Von: Sandro Serafin/Israelnetz
Steht der Untergang der israelischen Demokratie bevor? Nicht zum ersten Mal sorgt der Antritt einer rechten Regierung international für Mahnrufe. Ein wenig mehr Demut wäre angebracht. Ein Kommentar
Nach langem Ringen ist nun so gut wie sicher: Benjamin Netanjahu wird an die Macht zurückkehren, und er wird es mit einer Koalition tun, die es in Israel so noch nicht gab. Seine Partner sind ultra-orthodoxe Parteien und religiös-zionistische Gruppierungen, darunter auch die Partei der Jüdischen Stärke.
Im Grunde liegt nur in diesem letzten Punkt etwas Neues, mit Ultra-Orthodoxen und Religiösen hat Netanjahu schließlich schon in der Vergangenheit regiert: Otzma Jehudit aber, wie die Partei auf Hebräisch heißt, kommt aus der Tradition des rechtsextremen Rabbiners Meir Kahane, der eine ethnische Säuberung Israels von seinen arabischen Einwohnern befürwortete und 1990 in New York ermordet wurde.
Einer von Netanjahu Amtsvorgängern, Jitzchak Schamir, ein strammer Rechtspolitiker, verließ in den 1980er Jahren das Plenum der Knesset, wenn Kahane ans Rednerpult trat – aus Protest. Nun holt Netanjahu dessen geistige Nachfolger – allen voran: Itamar Ben-Gvir – in die Regierung. Ein Tabubruch, der zum Ende der israelischen Demokratie sowie der Gewaltenteilung führen und zu einer Gefahr für die ganze Region werden könnte.
So jedenfalls lautet die Erzählung der israelischen Linken: Noch-Premier Jair Lapid erklärte die neue Regierung am Donnerstag für „gefährlich, extremistisch und unverantwortlich“ und orakelte: „Das wird böse enden.“ Zahlreiche Medien tun es ihm gleich, auch in Deutschland. „In Israel braut sich etwas Bedrohliches zusammen“, titelte etwa die „Süddeutsche Zeitung“. Die notorisch israelkritische „Berliner Zeitung“ prophezeite gleich eine bevorstehende „Eskalation“.
Der „Hasser“ Begin schloss Frieden mit Ägypten
Stehen Israel und der Nahe Osten also am Abgrund? Ein wenig Demut würde jedenfalls den nicht-israelischen Kommentatoren aus der hiesigen Presse gut zu Gesicht stehen. Rückblick: 1977 erlebte die israelische Innenpolitik schon einmal eine „Revolution“. Die Wähler schickten die Linke, die das Land aufgebaut hatte, in die Wüste und Menachem Begin in das Amt des Premierministers.
Begin war einst Kommandeur der rechts-zionistischen Untergrundorganisation „Irgun“ gewesen, war unter anderem 1946 für den Terroranschlag auf das King David Hotel in Jerusalem verantwortlich, der sich gegen die britische Mandatsmacht richtete. Ein „Terrorist“ als Premierminister? Auch 1977 erschallten Warnrufe.
Das Wahlergebnis und der Sieg des „Extremisten Begin“ könnten außenpolitisch „nur als Katastrophe für den ganzen Nahen Osten und für den Frieden in der Welt (!) angesehen werden“, schrieb zum Beispiel der „Spiegel“. Begin denke „noch immer wie in seinen Terror-Jahren“ und gelte „als Eiferer, als Hasser und Kalter Krieger“.
Anwar as-Sadat, Präsident Ägyptens, gewissermaßen des Erzfeinds Israels in der arabischen Welt, sah das offenbar anders. Wenige Monate nach Begins Wahlsieg begab er sich auf eine Reise nach Jerusalem und schüttelte Begin die Hand. 1979 schlossen beide Länder Frieden. Drei Jahre später ließ Begin die letzten Israelis aus dem Sinai evakuieren und Häuser abreißen, um die Halbinsel Ägypten zurückzugeben.
Unter der israelischen Linken, Premierministern wie Levi Eschkol, Golda Meir und Jitzchak Rabin, war der Sinai 1967 erobert und besiedelt worden. Sie gaben ihn nicht wieder ab, freilich waren die Umstände auch andere. Und dennoch: Begin, der angebliche Extremist und Vertreter eines Großisraels „vom Nil bis zum Euphrat“, tat genau das. Verkehrte Welt – das ist Politik, das ist Israel.
„Falke“ Scharon verließ den Gazastreifen
Auch 2001, als der „Bulldozer“ und Kriegsheld Ariel Scharon die Macht übernahm, schrillten hierzulande die Alarmglocken. „Die Welt fürchtet Scharon“, schrieb zum Beispiel die „Hamburger Morgenpost“. Der ehemalige General galt als „Hardliner“ und „Falke“, man erinnerte an seine Rolle im Libanonkrieg und bei der Besiedlung des Westjordanlands.
Sein Amtsvorgänger Ehud Barak hatte schon vor der Wahl gewarnt, es gehe darum, ob den „Extremisten“ das Streichholz in die Hand gegeben werde, mit dem sie das „Pulverfass Nahost“ entzünden würden. Das „Pulverfass“ war in Israel zu dem Zeitpunkt freilich längst in die Luft geflogen, die „Intifada“ hatte noch unter Barak begonnen, Scharon musste sie verwalten.
Zwei Jahre nach seiner Amtsübernahme kündigte er bei einer Rede in Herzlia an, den ebenfalls 1967 eroberten Gazastreifen den Palästinensern zu überlassen. Tatsächlich verließen 2005 unter Scharons Führung der letzte israelische Soldat und Siedler die Küstenenklave. Es war ein Bürgerkrieg prophezeit worden, doch er blieb aus.
Netanjahu will den Frieden mit Saudi-Arabien
Nicht nur in der israelischen Geschichte lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen sich vermeintlich oder tatsächlich radikale Politiker mäßigen, sind sie erst einmal an den Schalthebeln der Macht angelangt. Freilich: Es gibt auch Gegenbeispiele. Und die Mahner und Warner würden jetzt sicherlich darauf verweisen, dass die Kahanisten eben nicht Begin seien, dass sie etwa beim Sinai-Abzug gegen Begin mobil machten, dass mit ihrer Regierungsbeteiligung eine neue, ganz andere Qualität erreicht sei.
Und dennoch wären gerade westliche Beobachter gut beraten, erst einmal abzuwarten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Geschichte ein weiteres Mal wiederholt. Netanjahu hat schon jetzt so viele Friedensabkommen ermöglicht, wie alle Regierungen vor ihm zusammen nicht. Längst schielt er auf einen Frieden mit Saudi-Arabien. Mit Begins Friedensschluss mit Ägypten würde sich dieser allemal messen lassen können.