenannten Alten Testament). Diese Arbeit leistet Paulus in Römer 9 – 11. In diesem ersten Artikel der dreiteiligen Serie blicken wir genauer auf Römer 9.

Am Anfang von Römer 9 spricht Paulus von sich selbst: „Mein Herz ist erfüllt von tiefem Schmerz und großer Trauer.“ Wie wenn man den Partner oder ein Kind verloren hat. Warum fühlt sich Paulus so? Weil sein Volk, seine jüdischen Geschwister nicht zu Jesus gefunden haben und Gefahr laufen, verloren zu gehen. Paulus treibt das emotional um. Deshalb will er nun klären, wie es um die Juden bestellt ist. Zunächst zählt er alles auf, was er über die Juden sagen kann (Römer 9,4+5). Die Juden sind nämlich ein herausragendes Volk. Sie sind Israeliten – ein Ehrentitel. Und sie sind geistlich regelrecht begütert. Ihnen gehört:

Die Kindschaft. Nach 5. Mose 14,1 sind die Juden „Kinder des Herrn, eures Gottes“. In Hosea 11,1 nennt Gott Israel „meinen Sohn“ und in 2. Mose 4,22 sogar „meinen erstgeborenen Sohn“. Das Konzept, dass Menschen Kinder Gottes werden können, hat Gott mit Israel entwickelt. Dort gehört es hin. Dass wir Christen daran teilhaben dürfen, ist ein Grund zur Dankbarkeit, steht aber auf einem anderen Blatt.

Die Herrlichkeit Gottes. Sie ist dort zu finden, wo Gott wohnt, und das ist ursprünglich in der Mitte seines Volkes Israel (2. Mose 29,42-46). Man kann an die Stiftshütte denken und den Tempel, aber auch an die Exilszeit, denn die Herrlichkeit Gottes ging mit Israel ins Exil (Hesekiel 10; 11,22-24). Und natürlich ist Gottes Herrlichkeit im Messias Jesus gegenwärtig (Johannes 1,14).

Die Bündnisse. Die Bündnisse hat Gott mit Israel geschlossen. Am Anfang steht der Abrahamsbund (1. Mose 12,1-3), der über Isaak und Jakob zu Israel führt. Es folgen der Mosebund am Sinai (2. Mose 20) und der Davidsbund, der sich im Messias erfüllt (2. Samuel 7,13). Nicht zuletzt ist an den neuen Bund zu denken (Jer 31,31-34). Der neue Bund dient der Wiederherstellung Israels, ist aber zugleich der Anknüpfungspunkt für uns Christen.

Die Tora. In der christlichen Tradition wird Tora meist mit Gesetz übersetzt und hat einen ausgesprochen negativen Klang. Für die Juden ist es jedoch ein Privileg, die Tora (die Weisungen) Gottes zu besitzen – als einziges Volk weltweit (Ps 119). Sie feiern sogar jedes Jahr ein Fest zu Ehren der Tora: Simchat Tora (Freude an der Tora).

Der Gottesdienst. Hinter dem Begriff Gottesdienst steht eine Menschheitsfrage: Wie kann man Gott dienen, wie Kontakt herstellen und Beziehung zu ihm pflegen? Diese Frage kann nur Gott selbst beantworten und er tut es in der jüdischen Bibel. Darauf baut das Neue Testament auf und zeigt, wie durch den Messias Jesus auch Nichtjuden Zugang zu Gott bekommen und ihm dienen können.

Die Verheißungen. Alle Verheißungen der Bibel hat Gott Israel gegeben. Sei es das Land, reiche Nachkommenschaft, Wohlergehen, der Messias, der Heilige Geist, das ewige Leben, die Auferstehung der Toten, der neue Himmel und die neue Erde. Gott hat sie verschiedenen Personen gegeben: Abraham, Mose, den Propheten, Jesus, den Aposteln. Sie alle waren Juden. Doch sind von Anfang an auch die Völker im Blick (1. Mose 12,1-3). Nichtjuden kommen also nicht zu kurz, sondern haben Anteil daran (Epheser 2,11-22).

