Zeitzeugen zum Jom-Kippur-Krieg: „Ein Krieg, der das Volk verändert hat“ (3)

Zeitzeugen zum Jom-Kippur-Krieg: „Ein Krieg, der das Volk verändert hat“ (3)

Dror Sofer war Panzer-Kommandeur im Bataillon 53 an der syrisch-israelischen Grenze. Alle Fotos: privat

Der Jom-Kippur-Krieg 1973 hat sich als tiefer Schmerz in die israelische Seele eingegraben. Für Israel völlig unerwartet hatten syrische und ägyptische Truppen den jüdischen Staat an seinem höchsten Feiertag überfallen. Israel stand am Abgrund. Christen an der Seite Israels (CSI) hat Zeitzeugen gefragt, wie sie diesen Tag erlebt haben. In dieser dreiteiligen Serie erzählen sie ihre bewegenden Geschichten.

Als der Jom-Kippur-Krieg am 6. Oktober 1973 begann, leistete Dror Sofer gerade seinen dreijährigen militärischen Pflichtdienst. Der damals 20-Jährige war Panzerkommandeur in der dritten Kompanie des 53. Bataillons in der 188. Brigade der Militär-Panzereinheit Shirion an der israelisch-syrischen Grenze. Noch heute hat er die damaligen Geschehnisse lebhaft vor Augen:

„Am 13. September 1973, etwa drei Wochen vor Kriegsbeginn, kam es zu einem kurzen Luftkrieg zwischen Israel und Syrien“, erzählt Dror. „Obwohl der Schaden nicht sonderlich groß war und sich im Rahmen der sonstigen Scharmützel zwischen israelischen und syrischen Militärs bewegte, lag doch eine gewisse Spannung in der Luft.“ Man begann, sich auf einen größeren Zusammenstoß vorzubereiten. Dafür wurden zwei Bataillone aus der 7. Panzerbrigade noch im September in Richtung Golanhöhen verlegt. Auch Dror und sein Team, die sich zu der Zeit auf einem einwöchigen, vom Militär finanzierten Urlaub befunden hatten, wurden am 13. September abgezogen. Sie wurden in Khishniyah, einem strategisch wichtigen Ort auf den Golanhöhen, stationiert. Dort sollten sie auf die Anlieferung ihrer Panzer warten.

„Es waren unglaublich viele Syrer!“

Am Samstag, den 6. Oktober 1973 feierte Israel seinen höchsten Feiertag Jom Kippur. An genau diesem Tag begann um 13:55 Uhr der Krieg mit einem syrischen Luftangriff auf die Militärbasis der Panzereinheit Shirion. Trotz der vorliegenden Informationen war es ein Überraschungsangriff und ein sehr schwerer noch dazu: „Gleich danach fingen die syrischen Kanoniere an, die gesamten Golanhöhen zu beschießen.“ Die Nacht von Samstag auf Sonntag war verrückt: „Es waren unglaublich viele Syrer, alles passierte sehr schnell, ich habe keine Ahnung, wie ich in der Nacht einen klaren Kopf behalten habe.“

Dror wurde als Fahrer für einen Brigaden-Kommandeur eingesetzt. Mit einem Militärfahrzeug, das üblicherweise nur von technischen Supportteams genutzt wurde, brachte der den Kommandeur an verschiedene Orte, damit dieser seine Befehle erteilen konnte.

Zwei schmerzhafte Verluste

Am Abend des ersten Kriegstages traf Dror völlig unverhofft auf Schlomo Teichmann, seinen besten Freund seit der gemeinsamen Zeit im Kibbutz Gan Schmuel. Schlomo war am Kriegsbeginn als Kanonier-Kommandant vom Kibbutz Gan Schmuel auf die Golanhöhen gekommen. Sie hatten ein paar Minuten, um zu sprechen, während Dror auf seinen Brigaden-Kommandeur wartete.

