Die geplante Anti-Netanjahu-Regierung weckt starke Emotionen. Diese könnten in Gewalt umschlagen, befürchtet der israelische Inlandsgeheimdienst. Ein nationalreligiöser Marsch durch die Jerusalemer Altstadt wird vorsorglich verboten.
In ungewöhnlicher Deutlichkeit hat der Inlandsgeheimdienst Schabak vor Gewalt in der israelischen Gesellschaft gewarnt. Konkret geht es um Hetze in den Sozialen Medien angesichts der sich abzeichnenden Bildung einer Regierung ohne Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud). Darin sollen linke und rechte Politiker ebenso vertreten sein wie die arabische Partei Ra’am.
„Wir haben neulich einen ernsthaften Anstieg und eine Radikalisierung bei gewaltsamer und hetzender Diskussion wahrgenommen, vor allem in Sozialen Medien“, erklärte Schabak-Chef Nadav Argaman am Samstag. „Dieser Diskurs könnte von gewissen Gruppen oder Einzelpersonen als einer gedeutet werden, der gewaltsame und illegale Aktivität erlaubt. Er könnte sogar dazu führen, dass Menschen zu Schaden kommen.“
Erinnerungen an 1995
Die Politiker der Jamina-Partei, Naftali Bennett und Ajelet Schaked, haben entschieden, sich der „Regierung des Wandels“ anzuschließen. Deshalb stehen sie bei manchen Vertretern des rechten Spektrums unter verbalem Beschuss. Die Schutzmaßnahmen für die beiden wurden verstärkt. In einem Bericht des Senders „Kanal 13“ war von Zuständen die Rede, die an die Stimmung im Jahr 1995 erinnerten. Damals wurde Premier Jitzchak Rabin (Avoda) von dem rechtsextremen jüdischen Israeli Jigal Amir ermordet, weil er Friedensabkommen mit der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) unterzeichnet hatte.
Einem Bericht der Onlinezeitung „Times of Israel“ zufolge rief Argaman Politiker, öffentliche Meinungsführer, religiöse Figuren und Pädagogen aus dem gesamten politischen Spektrum auf, sich klar gegen Gewalt auszusprechen. Der Schabak-Chef hat die Aktion nicht mit Netanjahu abgestimmt. Dieser hatte zuvor gewarnt, die geplante neue Regierung aus acht Parteien gefährde Israel – das Land, den Staat und die Armee.
Marsch durch Jerusalem abgesagt
Indes sagten die Behörden am Montag einen Flaggenmarsch von nationalreligiösen Juden durch die Jerusalemer Altstadt ab. Er sollte ein Ersatz für den Marsch zum Jerusalem-Tag (Jom Jeruschalajim) sein, der am 10. Mai wegen der Raketenangriffe der Hamas auf die Stadt abgebrochen worden war. Der nun abgesagte Marsch war für Donnerstag geplant.
Zunächst verbot die Polizei den Organisatoren, durch das Damaskustor zu marschieren. Sie befürchtete einen möglichen Anlass für Gewalt vor der Vereidigung der neuen Regierung in der Knesset. Diese findet voraussichtlich am 14. Juni statt. Verteidigungsminister Gantz traf sich am Sonntag unter anderen mit Generalstabschef Aviv Kochavi. Nach den Beratungen wies er die Polizei an, den Marsch nicht zuzulassen.
Der israelische Abgeordnete Bezalel Smotritsch (Religiöser Zionismus) kritisierte die Absage als „schändliches Einknicken vor Terror und Hamas-Drohungen“. Das arabische Parteienbündnis „Vereinigte Liste“ schrieb hingegen: „Rassistische Hasskundgebungen und Aufrufe zum Mord genießen keinen Schutz unter der Freiheit von Rede und Protest. Vor allem, wenn es um besetztes Gebiet geht.“ Weiter hieß es: „Wir werden weiter klare Kante gegen Versuche der Rechten zeigen, Jerusalem und die gesamte Region zu entflammen und Blutvergießen zu verursachen.“
Abstimmung über Regierung am Sonntag
Unterdessen kündigte Knessetsprecher Jariv Levin an, das Parlament werde am Sonntag in einer Sondersitzung über die geplante Regierung abstimmen. Sollte die Koalition bestätigt werden, folgt direkt darauf die Vereidigungszeremonie. Das Bündnis hat derzeit nur eine knappe Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten.