Israels erster jemenitischer Rabbiner: Mit einem Esel vom Jemen ins Heilige Land

Israels erster jemenitischer Rabbiner: Mit einem Esel vom Jemen ins Heilige Land

Uri Madar mit seiner Frau Lisa (l.) und CSI-Mitarbeiterin Delly Hezel.
Uri Madar mit seiner Frau Lisa (l.) und CSI-Mitarbeiterin Delly Hezel. Foto: privat

Es ist das Jahr 1881, als sich der junge Rabbi Yair Madar und seine schwangere Frau auf eine gefährliche Reise begeben: Vom Jemen aus machen sie sich auf den Weg ins Heilige Land. 140 Jahre später erzählt ihr Enkel Uri, der im Jom Kippur-Krieg nur knapp dem Tod entkam, der CSI-Mitarbeiterin Delly Hezel die spannende Geschichte seiner Familie.

Als Uri mir die Geschichte seines Großvaters erzählt, geht es im Wochenabschnitt der Tora, der Parascha, um den Aufruf „Lech Lecha“ (zu deutsch etwa „Gehe für dich“). Es ist die Aufforderung Gottes an Abram, sein Land, seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus zu verlassen. Uris Familiengeschichte beginnt vor etwa 2.400 Jahren, als unter dem babylonischen König Nebukadnezar die Juden ins Exil verschleppt wurden und sich ein Teil von ihnen am Ende des Roten Meeres niederließ, im Gebiet des heutigen Jemen. Und dort beginnt auch das Leben von Uris Großvater Yair Madar. Er war der junge Rabbiner einer kleinen ärmlichen jüdischen Gemeinde in Haidan, im Norden des Jemen.

Es war ein Schabbat im Jahr 1881, als Yair den Ruf vernahm, Alijah ins Heilige Land zu machen – in das Land seiner Vorväter zurückzukehren. Zu dieser Zeit war Yair Anfang zwanzig, jung verheiratet und seine Frau war schwanger. Eine Bibelstelle aus dem Hohelied 7,9 ließ ihn nicht mehr los. In dem Text geht es um die Beziehung zwischen Mann und Frau, die an dieser Stelle nach jüdischem Verständnis ein Synonym der Liebe Gottes zum Land Israel ist. Yair beschäftigte sich mit der sogenannten Gematrie, der Interpretation von Worten mithilfe von Zahlen. Sie beruht darauf, dass hebräischen Buchstaben bestimmte Zahlenwerte zugeordnet sind. Aus seiner Interpretation folgerte Yair, dass er im Jahr 1882 in Jerusalem sein sollte – zu jener Zeit (fast) ein Ding der Unmöglichkeit.

Doch das Reden Gottes war für Yair so klar, dass auch seine Gemeinde, die deshalb in großer Aufregung war, es nicht vermochte, ihn davon abzubringen. Es gelang ihr auch nicht, ihn dazu zu bringen, diese Reise gut zu planen und vorzubereiten. Er hatte entschieden, direkt nachdem Ende des Schabbat aufzubrechen. Er wusste, Gott hatte zu ihm gesprochen und er musste gehen. Er hatte keine Angst, er vertraute darauf, dass Gott mit ihm war. Seine Gemeinde gab Yair zwei Esel, eine Tora-Rolle, ein Gebetsbuch, ein Buch über Rabbi Rambam, etwas Geld und Essen mit. Und so zog er los, zusammen mit seiner schwangeren Frau. Ihr war klar, dass eine Frau mit ihrem Ehemann gehen muss. Sie hat ihm vertraut. Auf seinem Esel ist Yair nicht geritten – Jerusalem galt es, zu Fuß zu erreichen, etwas anderes war dieser Stadt nicht würdig.

Ankunft in Jerusalem: Barfuß und beraubt, aber am Ziel

Eineinhalb Jahre später kamen Yair und seine Frau barfuß in Jerusalem an. Sie hatten nur noch das, was sie auf ihren Leibern trugen. Das Kind hatten sie verloren, ihr Besitz wurde ihnen geraubt. Unterwegs, in der Wüste, mussten sie immer wieder für längere Zeit für die jeweiligen Beduinenstämme arbeiten, durch deren Gebiet sie ziehen wollten.

In Jerusalem wollten die beiden als Erstes zur Kotel, wie die Klagemauer im Judentum genannt wird. Als sie nach dem Weg fragten, wollte man sie zur Al-Aksa-Moschee schicken, da man sie für Araber hielt und ihnen nicht glaubte, dass sie jüdisch sind. Ein alter aschkenasischer Rabbiner fragte Yair schließlich, ob er ihm aus seiner hebräischen Tora vorlesen könne. Yair antwortete, dass er die fünf Bücher Mose im Herzen trage und auswendig kenne. Zudem konnte er die genaue Parascha für die entsprechende Woche sagen. Dann erzählte Yair Madar von seiner Reise. Tief beeindruckt nahm der Rabbiner die beiden mit nach Hause und ließ sie als erstes ein Bad nehmen. Am Schabbat nahm er Yair mit in die Synagoge und dort waren alle daran interessiert zu hören, wie er aus der Tora vorlas. Rabbi Yair Madar wurde der erste jemenitische Rabbiner in Israel. Heute erinnert eine Straße in der Stadt Rehovot an ihn. Dort lebte er ab 1946, da die Familie den Ölberg, auf dem sie zuvor viele Jahre gelebt hatte, aufgrund politischer Entscheidungen verlassen musste.