Die Väter. Gemeint sind die Väter Israels: Abraham, Isaak und Jakob. Mit ihnen beginnt alles, was Israel ausmacht, vor allem die Bundes-, Erwählungs- und Offenbarungsgeschichte. Mit Abraham beginnt Gott, Geschichte zu schreiben: die Heilsgeschichte. Das ist die Geschichte, die bei Abraham anfängt, über Israel zu Jesus läuft und schließlich in Offenbarung 22 enden wird. Der Anfang aber liegt in der Prärie, bei einem einfachen Nomaden: Abraham.

All das gilt auch heute noch. Der krönende Abschluss ist, dass aus Israel der Messias kommt, der König Israels und Erlöser der Welt. Was für ein besonderes Volk! Umso erschütternder ist, dass Israel seinen Messias ablehnt. Ist nun alles dahin? Natürlich nicht! (Römer 11,1+11) Wie aber ist die Situation dann zu verstehen?

Das Nein der Erwählten

Um Israels Nein zu Jesus einordnen zu können, geht Paulus ganz an die Anfänge zurück. Dort kann man sehen, dass nicht jeder, der ein leiblicher Nachkomme Abrahams ist, auch in der Verheißung Abrahams steht. Übertragen auf die Fragestellung des Paulus heißt das: Einige Juden sind von Gott ausersehen, zum Glauben an Jesus zu kommen, andere nicht. Und das ist ja auch genau die Erfahrung, die Paulus macht: Manche Juden nehmen Jesus an, die meisten aber nicht. Dass das schon immer so war, zeigt Paulus anhand der Vätergeschichte. Da ist zunächst das Geschwisterpaar Ismael und Isaak. Ismael ist Abrahams erstgeborener Sohn, aber Isaak ist der Sohn der Verheißung. Also läuft die Verheißungslinie über Isaak, nicht über Ismael. Dasselbe geschieht eine Generation später bei Jakob und Esau. Esau ist der Erstgeborene, aber auf Jakob liegt die Verheißung. Jakob ist Gottes Mann, nicht Esau. Aus dieser Linie heraus – Abraham, Isaak, Jakob – entsteht das Volk Israel, Gottes Volk.

Auch in der Geschichte Israels gab es immer dieses Muster: Einige hielten den Bund und führten die Linie weiter, andere brachen ihn. In der Zeit des Paulus ist es wieder so: Einige kommen zum Glauben an das Evangelium, andere nicht. All das ändert nichts an Gottes Beziehung zu Israel. Der Bund und die Erwählung bleiben. Und es gibt auch immer den „Rest“; das sind diejenigen, die mit Gott unterwegs bleiben und Träger der Verheißungen sind. Gottes Geschichte mit Israel geht weiter. Die Frage ist nur, wann und wie Israel aus dieser inneren Zerrissenheit herausfindet. In Römer 11 wird Paulus diese Frage beantworten.

Ein Ausblick

In Römer 10 kommt Paulus zunächst auf die Tora zu sprechen. Die Frage ist, wie das Evangelium und die Tora zusammengehören. Eines nehme ich vorweg: Es ist nicht so, dass das Evangelium die Tora abgelöst hätte, so dass sie für Christusgläubige keine Rolle mehr spielt. Wenn man die Tora abstoßen würde, dann würde man etwas verlieren, das nach Paulus „heilig, gerecht und gut“ ist (Römer 7,12). Das kann´s in einer unheiligen, ungerechten und oft schlechten Welt nicht sein. Es muss sich also anders verhalten – und das werden wir im nächsten Teil sehen.

Die dreiteilige Serie ist als Faltblatt „Kompakt verpackt # 10“ in unserem Shop erhältlich.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 129. Teil 2 der Serie lesen Sie in der kommenden Ausgabe von „Israelaktuell“. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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