Später an diesem ersten Tag des Jom-Kippur-Krieges wurde Schlomo bei einer syrischen Attacke getroffen und kam als erster Soldat auf den Golanhöhen ums Leben. Dror besteht darauf: „Viel wichtiger als mein Name ist sein Name – Schlomo Teichmann.“ Einen Tag später fiel der Brigaden-Kommandeur Izhak Ben Shoam, den Dror für dessen Ruhe und gute Führung im Chaos des Überraschungsangriffs so bewundert hatte. Es waren für Dror Safor zwei unbeschreiblich große Verluste.

Dror Sofer (l.) mit einem Kameraden im Winter 1974 auf ihrem Panzer.

Ein einschneidendes Erlebnis

Zu Kriegsbeginn fielen die Syrer in israelisches Gebiet ein. Schon nach einigen Tagen wurden sie von den israelischen Verteidigungskräften vertrieben. Dror rückte mit seiner Einheit auf syrisches Gebiet vor, um es unmittelbar zu besetzen. Neben ihm auf dem Nagmash (panzerartiges Militärfahrzeug zum Personentransport) stand ein 26-jähriger Reservist; ein junger Mann, dessen schwangere Frau zuhause auf seine Rückkehr wartete.

Um sich einen Überblick zu verschaffen, mussten beide zur Dachluke hinausschauen, während der Rest ihres Teams im Innern des Fahrzeugs blieb. Der Soldat stand direkt hinter Drors rechter Schulter, als ihr Nagmash einem entgegenkommenden Trupp israelischer Panzer auswich und sich nach rechts ins Gebüsch drückte, weil die Straße sehr eng war. In dem Moment fiel ein feindlicher Schuss und traf den 26-jährigen Kameraden in den Kopf – die Kugel verfehlte Dror nur um wenige Zentimeter.

Wie weiterleben nach solchen Erfahrungen?

An vieles kann Dror sich nicht mehr erinnern: „Ich habe viele schwarze Löcher und kann mich an Details nicht mehr entsinnen. Vielleicht ist das eine natürliche Reaktion meines Unterbewusstseins, um mich vor den Grausamkeiten des Kriegs zu schützen.“

Die Zeit bis Mai 1974, in der Israel Teile des syrischen Gebietes noch besetzt hielt, beschreibt Dror als „besondere Zeit“. Nachdem der eigentliche Krieg etwa drei Wochen später beendet war, wurde Dror in den Sinai versetzt, wo er in einem Crashkurs zum Offizier ausgebildet wurde. Danach wurde ihm eine Panzereinheit zugeordnet, mit der er drei Wochen im Mai 1974 auf dem syrischen Teil des Hermon auf über 2800 Metern Höhe stationiert war. Es war sehr kalt, es lag Schnee und keiner durfte während dieser drei Wochen den Panzer verlassen. Das Leben fand ausschließlich im Panzer statt und in dem angespannten Bewusstsein, dass sie Feindesland besetzten. Nur Dror musste abends den Panzer verlassen, um sich mit in der Nähe stationierten Panzereinheiten abzusprechen. „Es war eine besondere Phase“, sagt Dror mit verklärtem Blick, in dem viel Unausgesprochenes liegt.

Ein Krieg, der alles verändert hat

„Der Jom-Kippur-Krieg hat das Volk verändert“, sagt Dror. „Aus dem Sechs-Tage-Krieg gingen alle mit großer Euphorie heraus. Deshalb dachte niemand daran, dass es uns so schwer hätte erwischen können, weshalb die Überraschung umso größer war. Unsere Generation hat durch den Schock des Jom-Kippur-Krieges ihr Vertrauen in die Regierung und unsere Führer verloren.“

Mit weitreichenden Folgen, wie Dror erläutert: „Die Generation, die damals im Jom-Kippur-Krieg gekämpft hat, das sind die Leute, die jetzt die vielen Demonstrationen gegen die Justizreform im Land organisieren und auf die Straßen gehen. Unser Spruch ist 73-23“. Er zeigt mir ein Basecap und ein T-Shirt, auf denen steht: „Shirionerim leHaganat haDemokratia“ („Soldaten der Panzerkorps zur Verteidigung der Demokratie“). „Wir sagen: Es hat sich nicht gelohnt 1973 im Krieg zu kämpfen, wenn jetzt ein Bürgerkrieg droht und die Regierung ihre Bevölkerung völlig übergeht. Ja, es braucht eine Reform, aber der derzeitige Weg ist nicht der richtige.“

Dror Sofer (4.v.l.) im Kreis seiner Familie. Einer seiner Söhne diente 40 Jahre später in der gleichen Einheit wie er.