Yair Madar (l.) mit seinem Sohn Yoseph in Israel. Foto: privat

Als Elitesoldat an der Front

Uris Beschneidung, die Brit Mila, fand gemäß der Tradition auf dem Schoß seines Großvaters Yair statt. Auch Uri selbst hat eine bewegende Geschichte hinter sich. War er doch am Jom Kippur-Krieg 1973 gerade erst 20 Jahre alt – ein junger Offizier, verantwortlich für eine Truppe von 22 Soldaten, die noch jünger waren als er. Uri war mit seiner Truppe an der syrischen Grenze am Golan im Einsatz. Die ersten Kriegstage waren chaotisch und forderten von Israel hohe Verluste. Das Land war auf den Krieg nicht vorbereitet und wurde von Syrien und Ägypten gleichzeitig angegriffen. Es gab keine Versorgung mit Nahrungsmitteln und auch keinen Nachschub an Munition. Uris Soldaten nahmen die Patronen der gefallenen syrischen Soldaten an sich und in verlassenen Dörfern suchten sie nach Essbarem. Elf Soldaten aus Uris Elite-Einheit kamen ums Leben, die anderen elf wurden verletzt – Uri selbst in der letzten halben Stunde des Krieges.

Lebendig für tot erklärt

Tief bewegt erzählt Uri wie er von zwei Schüssen aus nächster Nähe an beiden Beinen gestreift wurde. Der Sanitäter aus seiner Einheit versorgte ihn sofort mit einer doppelten Portion Morphin. Es gelang ihnen, Uri zu einem nahegelegenen Lazarett zu fahren. Weil er so fror, hatten sie ihn mit einer Decke zugedeckt. Auch im Lazarett herrschte völliges Chaos und Uri war aufgrund des Morphins schon nicht mehr in der Lage zu sprechen, als der Arzt ihm die nächste Dosis Morphin verabreichte. Noch heute erinnert er sich an das wohlige Gefühl dieser Überdosis – und das warme Blut in seiner Hose. Er konnte sich weder bewegen noch sprechen, aber er war hellwach und hat alles wahrgenommen. Plötzlich wurde es still um ihn. Jemand hatte ihn mit der Decke ganz zugedeckt und er hörte junge Soldaten davon sprechen, dass es ihnen keinen Spaß mache, die Toten zu bewachen. Sie hatten ihn auf die Seite der Toten gebracht. Er hörte wie sich ein Auto näherte und jemand ausstieg. Es war der Rabbiner, der sich die Toten noch einmal anschaute, die Personalien aufnahm und sie dem jeweiligen Friedhof zuordnete. Als er von Uri die Decke wegnahm, sah er sofort, dass dieser noch lebte. Uri wurde mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Safed geflogen. Als er dort für die Operation vorbereitet wurde, war das Letzte, was er vernahm, bevor für ihn der Krieg zu Ende ging, die Angabe seines Gewichts mit 49 Kilogramm. Und Uri ist groß!

Drei Wochen Beten und Fasten

Uri berichtete mir noch von einer weiteren besonderen Geschichte, die ihm ein Rabbiner in der Trauerwoche für seinen Vater erzählt hatte und von der er bis dahin nichts wusste: Uris Vater, Rabbi Yoseph Madar, war an Jom Kippur 1973, wie fast alle Männer, in der Synagoge als die Sirenen ertönten und das ganze Land in Schockstarre versetzten. Seine vier Söhne mussten unverzüglich an die Front. Uris Vater hat seinen Platz an der geöffneten Tora-Rolle in der Synagoge für die gesamten drei Wochen des Krieges nicht verlassen. Er hat für sein Land und natürlich für seine Söhne unaufhörlich gebetet und gefastet. Seine Frau gab ihm immer wieder etwas Wasser zu trinken. Wenn er zur Toilette ging, nahm für diesen Moment ein anderer Rabbiner seinen Platz ein. Bis auf diese Momente hat Yoseph Madar seine Hand nicht von der Tora-Rolle genommen. Alle vier Söhne haben den Krieg überlebt.

Urlaub im Zugwaggon

Uri und seine Frau Lisa leben in einem kleinen Paradies in Rischon LeZion. Sie heißen dort in wunderschön ausgebauten Zugwaggons ihre Gäste willkommen. Ihre Botschaft: „Vor mehr als siebzig Jahren haben sie uns Juden in Zugwaggons nach Auschwitz gebracht. Doch uns auszulöschen, ist ihnen nicht gelungen! Heute heißen wir unsere Gäste aus allen Nationen in Drei-Sterne-Waggons willkommen, um ihnen die Hand zu reichen und ihnen unser schönes Land zu zeigen.“ Mehr Informationen über diese besonderen Unterkünfte finden Sie unter www.urimadar.com .

In Drei-Sterne-Zugwaggons heißen Uri und Lisa ihre Gäste willkommen. Foto: privat

Als CSI-Mitarbeiterin im Team „Humanitäre Dienste“ pflegt Delly Hezel enge Kontakte zu Verantwortlichen und Betroffenen in unseren Hilfsprojekten in Israel.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Zeitung „Israelaktuell“, Ausgabe 127. Sie können die Zeitung hier kostenlos bestellen: www.csi-aktuell.de/israelaktuell. Gerne senden wir Ihnen auch mehrere Exemplare zum Auslegen und Weitergeben zu.

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