Historiker Michael Wolffsohn im Interview: „Wir sind Freunde, weil ihr ihr seid“

Historiker Michael Wolffsohn im Interview: „Wir sind Freunde, weil ihr ihr seid“

Prof. Dr. Michael Wolffsohn spricht bei der Jubiläumskonferenz von Christen an der Seite Israels in Neu-Ulm.
Foto: © Michael Wolffsohn

Im März 2023 spricht der Historiker Michael Wolffsohn auf der Jubiläumskonferenz von Christen an der Seite Israels. Im Vorfeld hat der Politikberater Josias Terschüren mit dem renommierten Autor über den anstehenden 75. Geburtstag Israels, das Atomabkommen mit dem Iran und die israelkritische Haltung des Ökumenischen Rates der Kirchen gesprochen.

Josias Terschüren: Im nächsten Jahr wird der moderne Staat Israel seinen 75. Geburtstag feiern. Wo sehen Sie die größten Errungenschaften, wo die Tiefpunkte der deutsch-israelischen Beziehungen und welche Hausaufgaben gibt es noch zu erledigen?

Michael Wolffsohn: Die schreckliche Vergangenheit muss axiomatisch sein, also vorausgesetzt werden. Die ständige Ritualisierung führt zu Inflationierung der Fakten und Gefühle, diese zu Abstumpfung und Distanz zu Juden und Israel. Deshalb muss der Akzent vom Tod aufs Leben und die gemeinsame „Auferstehung“ gelegt werden.

Zum 50. Jahrestag am 5. September dieses Jahres gedachten Deutschland und Israel gemeinsam der Opfer des Terror-Attentats auf die israelische Olympiamannschaft. Es gelang gerade noch so, eine Einigung mit den Hinterbliebenen zu erzielen und diesen Tag versöhnlich zu begehen. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen und was können wir uns von der geplanten Historikerkommission erhoffen, die nun sämtliche Akten zu den Vorkommnissen aufarbeiten soll?

In jenen 50 Jahren „gelang“ es den deutschen Akteuren, aus der ethischen Verpflichtung eine Geldfrage zu machen. So schafft man, unfreiwillig oder nicht, Antisemitismus, denn: Große Teile der deutschen Öffentlichkeit denken und sagen: „Typisch jüdisch. Die wollen ja nur Geld.“ Man hätte den Hinterbliebenen vor Jahrzehnten, vergleichbar der individuellen Entschädigung an Holocaust-Überlebende, ein monatliches Fixum als eine Art Rente überweisen können und sollen. Damals hätte dieses Geld den Angehörigen der Opfer geholfen. Was sollen die inzwischen um 50 Jahre Gealterten nun mit einem Batzen Geld anfangen, das sie heute kaum noch brauchen, damals aber dringend benötigten, jahrzehntelang. Das alles kann eine Rede des Bundespräsidenten nicht gutmachen. Auf Taten kommt es an, nicht auf Worte. Und nicht erst nach 50 Jahren, zumal aus durchsichtigen termintaktischen Gründen im Hinblick auf den Jahrestag. In der Debatte um die Historikerkommission muss unterschieden werden: Zum einen gibt es die zwischenstaatliche Regierungs- bzw. Makroebene im globalen Zusammenhang, zum anderen die Mikroebene der bundesdeutschen und bayerischen Ämter und Amtsträger. Die Makroebene ist eigentlich fachlich-historisch aufgearbeitet, auch durch mich in meinem Buch „Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror“. Auf der Mikroebene gibt es erhebliche Defizite. Hier deckelten deutsche und bayerische Behörden massiv. Von der Schnoddrigkeit gegenüber den Hinterbliebenen ganz zu schweigen.

Die angestrebte Wiederauflage des Atomabkommens mit dem Iran scheint vorerst gescheitert und auf Eis gelegt worden zu sein. Wie beurteilen Sie die Haltung und das Agieren der Bundesregierung in dieser Sache?

Naiv. Oft war und ist die deutsche Außenpolitik sympathisch naiv, hier ist sie dumm, dickköpfig und lebensgefährlich. Nicht nur für Israel und Nahost, sondern für die Welt. Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung den Worten („kein nukleares Iran“) Taten folgen lässt.

Der Ökumenische Rat der Kirchen steht für seine israelkritische Haltung immer wieder zurecht in der Kritik. Auf seiner Vollversammlung in Karlsruhe im September blieb ein befürchteter Eklat aus. Doch es kam einerseits wieder die Frage nach dem Status Quo der jüdisch-christlichen Beziehungen auf und andererseits die, welche Rolle Theologie und Religion im Nahostkonflikt spielen können und spielen sollten. Wie sehen Sie beides?

Etwa 2000 Jahre lang hat ein großer Teil der Christenheit versucht, den Juden – diplomatisch ausgedrückt – den „richtigen Weg“ zu zeigen. Wäre es nicht an der Zeit, mal eine Runde auszusetzen und – als bekennende Christen und echte Freunde von Juden und Staat – einen gemeinsamen Weg zu gehen? Ihre Gemeinschaft tut genau das. Dafür Dank und Respekt. Seit Jahrzehnten spielt „die“ Religion, spielen eigentlich die drei Religionen (Judentum, Christentum und Islam) negative Rollen. Sie gießen in der einen oder anderen Weise Öl ins Feuer. Auch hier empfehle ich, eine Runde auszusetzen. Man bleibe sich selbst, der eigenen Religion, treu, sei aber den anderen gegenüber weniger fordernd und belehrend. Ihre Gemeinschaft zeigt, dass man sehr wohl Christ und Freund von Juden und Israel sein kann. Auf eine Formel gebracht, kann man durchaus sagen: Wir sind wir, aber wir sind Freunde, weil ihr ihr seid.

Das Interview erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 131. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen: https://csi-aktuell.de/israelaktuell. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

Alles rund um die große CSI-Jubiläumskonferenz sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

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