„Irgendetwas führte mich“

Bis heute war Dror Sofer entgegen aller Empfehlungen nie bei einem Psychologen, um die Dinge aufzuarbeiten. Aber Dror hat seinen eigenen Weg gefunden, um das Geschehene zu verarbeiten: „Irgendetwas hat mich geführt und dafür gesorgt, dass ich überlebt habe.“ Religiös ist er deshalb zwar nicht geworden, aber er hat eine wichtige Botschaft: „Es gibt nichts Wichtigeres als den Schalom. Krieg ist in vielen Fällen nur das Ergebnis von menschlichem Ego und Machtspielchen.“

Dror ist inzwischen 70 Jahre alt, hat drei Kinder und fünf Enkel. Seine Familie ist ihm am wichtigsten. Und alle Mitglieder leben zum Glück ganz in seiner Nähe – in seinem Kibbutz, nahe Hadera.

Hintergrund: Der Jom-Kippur-Krieg 1973

Am 6. Oktober 1973 hielt Israel seinen höchsten Feiertag Jom Kippur. Das gesamte öffentliche Leben stand still, auch Rundfunk und Fernsehen sendeten nicht. An diesem Tag griffen ägyptische und syrische Truppen Israel an – der Angriff traf den jüdischen Staat völlig unerwartet und unvorbereitet. Ziel der Allianz war es, die von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberten Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel zurückzugewinnen. Verhandlungen über eine Rückgabe lehnten arabische Staaten kategorisch ab.

Aufgrund des strengen Feiertages und einer Fehleinschätzung der Vorzeichen durch ihre Regierung erlitten die Israelis zunächst hohe Verluste – Israel stand einen Moment lang am Rande einer Niederlage. Doch nach zwei Tagen kontrollierte die israelische Armee wieder die Golanhöhen und drang zudem auf ägyptisches und syrisches Staatsgebiet vor.

Der Krieg endete am 24. Oktober 1973 mit einem Waffenstill stand. Auf Druck der USA nahmen Israel und Ägypten im Oktober des gleichen Jahres Friedensverhandlungen auf, die am 11. November 1973 mit einem Waffenstillstandsabkommen besiegelt wurden und 1979 zu einem Friedensabkommen führten. In der Folge gab Israel die Sinai-Halbinsel an Ägypten zurück und wurde im Gegenzug von Ägypten als Staat anerkannt – es war die erste offizielle Anerkennung Israels durch einen arabischen Staat.

Ein nationales Trauma

Der Jom-Kippur-Krieg war der vierte arabisch-israelische Krieg im Nahostkonflikt und auf beiden Seiten mit hohen Verlusten verbunden. Etwa 2700 Israelis sowie mehr als 18.000 Ägypter und Syrer starben. Israels damalige Premierministerin Golda Meir trat aufgrund dessen und der Vorwürfe der außenpolitischen Fehleinschätzung im April 1974 von ihrem Amt zurück. Es blieb eine tiefe Traumatisierung der israelischen Öffentlichkeit, die ihre Armee bis dahin für unbesiegbar gehalten hatte.

Der Versöhnungstag Jom Kippur gilt als der höchste Feiertag des Judentums. Er ist ein Tag der Einkehr und Besinnung und beendet eine zehntägige Zeit der Buße, in der die jüdische Gemeinschaft aufgerufen ist, sich mit ihren Mitmenschen zu versöhnen. An Jom Kippur wird streng gefastet und das öffentliche Leben steht für rund 25 Stunden still.

Nach dem jüdischen Kalender wird Jom Kippur am 10. Tag des Monats Tischri begangen und fällt im gregorianischen Kalender auf einen Tag im September oder Oktober.

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